»Scheußlich, das gebe ich zu. Aber wir können uns keine weichen Herzen mehr leisten. Selbst wenn wir siegen, verlieren wir. In jeder Schlacht verbrauchen beide Seiten Männer, Pferde, Munition. Die Yanks können es sich leisten – sie haben von allem reichlich. Wir nicht. Wenn sie je einen General finden, der das mitkriegt, dann ist es mit unserer Seite aus.«
Sie schauderte. »Du klingst so blutrünstig.«
Seine Laune ging mit ihm durch. »Und du so mißbilligend.«
Ihre alte Verteidigung, ein sprödes Lächeln, tauchte auf. »Mr. Pope und ich, wir fragen uns, was die Ursache deiner schlechten Verfassung ist.«
»Meine Verfassung geht dich nichts an.«
Sie zitierte trotzdem: »War vielleicht krank«, ein Augenblick des Zögerns, »verliebt oder hatte nicht gespeist?«
An einem Hühnerflügel nagend fragte Jim: »Wer ist Mr. Pope? Ein Farmer hier aus der Gegend?«
»Ein Dichter, von dem Mrs. Barclay sehr viel hält, du Dummkopf.«
»Charles, du bist unhöflich«, sagte sie.
Er seufzte. »Ja. Tut mir leid, Jim.«
»Oh – schon vergessen«, antwortete Jim, sein Hühnchen im Auge behaltend.
»Ich möchte trotzdem wissen, weshalb du so ungemütlich bist, Charles.«
»Ich bin ungemütlich, weil wir verlieren, verdammt noch mal.« Beim letzten Wort schlug er seine Pfeife so kräftig gegen den Herd, daß der Stiel brach.
Später glätteten sie die Wogen – sie ergriff die Initiative – und schliefen zwischen Mitternacht und Morgen zweimal miteinander. Aber der Schaden war da.
Am nächsten Nachmittag rissen die Wolken auf, als die Männer zu ihrem Ritt zurück zum Camp unterhalb vom Rapidan aufbrachen, wohin sich die Infanterie hinter den Schutzschild der Kavallerie zurückgezogen hatte. Alle Kommandos im berittenen Dienst sollten neu beurteilt und möglicherweise neu organisiert werden. Als ob das Charles nicht völlig egal gewesen wäre.
Der Himmel, der sich gegen Abend tief orange färbte, wirkte verloren und hoffnungslos. Herbstlicht. Charles trabte neben dem jüngeren Scout; er bemerkte, daß die Truthahnfeder an Jims Hutband, vor ein paar Minuten noch nach hinten geneigt, nun auf die Straße vor ihnen zeigte.
Jim bemerkte den starren Blick seines Gefährten. »Stimmt was nicht, Charlie?«
»Der Wind hat gedreht.«
So war es; jetzt kam er scharf und kalt aus Nordwesten. Viel zu kalt für die Sommerzeit. Jim wartete auf weitere Erklärungen, aber es kam nichts mehr. Er kratzte sich seinen stoppligen Bart. Seltsamer Mann, Charlie. Tapfer wie der Teufel. Aber momentan mächtig unglücklich.
Gegen den steifen Nordwind ankämpfend, der die Gräser der Felder flach preßte und die Bäume ächzen ließ, ritten sie in den orangefarbenen Abend.
Fünftes Buch.
Die Metzgersrechnung
Ich kann die Wandlung nicht beschreiben, auch nicht, wann sie stattgefunden hat, und doch weiß ich, daß sich etwas verändert hat, denn ich schaue die Leiche eines Mannes mit den gleichen Gefühlen an wie die eines Pferdes oder Schweines.
Konföderierter Soldat, 1862
89
Ein milder Winter dämpfte den Anblick des gepeinigten Landes von Virginia, konnte ihn aber nicht zudecken. Zu viele Felder lagen nackt und bloß da. Zu viele Bäume zeigten die rohen Kreise, wo Äste abgehackt worden waren. Zu viele Straßen wiesen Krater und tiefe Furchen von Hufen und Rädern auf. Die Mauern zu vieler Farmen waren mit Gewehrkugeln gepflastert, Fenster waren ausgeschlagen, überall frische Gräber.
Heuböden und Ställe waren leer. Die Speisekammern waren leer, ebenso wie die Stühle, auf denen einst Onkel und Brüder, Väter und Söhne gesessen hatten.
Drei Jahre lang hatte man zu viel von der Erde gefordert, und das hatte seine Spuren hinterlassen. Von Feldern und Schluchten, von Bächen und Teichen, von Hügeln und blauen Bergen stieg im blassen Sonnenschein dünner Dunst empor. Es war der Atem eines kranken Landes.
