Sein Rücken versteifte sich. »Das ist unfair. Ich wollte mein gutes Verhältnis zu Simon nicht gefährden. Ich hatte den Eindruck, daß du das als Aktivposten betrachtest.«
Isabel Hazard war eine Expertin, was die Manipulation von Menschen anbelangte. Sie merkte, daß sie zu weit gegangen war. Die Einsicht dämpfte ihren Ärger.
»Das tue ich auch. Was ich gesagt habe, tut mir leid. Es ist nur so, daß ich George und Constance wegen all der Demütigungen, mit denen sie dich überschüttet haben, so verabscheue.«
Der Waffenstillstand war hergestellt, und er ging zu ihr. »Und dich.«
»Ja. Das würde ich ihnen gern zurückzahlen.« Lächelnd legte sie den Kopf schief. »Wenn sie tatsächlich herkommen, könnte ich vielleicht einen Weg finden. Wir kennen hier einflußreiche Leute, und du besitzt jetzt einigen Einfluß.«
Er legte den Arm um ihre Schultern. »Laß mich einen Whisky trinken, während ich dir ein paar gute Nachrichten erzähle.«
»Was ist es? Eine Beförderung?«
»Nein, nein – es ist ein Vorschlag von Simon, eine Art Bonus, um mich wegen George zu besänftigen.« Er beschrieb das Treffen mit dem Geschäftsmann und die folgende Unterhaltung mit Cameron. Isabel erkannte sofort die Möglichkeiten. Sie klatschte in die Hände.
»Für diesen Einfall würde ich zehn George Hazards in die Stadt kommen lassen. Wegen unseres Lebensunterhaltes wären wir nicht auf die Fabrik – oder auf die Launen deines Bruders – angewiesen. Stell dir bloß vor, was für ein Geld wir mit einem garantierten Kontrakt verdienen könnten!«
»Simon bietet keine Garantien«, mahnte Stanley. »Solche Dinge werden nicht genau festgelegt. Aber ich bin mir sicher, das ist es, was er meint. Das Ministerium arbeitet so. Gerade jetzt arbeite ich beispielsweise an einem Plan, der Regierung Geld bei Soldatentransporten von New York nach Washington zu ersparen. Die momentanen Kosten liegen bei sechs Dollar pro Kopf. Wenn wir die Truppen über Harrisburg befördern, mit der Northern Central, können wir die Kosten auf vier Dollar senken.«
»Aber die Northern Central gehört Cameron.«
Der Whiskey wärmte ihn angenehm, und Stanley zwinkerte. »Für gewöhnlich machen wir damit keine Reklame.«
Isabel plante bereits. »Wir müssen augenblicklich nach New England reisen. Simon wird dir freigeben, nicht wahr?«
»Oh, ja. Aber wie ich ihm schon sagte, ich habe nicht die geringste Ahnung von Schuhfabrikation.«
»Das lernen wir. Zusammen.«
»Gib mir mein Kissen zurück, du kleiner Hundesohn!«
Dem plötzlichen Geschrei hinter der Tür des kleineren Schlafzimmers folgte weiteres Gefluche und Kampfgetümmel.
»Stanley, bring diese Jungs auf der Stelle zur Besinnung!«
Der General hatte gesprochen; der Untergebene war klug genug, keine Einwände zu erheben. Er stellte seinen Drink ab und begab sich widerwillig zum Schauplatz des Bruderkriegs.
9
In Pennsylvania verließ Billys Frau Brett am nächsten Tag Belvedere, um eine Besorgung zu machen. Genausogut hätte ein Diener nach Lehigh Station gehen können, aber sie wollte für eine Weile dem überhitzten Nähzimmer und der Freiwilligenarbeit entrinnen, die dort von den Damen des Hauses geleistet wurde. Die Arbeit für die Jungs der Union beunruhigte ihr Gewissen.
Belvedere, ein L-förmiges Steingebäude im italienischen Stil, erhob sich neben einer zweiten Residenz auf dem Gipfel eines Hügels mit Blick über den Fluß, die Stadt und die Hazard-Eisenwerke. Die andere Residenz war doppelt so groß – vierzig Zimmer. Sie gehörte Stanley Hazard und dessen fürchterlichen Frau, die hier einen Hausverwalter zurückgelassen hatten, als sie nach Washington gegangen waren.
Brett wartete auf der schattigen Veranda von Belvedere, bis ein Stallknecht den Buggy brachte. Sie riß ihm praktisch die Peitsche aus der Hand und donnerte in einer Staubwolke los, auf sich selbst ärgerlich wegen ihrer unberechtigten Unfreundlichkeit.
