»Wie kommen Sie drauf? Die Straße führt nach Benning’s Bridge, aber es gibt noch eine Menge andere ganz in der Nähe.«
Charles, nun noch mehr auf der Hut, sagte: »Ich begreife Ihre mangelnde Höflichkeit nicht, Sir. Auf welcher Seite stehen Sie?«
»Ihrer. Aber ich hab’ zu tun.« Er trat zurück, um die Tür zu schließen.
Charles rammte seine Schulter dagegen. Der alte Mann taumelte zurück. Eine Frau stieß einen kleinen, spitzen Schrei aus, der überhaupt nicht zu ihrer Größe paßte. Eine ältere Person mit der Figur eines kleinen Walfisches verstopfte den Wohnzimmereingang, um Charles die Sicht zu verwehren, aber dafür war er zu groß.
Entsetzt sagte die Frau: »Wir sind entdeckt, Miz Barclay.«
»Wir hätten nicht versuchen sollen, ihn abzuwimmeln. Wenn er nicht gerade McDowell in Verkleidung ist, dann gehört er zu unseren Leuten.«
Die leisen, schnippischen Worte der zweiten Sprecherin verwirrten Charles für einen Moment. Sie klang, als käme sie aus Virginia, aber was er von der jungen Frau sehen konnte, wirkte eindeutig verdächtig. Ihr oberster Rock war hochgezogen, und darunter kam ein zweiter Rock zum Vorschein, krinolinversteift und in viele Taschen unterteilt, die sich alle leicht wölbten. Auf einem Stuhl sah er vier in Wachstuch gewickelte, verschnürte Päckchen. Auf einmal dämmerte es ihm, und er hätte beinahe aufgelacht. Er war noch nie einem Schmuggler begegnet, geschweige denn einem so attraktiven.
»Captain Charles Main, Ma’am. Von – «
»Der Wade Hampton Legion. Sie haben eine laute Stimme, Captain. Versuchen Sie uns die Yankees auf den Hals zu hetzen?«
Sie lächelte dabei, aber ohne Freundlichkeit. Er wußte nicht recht, was er von ihr halten sollte. Ihre Kleidung war nicht ärmlich, aber schlicht und von der Reise zerdrückt. Sie mochte ungefähr in seinem Alter sein, zehn Zentimeter kleiner, mit breiten Hüften, einem vollen Busen, blauen Augen und blonden Locken; eine junge Frau, die es fertigbrachte, gleichzeitig robust und verdammt hübsch auszusehen. Für wenige Sekunden fühlte er sich leichtherzig und beschwingt wie ein Junge. Dann erinnerte er sich an seine Pflichten.
»Ich stelle besser die Fragen, Ma’am. Darf ich Ihnen First Lieutenant Pell vorstellen?« Ambrose betrat das Wohnzimmer. Der alte Mann duckte sich neben seine Frau.
»Ich hab’ gesehen, wie er sich im Flurspiegel bewundert hat. Ich hätte Sie für Jungs aus South Carolina gehalten, auch wenn Sie es nicht verkündet hätten.«
»Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
»Mrs. Augusta Barclay aus Spotsylvania County. Meine Farm liegt in der Nähe von Fredericksburg, falls Sie das was angeht.«
Er fing an: »Aber dies hier ist Fairfax – «
»Meine Güte. Ein Spezialist in Geographie, ebenso wie in schlechten Manieren.« Sie beugte sich vor, um weitere Pakete aus ihrem Unterrock zu zerren. »Ich kann keine Zeit mit Ihnen verschwenden, Captain. Ich fürchte, ein paar Reiter sind dicht hinter mir her. Yankees.« Plop! fiel das nächste Paket auf den Stuhl, und plop!
»Die Witwe Barclay war in Washington City«, sagte die Frau des Farmers. »Ein geheimer Botengang der Wohltätigkeit für – «
»Psst, kein Wort mehr«, unterbrach der alte Farmer.
»Oh, warum nicht?« fauchte die junge Frau und zerrte Päckchen heraus. »Wenn er weiß, was wir tun, dann hilft er uns vielleicht, anstatt hier wie eine prächtige Föhre herumzustehen, die darauf wartet, bewundert zu werden.«
Die blauen Augen schossen solch einen verächtlichen Blick auf Charles ab, daß er kein Wort mehr herausbrachte. An das alte Pärchen gewandt, fuhr die junge Witwe fort: »Es war ein Fehler von mir, das Rendezvous so nahe am Potomac zu arrangieren. Ich fürchtete schon, jemand wüßte Bescheid, als sie an der Brücke zehn Minuten lang meine Papiere untersuchten. Ein Sergeant bohrte mit seinen Blicken Löcher in meinen Rock und so attraktiv bin ich auch nicht.«
»Ich möchte wissen, was in den Päckchen ist«, sagte Charles.
