Was konnte er noch tun? Resigniert entschuldigte er sich und verließ den Raum, ein blaues Rauchband hinter sich herziehend.
Oben marschierte sein Sohn im Flur auf und ab und bellte das beliebte Lied, wie sie Jeff Davis an einem Apfelbaum aufhängen würden. George schickte William auf sein Zimmer, wo er dann eine halbe Stunde mit dem Jungen Rechnen übte. Die nächsten fünfzehn Minuten verbrachte er mit Patricia und versuchte sie davon zu überzeugen, daß sie schon zur rechten Zeit ihren Handkühler bekommen würde. Es mißlang ihm.
Im Bett, in seinem Nachthemd, war es unangenehm warm, trotz der wehenden Sommerbrise; er griff nach der tröstenden Rundung der Brust seiner Frau und drückte sich an ihren Rücken, während er ihr die Ereignisse beim Kaufladen schilderte. »Sie rechnet mit einem kurzen Krieg, damit solche Dinge nicht mehr passieren.«
»Ich auch, George. Von Vater habe ich seit Monaten nichts mehr gehört, und ich mache mir Sorgen um ihn, da unten in Texas. Du weißt, daß er mit seinem Haß gegen die Sklaverei und die Sklavenbesitzer nie hinterm Berg hielt. Ganz sicher wird das alles bald ein Ende haben.«
»Wie Orry sagte, wir hatten dreißig Jahre lang Zeit, es zu verhindern, aber wir haben es nicht verhindert. Ich hasse es, Bretts oder deinen Hoffnungen einen Dämpfer zu versetzen – « Er brach ab.
»George, beende bitte den Satz.«
Widerstrebend sagte er: »Brett hat vergessen, daß Lincoln im Mai weitere zweiundvierzigtausend Mann einberufen hat. Aber nicht für kurze Zeit. Die Jungs haben sich bei dieser Kampagne für drei Jahre verpflichtet.«
Ihre Stimme wurde schwach. »Ich habe es ebenfalls vergessen. Du hast keine großen Hoffnungen auf einen kurzen Krieg?«
Er wartete einen Moment, gestand aber schließlich: »Hätte ich diese Hoffnungen, so hätte ich Boß Camerons telegraphische Nachricht in dem Augenblick weggeworfen, in dem ich sie bekam.«
12
Während Brett ihre Probleme in den Vereinigten Staaten hatte, näherten sich ihr Bruder Cooper und dessen Familie dem Ende einer Eisenbahnfahrt in Großbritannien. Rauch und Asche flogen in das Erste-Klasse-Abteil der Familie, weil die Kinder, Judah und Marie-Louise, sich abwechselnd aus dem Fenster lehnten. Cooper erlaubte das, doch seine Frau Judith hielt es für gefährlich; in angespannter Haltung saß sie sprungbereit da und hielt die Kinder an der Taille fest.
Wie gewöhnlich schaffte es Cooper, in seiner tadellosen Kleidung unordentlich zu erscheinen, was an seiner Größe, seiner Schlaksigkeit, seinem gedankenverlorenen Gelehrtenbenehmen lag.
»Pa, da ist ein Fluß!« rief Judah, halb aus dem Abteil hängend. Sein Haar glänzte in der heißen Julisonne.
»Laß mich sehen, laß mich sehen!« Marie-Louise zwängte sich neben ihm in das Fenster.
»Auf der Stelle kommt ihr rein«, sagte Judith. »Wollt ihr, daß euch die Brücke die Köpfe abschlägt?« Zwei kräftige Rucke stellten sicher, daß dies nicht passieren würde. Der Expreß von London ratterte über die Runcorn-Brücke; darunter blitzte der Merseyfluß auf wie ein Feld aus zersplitterten Spiegeln.
Judah sprang über den Gang und drückte sich gegen seinen Vater. »Sind wir bald in Liverpool?«
»Ja, in einer knappen halben Stunde.« Er begann die Pläne zusammenzurollen, um sie im Gepäck verstecken zu können.
Marie-Louise kletterte an seine rechte Seite. »Werden wir eine Weile bleiben, Papa?«
»Auf jeden Fall einige Monate.« Er lächelte und tätschelte sie.
»Wird uns Captain Bulloch besuchen?« fragte Judah.
»Das war die Bedeutung der Annonce in der Times. Natürlich ist es möglich, daß ihn irgendein Agent der Union in den letzten drei Tagen erledigt hat.«
»Cooper, ich glaube, du solltest über diese Arbeit keine Scherze machen. Geheime Botschaften über Zeitungsannoncen, feindliche Spione, die überall lauern – meiner Meinung nach ist das kein Thema für Witze.« Sie blickte vielsagend von ihrem Mann zu den Kindern, doch die waren vollkommen mit den langsam vorüberziehenden Schatten beschäftigt.
