Benjamin erklärte ihm, daß der Kommandeur der Militärpolizei eine Anzahl von Männern angeheuert hatte, die in seinen Dienstlisten als professionelle Detektive geführt wurden. »Ich würde sie eher als Totschläger bezeichnen. Importierte auch noch. Yankeeabschaum, die keine Ahnung vom Süden haben. Sie scheinen besser geeignet zu sein, Rowdies aus Kneipen rauszuwerfen als ordentliche Detektivarbeit zu leisten. Aber wie ich schon sagte, sie sind verantwortlich für die Aufklärung von militärischen wie von zivilen Vergehen und Verbrechen. Aufgrund des, äh, Charakters des Generals neigen sie dazu, die Grenzen ihrer Autorität zu überschreiten. Ich kann nicht zulassen, daß sie die Befugnisse dieses Amtes beschneiden. Wenn sie es versuchen, dann müssen wir ihnen auf die Finger schlagen. Der letzte Mann, der dafür verantwortlich war, zeigte sich der Aufgabe nicht gewachsen. Daher meine Freude über Ihre Ankunft.«
Wieder dieser direkte, starre Blick. Benjamins weitere Worte lösten einen kleinen Schock bei Orry aus.
»Außerdem beansprucht Winder die Aufsicht über die lokalen Gefängnisse. Wenn er bei der Behandlung der Gefangenen nicht wenigstens ein Minimum an Humanität einführt, dann kann uns das auf diplomatischer Ebene Schaden zufügen, vor allem, weil die europäisc he Anerkennung immer noch zweifelhaft ist. Kurz gesagt, Colonel, es gibt viele Möglichkeiten, wie der General der Konföderation schaden kann; wir müssen ihn daran hindern.«
»Der Herr Minister wird mir die Bemerkung gestatten, daß General Winder ranghöher ist als ich.«
»Das ist er – außer er stellt eine direkte Bedrohung des Wohlergehens dieses Ministeriums dar. Dann werden wir sehen, wessen Rang höher ist.« Benjamin schob seinen Stuhl vor und warf Orry einen Blick zu, der das Eisen unter der Seide enthüllte. »Ich hoffe zuversichtlich, daß Sie Ihren Aufgaben mit Takt und Können nachkommen werden, Colonel.«
Das war keine Hoffnung; das war ein Befehl.
Am nächsten Morgen stattete Orry dem Militärpolizeikommandeur einen Höflichkeitsbesuch ab; das Büro war in einem häßlichen Gebäude in der Broad Street nahe Capitol Square untergebracht. Schon bei seinem Eintritt begannen sich die ersten negativen Eindrücke anzusammeln. Ein paar von Winders Rowdies, Zivilisten mit schlammigen Stiefeln und gewaltigen Revolvern, lümmelten auf Bänken herum und starrten ihn an, als er zu den Büroangestellten hinüberging.
Brigadegeneral John Henry Winder ließ ihn eine Stunde warten. Als Orry schließlich eintreten durfte, sah er einen stämmigen Offizier vor sich, der wesentlich älter als sechzig wirkte. Strähnenweise stand ihm das weiße Haar, das anscheinend schon längere Zeit nicht mehr gekämmt, geschnitten und gewaschen worden war, vom Kopf ab. Winders Haut schuppte sich, so trocken war sie, und sein ständig zu einem auf den Kopf gestellten U verzogener Mund deutete darauf hin, daß Lächeln nicht zu seinen Angewohnheiten zählte.
Orry wollte sich freundlich vorstellen und seiner Hoffnung auf gute Zusammenarbeit Ausdruck verleihen. Der Kommandeur war daran nicht interessiert.
»Ich weiß, Ihr Boß ist ein Freund von Davis, aber das bin ich auch. Wir werden gut miteinander auskommen, wenn Sie zwei Regeln befolgen: Kommen Sie mir nicht in die Quere, und stellen Sie meine Autorität nicht in Frage.«
Weniger freundlich sagte Orry: »Ich glaube, der Minister hat ebenfalls Regeln, General. In Dingen, die in irgendeiner Form die Armee betreffen, bin ich angewiesen, dafür zu sorgen, daß die Vorschriften – «
»Zum Teufel mit den Vorschriften. Wir haben Krieg. Ganz Richmond steckt voller Feinde.« Uralte Schildkrötenaugen fixierten Orry. »Mit und ohne Uniform. Ich werde sie ausrotten und mich dabei den Teufel um Vorschriften scheren. Ich habe zu tun. Sie sind entlassen.«
»Zu Ihren Diensten, General.« Er salutierte, aber Winder hatte sich bereits über seine Akte gebeugt und erwiderte den Gruß nicht. Mit rotem Gesicht marschierte Orry hinaus.