»Chinin. In Washington massenhaft vorhanden, aber in Richmond knapp. Es wird verzweifelt benötigt werden, wenn erst mal die richtigen Kämpfe begonnen haben. Ich bin nicht die einzige Frau, die diese Arbeit verrichtet, Captain. Weit gefehlt.«
Langsam durchquerte Ambrose das Zimmer. Schönheit und Patriotismus der Witwe Barclay gefielen Charles, aber nicht ihre spitze Zunge. Sie erinnerte ihn an Billy Hazards Schwester Virgilia.
Er war ein bißchen rauh mit den beiden Alten umgesprungen. Zu der Frau sagte er: »Wenn Sie mögen, können Sie ihr natürlich helfen.« Die Frau kniete sich hinter Augusta Barclay und steckte ihren Kopf unter den oberen Rock der Witwe. Die Pakete tauchten nun doppelt so schnell auf.
An Charles gewandt, sagte die junge Frau mit dem gleichen Sarkasmus: »Wie großzügig von Ihnen. Ich meinte es ernst, als ich sagte, vielleicht werde ich verfolgt.«
»Ich will verdammt sein, wenn das nicht stimmt«, rief Ambrose vom Nordfenster. Nervös winkte er Charles heran, der über seine Schulter spähte; hinter einem Hügel, ein oder zwei Meilen die Straße hinunter, stieg Staub auf.
»Müssen Yanks sein, wenn sie so schnell reiten.« Er ließ den Vorhang fallen. Zu den mit den Päckchen kämpfenden Frauen sagte er: »Ich bedaure meine scharfen Worte, Ladies.« Er hoffte, die Witwe Barclay verstand, daß dies an ihre Person gerichtet war; ein leichtes Neigen des Kopfes deutete ein Vielleicht an. »Ich möchte diese lobenswerte Arbeit nicht zunichte machen, aber sie ist hochgradig gefährdet, wenn wir uns nicht beeilen.«
»Nur noch ein paar«, keuchte die dicke Frau. Päckchen flogen nach rechts und links.
Charles bedeutete dem Farmer, sie einzusammeln, und fragte: »Wo ist das sicherste Versteck dafür?«
»Dachstube.«
»Machen Sie das. Ambrose, geh raus, und fahr den Einspänner zwischen die Bäume. Schaffst du es nicht zurück, bevor die Reiter in Sichtweite kommen, dann bleib in Deckung. Sind Sie fertig, Mrs. Barclay?«
Sie glättete ihren obersten Rock. »Man braucht lediglich zwei Augen, um das zu beantworten, Captain.«
»Ersparen Sie mir Ihren Spott, und gehen Sie nach hinten in den Holzschuppen. Bleiben Sie drin, und geben Sie keine Silbe von sich. Falls das möglich ist.« Überraschenderweise lächelte sie über den Seitenhieb.
Der Farmer schwankte vollbeladen nach oben. Draußen quietschten Räder, als Ambrose den Einspänner fortfuhr. Augusta Barclay eilte hinaus.
Erneut rannte Charles zum Nordfenster. Er konnte nun die sich im Galopp nähernden Reiter deutlich erkennen. Ein halbes Dutzend Männer, alle dunkelblau gekleidet. Unter seiner grauen Jacke begann der Schweiß zu laufen.
Der Farmer kam wieder herunter. »Gibt es in der Küche Wasser?« fragte Charles die Frau.
»Ein Eimer und eine Schöpfkelle.«
»Füllen Sie die Schöpfkelle, und her damit. Dann verhaltet euch beide still.«
Augenblicke später schlenderte er hinaus auf die Veranda, Schrotflinte in der linken Armbeuge, Schöpfkelle in der rechten Hand. Die Reiter reagierten auf seinen Anblick, indem sie Säbel und Seitengewehre zogen. Der Lieutenant, der das Kommando führte, hielt die Hand hoch.
Der Moment, in dem Charles hätte erschossen werden können, ging so schnell vorüber, daß er es gar nicht richtig mitbekam. Er lehnte sich gegen einen der Verandapfosten; in seinen Ohren dröhnte das Hämmern seines Herzens.
26
Die Reiter drängten von der Straße heran; die leichte Brise wehte den aufgewirbelten Staub davon. Die Mündungen mehrerer Armeerevolver zeigten auf Charles’ Brust.
In der Hitze rot wie ein Apfel, dirigierte der Lieutenant sein Pferd zur Veranda. Charles trank von der Schöpfkelle, ließ dann seine Hand fallen. Er preßte seinen rechten Ärmel gegen die Rippen, um ein Zittern zu verbergen. Er hatte den jungen Unionsoffizier zuvor schon gesehen.
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