»Vielleicht nicht. Aber wir können nicht die ganze Zeit finster und grimmig sein, und obwohl ich meine Pflichten ernst nehme – und ich bin für die Warnungen durchaus empfänglich, die Bulloch in seinem Brief zum Ausdruck brachte –, wehre ich mich dagegen, daß wir uns von alle dem unseren Englandaufenthalt verderben lassen.« Er beugte sich vor, lächelte und berührte sie. »Das gilt vor allem für dich.«
Sie drückte seine Hand. »Du bist so ein lieber Mann. Tut mir leid, daß ich bissig war. Ich fürchte, ich bin müde.«
»Kein Wunder«, sagte er mit einem Nicken. Mitten in der Nacht hatten sie King’s Cross verlassen und später die Sonne über den friedvollen Kanälen und der sommergrünen Landschaft aufgehen sehen; kein Wort war gefallen über Ungewißheit, Heimweh und mögliche Gefahren.
Die Familie hatte Savannah mit dem letzten Schiff verlassen, das die Ausfahrt geschafft hatte, bevor die Union die Südküste blockierte. Das Schiff hatte Hamilton, Bermuda, angelaufen, ehe es weiter nach Southampton dampfte. Nach ihrer Ankunft in London hatten sie in engen, überfüllten Quartieren in Islington gehaust. Jetzt jedoch bestand Aussicht auf bessere, größere Räumlichkeiten in Liverpool, wo Cooper dem Chefagenten der Konföderierten-Marine zur Hand gehen sollte, der bereits vor einigen Wochen hier angekommen war. Ihre Mission bestand darin, die Konstruktion von seetüchtigen Sturmbooten anzukurbeln, um die Yankee-Schiffahrt zu stören. Hinter dem Programm steckte eine vernünftige Strategie. Konnte die Konföderation genügend Handelsschiffe vernichten oder kapern, dann würden die Versicherungsquoten in unermeßliche Höhen steigen; dadurch wäre der Feind gezwungen, Blockadeschiffe abzuziehen, um seinen Handel zu schützen.
Für Cooper waren maritime Angelegenheiten nichts Neues. Seine Liebe zur See ging weit zurück. Der ewigen Streitereien mit seinem mittlerweile verstorbenen Vater über Sklaverei und Bürgerrechte müde, unfähig, die Familienplantage noch länger zu ertragen, war er nach Charleston gegangen, um eine heruntergekommene kleine Handelsreederei zu leiten, die mehr zufällig in Tillet Mains Besitz gelangt war. Mit Hilfe von Studien, Entschlossenheit und harter Arbeit hatte Cooper die Carolina Shipping Company in die modernste Schiffslinie des Südens verwandelt, mit einer Gewinnspanne, die nur unwesentlich unter der ihrer größeren, aber konservativeren Rivalin im Hafen der Stadt lag, der John Fräser & Company. Diese Company wurde nun von einem anderen Selfmademan, dem Millionär George Trenholm, geleitet. Das Baumwoll-Büro in Liverpool, das unter dem Namen Fräser & Trenholm operierte, würde heimlich die illegale Arbeit, die Cooper vor sich hatte, mit Geldmitteln unterstützen.
Vor dem Krieg hatte Cooper im Hafen von Charleston begonnen, seinen großen Traum zu verwirklichen – ein Schiff nach dem Muster der gewaltigen Eisenschiffe von Isambard Kingdom Brunei, dem genialen britischen Konstrukteur, den er zweimal besucht hatte. Er wollte beweisen, daß Schiffsbauindustrie in den Südstaaten eine durchaus realistische Möglichkeit darstellte, daß der Reichtum des Staates nicht ausschließlich aus dem Schweiß schwarzer Haut gepreßt werden mußte.
Während die Schreihälse nach der Sezession brüllten, arbeitete er still und leise weiter, zu still und zu leise – was ein Fehler war. Er arbeitete zu langsam – was ein weiterer Fehler war. Kaum war mit dem Bau der Star of Carolina begonnen worden, da hatten die Batterien das Feuer auf Fort Sumter eröffnet; er hatte das Schiff der Konföderierten-Marine überschrieben, und jetzt war es, falls er richtig informiert war, demontiert worden, weil das Metall für andere Zwecke benötigt wurde.
Coopers Begeisterung für den Schiffsbau war stärker als seine Zweifel an der Sache, die er vertrat. Lange schon war er der Meinung, daß der ignorante Süden sich auf einem Irrweg befand, weil er nicht in der Lage war, die Bedeutung der Industrialisierung zu erkennen, und sich an ein auf Sklaverei basierendes Agrarsystem klammerte. Ihm war die Vielschichtigkeit dieses Problems durchaus bewußt. Beide Seiten hatten Schuld an der Konfrontation, die von anständigen Männern wie etwa seinem Bruder Orry oder dessen altem Kriegskameraden George Hazard nicht gewünscht worden war, die sie aber auch nicht zu verhindern gewußt hatten. Cooper glaubte daran, daß es den Männern guten Willens auf beiden Seiten – er selbst zählte sich ebenfalls dazu – an Macht, aber auch an Initiative gefehlt hatte. Und so war es zum Krieg gekommen.
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