»Ich bin Corporal Clyde Vesey und habe den Auftrag, euch Gentlemen hier im Libby-Gefängnis zu begrüßen, von dessen Gastfreundschaft ihr zweifellos schon gehört habt. Ihr werdet euch nun bis auf die Haut ausziehen, damit Private Murch und ich eine Suche nach Geld und anderen illegalen Materialien, die ihr vielleicht bei euch habt, durchführen können.«
Hemden wurden ausgezogen, Hosen fielen; dreckige Hände mühten sich mit den Knöpfen der Unterwäsche. Es gab keine Beschwerden; die Zugwachen hatten sie vor der Durchsuchung gewarnt und gemeint, oft hänge es von der Laune der durchsuchenden Soldaten ab, was man behalten könne. Veseys blaue Augen und seine Ansprache stimmten Billy nicht optimistisch.
»Mach den Mund auf«, fuhr Vesey einen Major in der vordersten Reihe an. Der Major weigerte sich. Vesey schlug ihm zweimal hart mit dem Handrücken ins Gesicht. Zwei Plätze weiter nach links stieß der dicke Artillerie-Captain einen hörbaren Aufschrei des Abscheus aus.
»Aufmachen«, wiederholte Vesey. Der wütende Major gehorchte. Vesey griff hinein und holte eine kleine, spuckebedeckte Papierröhre heraus. Vesey rollte die Zehn-Dollar-Note auf, wischte sie an seiner Bluse ab, steckte sie ein und ging weiter.
Er erreichte den Artilleristen, lächelte, spürte dessen Schwäche. Nach einer Routinedurchsuchung von Mund und Achselhöhlen trat er zurück. »Umdrehen und Arschbacken spreizen.«
»W-was? Hören Sie, das ist weder anständig noch – «
Vesey lächelte ein süßliches Lächeln. »Du hast nicht zu beurteilen, was im Libby-Gefängnis anständig oder unanständig ist. Solche Beurteilungen liegen in den Händen des Gefängnisdirektors, Lieutenant Turner, und derjenigen Leute, die das Privileg haben, ihm zu dienen.« Seine Hand schnellte hoch, packte das Ohr des Captains und verdrehte es. Der Artillerist kreischte wie ein Mädchen. Vesey lächelte. »Dreh dich um, pack deine Arschbacken, und spreize sie.«
Die Gefangenen wechselten wütende Blicke. Mit rotem Gesicht drehte sich der Artillerist um und griff nach seinem Hinterteil. In dieser Position ließ ihn Vesey stehen, fünfzehn Sekunden – zwanzig – dreißig. Der Captain begann vor Anstrengung zu zittern. Vesey schlug ihm seitlich ins Gesicht. Der Captain quietschte und fiel nach vorn. Männer in der nächsten Reihe stießen ihn zurück. Der Captain begann zu heulen. Billy machte einen halben Schritt nach vorn.
Vesey sagte zu ihm: »Oh, ich würde mich nicht einmischen. Das zahlt sich nicht aus.«
Billy zögerte, trat wieder zurück. Die Suche ging weiter. Billys Mund wurde trocken, als der Corporal die zweite Reihe abschritt. Vesey bückte sich und durchwühlte den Kleiderstapel neben Billys nackten Füßen.
»Was ist das?« fragte Vesey erfreut. Aus Billys Jacke zog er das Schreibheft.
»Das ist mein Tagebuch«, sagte Billy. »Es ist rein persönlich.«
Vesey erhob sich und wedelte mit dem Heft dicht vor Billys Nase herum. »In Libby ist nichts persönlich, außer wir machen es dazu. Dies ist ein Buch. Regelmäßiger Kirchgang hat mich gelehrt, Büchern zu mißtrauen, vor allem Romanen, und all jenen, die sie lesen. Es ist nicht nur meine Christenpflicht, euch als Gefangene zu halten, sondern euch auch von euren Irrwegen abzubringen. ›Ich will euch vor den Heiden retten‹, sagte der Prophet Ezechiel. Das ist genau das, was ihr Yankees seid. Heiden.«
Er ist verrückt, dachte Billy. »Murch?« Vesey schleuderte das Büchlein dem anderen Soldaten zu, der es auffing und einsteckte. Vesey schenkte Billy ein flüchtiges Lächeln und ging weiter zum nächsten Mann.
Billys Beine begannen zu schmerzen. Endlich war Vesey fertig und baute sich wieder, die Hände hinten verschränkt, vor ihnen auf. Jetzt können wir wenigstens hier weg und uns hinsetzen, dachte Billy.