In der Kavallerie der Armee von Nordvirginia war Charles zu einer Art Legende geworden. Sein Mut und seine Sorge für andere hoben ihn aus der Masse der Männer heraus, während sein mangelnder Ehrgeiz ihn andererseits zurückwarf. Hinter seinem Rücken erzählte man sich, daß der Krieg Spuren in seinem Kopf hinterlassen habe.
Er entwickelte merkwürdige Angewohnheiten. Er verbrachte viele Stunden bei seinem grauen Wallach, striegelte und bürstete ihn. Manchmal unterhielt er sich lange mit dem Tier. Den Winter über galoppierte er gelegentlich los, um ein Mädchen in der Nähe von Fredericksburg zu besuchen, kehrte aber jedesmal in mürrischem Schweigen zurück. Regelmäßig durchstöberte er die Camps nach gelbgebundenen Beadle-Romanen. Er las nur eine Sorte, wie Jim Pickles bemerkte – jene, die von den Ebenen im Westen handelten und den Scouts und Trappern, die sie bevölkerten.
»Wie lang bist du in dem Teil des Landes gewesen?« fragte Jim an einem Januarabend an ihrem Lagerfeuer.
»Lang genug, um mich in das Land zu verlieben.« Charles benützte sein Bowiemesser, um sich Stew in den Mund zu schaufeln. Jim hatte dafür nur einen Stock; aus Armeequellen war kein Löffel zu bekommen.
Nach einem weiteren Bissen fügte Charles hinzu: »Ich würde morgen dorthin, wenn dieser Krieg nicht wäre.«
Überrascht sagte Jim: »Was ist mit Miss Augusta?«
»Ja, das kommt dazu«, sagte Charles. Eine Weile starrte er ins Feuer.
Aus der Dunkelheit rief einer der Scouts: »Charlie? Ich glaube, dein Grauer ist los.«
Er sprang auf, verschüttete sein Essen. Durch blattloses Gesträuch stürmte er in die Richtung, in die der andere Mann gedeutet hatte. Richtig, da war sein Pferd und malmte heftig an einem Stück grauen Tuches; Sport hatte seinen Haltestrick zerrissen.
Ärgerlich zerrte Charles die Decke aus Sports Maul. Der Graue wieherte, entblößte die Zähne, stieß nach Charles’ Hand. »Verdammt noch mal, Sport, was ist los mit dir?« Natürlich wußte er, was los war. Es gab kein Futter mehr; der Hunger machte die Pferde wild.
Charles stieß heftige Flüche aus, als er im Schein eines anderen Feuers die Rippen des Grauen sah, so gleichmäßig wie Eisenbahnschwellen. Seit Wochen schon wußte er, daß Sport an Gewicht verlor. Er schätzte, daß der Graue dreißig oder vierzig Pfund weniger wog als damals, als er ihn gekauft hatte. Dieses Dahinsiechen erfüllte Charles mit Wut und Schmerz, genau wie das Schicksal der anderen Tiere. Viele starben. Warum nicht? Auch ihre Sache starb. Fast jeden Tag schickte Hampton Reitertrupps auf die Suche nach Futter; nur selten fanden sie was. Beide Seiten hatten den Staat leer gefegt.
Charles’ Zustand blieb auch Hampton nicht verborgen, der zum Generalmajor ernannt worden war und bei der letzten Neuorganisation eine Division bekommen hatte. Fitz Lee hatte die gleiche Beförderung und die andere Division erhalten. Eines Abends lud Hampton Charles in sein Zelt ein.
In dem tiefgoldenen Licht der Laternen sah Wade Hampton immer noch fit aus, ein kleines Wunder angesichts der ernsten Wunden, von denen er sich hatte erholen müssen. Doch Charles bemerkte auch Linien in seinem Gesicht, die noch nicht da gewesen waren, als Hampton die Legion aufgestellt hatte. Ein neuer, feierlicher Ernst hüllte den General wie einen Mantel ein.
Sie plauderten eine Weile über alles mögliche, doch Charles hatte das Gefühl, daß dies nur der Vorbereitung auf etwas anderes diente. Er täuschte sich nicht.
»Ich möchte Ihnen etwas sagen, das Sie, wie ich weiß, schon von vielen anderen gehört haben, einschließlich Ihres Freundes Fitz.«
Charles wartete, auf der Hut. Hampton wirbelte einen kleinen Rest Whiskey in seiner Blechtasse herum. »Sie sollten nichts Geringeres sein als Brigadier, Charles. Sie verfügen über die Erfahrung. Und über die Fähigkeit – «
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