Brett war dreiundzwanzig, mit den dunklen Haaren und Augen, wie sie in der Main-Familie üblich waren. Sie war attraktiv, aber auf eine frischere, schlichtere Weise als ihre ältere Schwester Ashton, die von allen, Ashton eingeschlossen, als Schönheit angesehen wurde. Ashtons Lieblichkeit paßte zu Abendgesellschaften, zu süßem Duft und nackten Schultern bei Kerzenschein. Brett war mehr für Tageslicht und frische Luft geschaffen. Jegliche Koketterie lag ihr fern. Ihr Lächeln war offen und freundlich, eine Seltenheit bei jungen Frauen in ihrem Alter.
Aber das schien sich in der Heimatstadt ihres Gatten allmählich zu ändern. Die Leute wußten, daß sie aus South Carolina stammte, und behandelten sie mit der Vorsicht, die man einer welkenden exotischen Blume angedeihen läßt. Nicht wenige, so vermutete sie, hielten sie für eine heimliche Verräterin.
Je länger Billy wegblieb, je länger die schrecklichen Ungewißheiten dieses Krieges andauerten, desto isolierter und unglücklicher fühlte sie sich. Sie bemühte sich, diese Gefühle vor George und seiner Frau Constance zu verbergen, aber das gelang ihr bei weitem nicht perfekt, und sie wußte es.
Schweiß tränkte die Innenfläche ihrer Netzhandschuhe. Weshalb hatte sie die Handschuhe erst angezogen? Das Einspänner-Pferd brauchte einen scharfen Zügel, um auf der holprigen Straße gehalten werden zu können, die sich neben der Fabrik den Hügel hinabschlängelte. Die gewaltigen Hazard-Werke rauchten und lärmten vierundzwanzig Stunden täglich, produzierten unermüdlich Eisenbahnschienen und Grobbleche für die Kriegsanstrengungen der Union. Kürzlich hatte die Fabrik auch noch einen Kontrakt für Kanonen bekommen.
Wohin sie auch blickte, der Krieg war allgegenwärtig. Sie kam an einigen Jungs vorbei, die auf einem unbebauten Grundstück zum Klang von Löffeln exerzierten, die gegen einen Eimer geschlagen wurden; keiner der kleinen Soldaten war über zehn. Die Vorderfront des besten Hotels am Platz war mit vielen roten, weißen und blauen Flaggen geschmückt; heute nachmittag sprach George anläßlich einer patriotischen Versammlung im Hotel.
Sie fuhr zu Herberts Kaufhaus und band das Pferd an einem Eisenpfosten an. Als sie den Bürgersteig überquerte, bemerkte sie zwei Männer, die sie von einer schattigen Bank aus beobachteten. Ihre muskulösen Arme und die eintönige Kleidung deuteten darauf hin, daß sie wahrscheinlich im Hazard-Werk arbeiteten.
Der eine Mann sagte etwas zum anderen, der darüber so heftig lachte, daß er beinahe sein Bier verschüttet hätte. Trotz der Hitze schauderte Brett.
Im Kaufhaus roch es nach Lakritze und Roggenmehl und anderen Dingen, die Mr. Pinckney Herbert verkaufte. Der Besitzer war ein zartknochiger Mann mit hellen Augen, der Brett an einen Rabbi erinnerte, den sie einst in Charleston kennengelernt hatte. Herbert war in Virginia aufgewachsen, wo seine Familie vor der Revolution gelebt hatte. Mit zwanzig hatte ihn sein Gewissen nach Pennsylvania getrieben: aus dem Süden hatte er nichts weiter als seinen Abscheu vor der Sklaverei und den Namen Pinckney mitgebracht, der ihm gefiel und den er statt seines echten Namens Pincus angenommen hatte.
»Guten Tag, Mrs. Hazard. Womit kann ich Ihnen heute dienen?«
»Mit kräftigem weißem Faden. Pinckney. Weiß. Constance und Patricia und ich haben Mützen genäht.«
»Mützen. Gut, gut.« Er wich ihrem Blick aus. Als Georges Frau und Tochter mit dem Nähen begannen, hatte sich Brett ihnen angeschlossen, denn es schien nicht gerade ein Verrat zu sein, einem anderen menschlichen Wesen zu helfen, seinen Nacken vor Regen oder Sonnenbrand zu schützen. Warum hielt sich dann so hartnäckig dieses unterschwellige Gefühl der Treulosigkeit, während sie nähte?
Sie zahlte ein halbes Dutzend Spulen und verließ den Laden. Beim Klang einer quietschenden Bohle drehte sie sich abrupt nach links; sofort wünschte sie sich, sie hätte es nicht getan. Da standen die beiden Müßiggänger und wirbelten Bier in ihren Blechkrügen herum.
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