»Es ist meine Pflicht und mein Privileg, euch Gentlemen einige moralische Instruktionen zu geben.« Vesey stellte sich breitbeinig hin. Ein Offizier fluchte. Vesey funkelte ihn an. Der Artillerist weinte immer noch leise. »Die Instruktionen betreffen euren Status in diesem Gefängnis. Wie ich schon zu dem Mann mit dem versteckten Tagebuch sagte, wir betrachten euch nicht nur als Feinde; wir betrachten euch als Heiden. Ihr seid keine Offiziere mehr. Ihr seid keine Gentlemen mehr. Euer Status hier ist der eines Niggers. Nein, ich bin zu großzügig. Ihr seid niedriger als Nigger, und ihr werdet lernen, das zu spüren – in jeder Minute, die ihr unter meiner Obhut seid, werdet ihr das einatmen. Jetzt!«
Ein tiefer Atemzug. Dann lächelte er.
»Zeigt mir, daß ihr verstanden habt, was ich euch gerade gesagt habt. Zeigt mir, wer ihr seid. Runter auf die Knie!«
»Was zum Teufel?« grollte Billy. Hinter ihm sagte ein anderer Offizier: »Du verfluchter Rebellenaffe!«
»Murch?« Vesey winkte. Mit seinem Revolver schlug der Soldat dem Offizier über den Hinterkopf. Der Mann taumelte. Ein zweiter Schlag warf ihn fast bewußtlos nieder.
Vesey lächelte erneut. »Ich sagte«, murmelte er, »kniet nieder. Heidennigger. Kniet – nieder!«
Der Artelleriecaptain ließ sich als erster keuchend fallen. Jemand verfluchte ihn. Vesey flitzte zur dritten Reihe und schlug den Frevler, packte ihn dann an den Schultern und zwang ihn auf die Knie. Besorgte Blicke flackerten zwischen den Gefangenen auf, müde Männer, die sich vor diesem Irren in Sicherheit bringen wollten. Einer nach dem anderen sank langsam auf die Knie, bis nur noch drei nackte Offiziere standen. Vesey studierte das Trio und ging zum nächsten – Billy.
»Knie nieder«, schnorrte Vesey.
Mit hämmerndem Herzen sagte Billy: »Ich verlange, daß diese Gefangenengruppe entsprechend den Kriegsregeln behandelt wird. Regeln, die Ihr Vorgesetzter sicher versteht, selbst wenn das bei Ihnen nicht der Fall – «
Er sah die Hand auf sein Gesicht zufliegen, versuchte auszuweichen, aber die Müdigkeit machte seine Bewegungen langsam. Der Schlag mit der offenen Hand schmerzte mehr, als er erwartet hatte. Er taumelte zur Seite, wäre beinahe gestürzt.
»Ich hab’ es bereits gesagt. Hier existieren nur die Regeln, die ich aufstelle. Auf die Knie.«
Makellose Fingernägel gruben sich in Billys nackte Schulter. »Jesus«, sagte Billy, Tränen in den Augen. Veseys Nägel rissen ihm die Haut auf; Blut tropfte, als er tiefer bohrte.
»Das ist Blasphemie. Runter!«
Billy wollte stehenbleiben, aber seine Beine gaben nach. Sein Kopf begann zu vibrieren wie der fehlerhafte Teil einer Maschine. Er biß die Zähne zusammen, widerstand dem stetigen Druck nach unten.
Unerwartet zog Vesey. Billy verlor das Gleichgewicht, stürzte nach vorn, knallte mit den Knien auf den Boden, rutschte mit den Handflächen darüber, ein langer Splitter fuhr ihm in die rechte Hand. Er hob den Kopf und sah, wie sich der Corporal abwandte.
»Murch?«
»Sir?«
»Wie heißt er?«
»Hazard. William Hazard. Pionier.«
»Danke. Ich möchte sichergehen, daß ich den Namen nicht vergesse«, sagte Vesey; seine Lippen waren vor Wut so schmal, daß sie alle Farbe verloren hatten.
Sein Blick glitt zu den beiden anderen noch stehenden Offizieren. Erst kniete der eine nieder, dann der andere. »Gut«, sagte Vesey.
Billy kauerte sich hin. Blut tröpfelte von seinem Arm. Er beobachtete, wie sich die strahlenden Oktoberaugen wieder auf ihn richteten und Maß nahmen.
Gegen fünf Uhr nahm der Wind zu, der Himmel färbte sich schwarz, der Hitzeschild zerbrach unter dem Ansturm des peitschenden Regens und des prasselnden Hagels. Orry ging gerade durch den Kapitol-Rundbau, als der Sturm losbrach; die Gaslichter brannten noch nicht, und er fand sich plötzlich in fast völliger Dunkelheit wieder. Er prallte gegen einen anderen Offizier, trat verblüfft zurück.
»George? Ich wußte nicht, daß du in Richmond bist.«
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