Nur noch wenige Angestellte hielten sich in den Büros des Ministeriums auf, unter ihnen Jones. Orry beschrieb sein Zusammentreffen, und Jones lachte höhnisch. »Typisches Benehmen. In der ganzen Regierung gibt es keinen Mann, den ich mehr verachte. Sie werden bald ebenso empfinden.«
»Ich will verdammt sein, wenn das nicht bereits der Fall ist.«
Jones kicherte und machte sich wieder daran, in eine Art Journal zu schreiben. Später sah Orry, wie Jones das Journal in eine untere Schreibtischschublade zurücklegte und dabei verstohlen um sich blickte. Führte er ein Tagebuch? Man hütete wohl besser seine Zunge in Gegenwart dieses Burschen.
Bei der Dinnerparty im Hause des Marineministers Stephen Mallory am Samstagabend herrschte eine bessere Atmosphäre. Mallory, in Florida geboren, Eltern Yankees, hatte das große Glück – oder Pech, je nach Perspektive –, ein Ministerium zu leiten, das von Jefferson Davis fast vollkommen ignoriert wurde. Schnell machte der Minister seinen Gast mit seiner Einstellung bekannt.
»Ich habe die Sezession immer nur als Synonym für Revolution betrachtet. Aber jetzt, da wir kämpfen, will ich nicht das Zugeständnis des Feindes gewinnen, daß wir als Nation existieren dürfen, sondern ich will ihn schlagen. In diesem und in vielen anderen Punkten haben der Präsident und ich unterschiedliche Ansichten. Noch einen Julep, Colonel?«
In Orrys Kopf wirbelte es bereits, vom ersten Drink und vom Glanz der Versammlung. Das strahlendste Schmuckstück war Mallorys spanische Gattin Angela, eine anmutige, schöne Frau. Sie lobte Cooper und stellte Orry ihren kleinen Töchtern vor, ehe sie sie zu Bett brachte.
Während des ausgezeichneten Mahles wurden viele Toasts auf die Konföderation und vor allem auf ihre gefangenen Repräsentanten, Mason und Slidell, ausgebracht, beide Favoriten der Erzsezessionisten. Auch Benjamin zählte dazu, obwohl Orry die Ernsthaftigkeit des glatten, kleinen Mannes bezweifelte; auf Orry machte er nicht den Eindruck eines Eiferers, sondern eher eines Mannes, der es vorzieht zu überleben. Trotzdem brachte der Minister Witz und Fröhlichkeit in die Runde. Der Tisch war dermaßen überladen mit Köstlichkeiten, daß Orry Mühe hatte, sich daran zu erinnern, daß sie sich im Krieg befanden. Für eine kurze Weile vergaß er sogar, wie sehr er Madeline vermißte.
Als die Party ihrem Ende zuging, lud Benjamin ihn zu einem seiner Lieblingsplätze ein. »Johnny Worsham’s. Ich möchte gegen seine Faro-Bank gewinnen. Johnny hat da eine feine Sache am Laufen. Man trifft die richtigen Leute, ebenso wie die richtigen Damen, aber man kann sich auch der Diskretion des Hauses sicher sein und wird nicht betrogen.«
Benjamin liebte abendliche Spaziergänge, und Orry erhob keine Einwände. Als sie am Spotswood vorbeikamen, wo gerade eine lärmende Menge von einer anderen Party aufbrach, rannte jemand zufällig gegen Orry. »Ashton!«
Die Überraschung ließ ihn freundlicher als beabsichtigt klingen. Seine Schwester hing am Arm ihres Ehemannes; sie schenkte ihm ein Lächeln, so warm und herzlich wie ein Januartag. »Lieber Orry! Ich hörte, daß du hier bist – und auch noch verheiratet. Ist Madeline ebenfalls hier?«
»Nein, aber sie wird bald kommen.«
»Wie großartig du in Uniform aussiehst.« Ashtons Lächeln für den Minister war erkennbar herzlicher. »Arbeitet er für Sie, Judah?«
»Ich bin froh, das bejahen zu können.«
»Welches Glück. Orry, mein Lieber, sobald wir die Zeit finden, müssen wir einmal zusammen essen. James und ich werden ja vollkommen von gesellschaftlichen Verpflichtungen aufgefressen. In manchen Wochen haben wir kaum fünf Minuten für uns.«
»Ganz richtig«, sagte Huntoon. Seine Brillengläser beschlugen in der Kälte. Ashton winkte und warf Benjamin flirtende Blicke zu, während ihr Mann ihr in die Kutsche half.
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