»Da stimme ich dir zu – vor allem jetzt, wo er sich wegen der Fehlschläge des Präsidenten in einem solchen Zustand befindet.«
»Siehst du? So verrückt ist der Einfall also doch nicht.«
Mit dem Finger strich er an ihrem Nacken auf und ab. »Bloß mal angenommen, er kommt uns, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, auf die Schliche. Gerät aus dem Gleichgewicht, ist daher nicht mehr vertrauenswürdig.« Er ließ ihre Haarsträhne los und legte seine Hand auf den Sharps-Revolver mit den vier Läufen. »Auch damit können wir fertig werden.«
Ashtons Blick ging von seinem Gesicht zu der glänzenden Waffe und zurück. Erschreckt, erfreut und ganz plötzlich erregt schlang sie die Arme um seinen Hals, küßte ihn und flüsterte: »Oh, mein liebster Lamar. Du bist so klug.«
»Dann hast du nichts gegen meinen Plan einzuwenden?«
»Nein.«
»Nicht das geringste?«
Über seine Schulter hinweg sah sie den glänzenden Sharps-Revolver. »Nein – nein. Ich bin mit allem einverstanden, was du willst, so lange ich nur für immer bei dir bleiben kann.«
Sie spürte ihn gegen ihr Kleid, groß und potent. Sie hatte das Gefühl, mehr als nur etwas Physisches zu berühren. Sie berührte seine Stärke; seine Ambitionen; die Macht, die sie schließlich miteinander teilen würden.
»Für immer«, wiederholte Powell und hob sie wie ein Kind hoch. »Dafür müssen wir allerdings darin übereinstimmen, daß James Huntoon, Esquire, nötigenfalls geopfert wird.«
Ihr leidenschaftlicher Kuß gab ihm die Antwort.
Spät am Mittwoch, dem 1. Juli, trat Stanley aus dem Erste-Klasse-Abteil des Zuges von Baltimore. Selbst durch den Schleier von einigen kräftigen Schlucken aus der Bourbonflasche hindurch konnte er kaum fassen, was ihm während der letzten vierundzwanzig Stunden alles zugestoßen war.
Gerüchte von einer bevorstehenden Schlacht hatten Lehigh Station erreicht. Er und Isabel hatten gerade gepackt, um sich auf den Familiensommersitz Fairlawn in Newport zurückzuziehen, als Stantons scharf formuliertes Telegramm eintraf. Stanley war fast die ganze gestrige Nacht und den heutigen Tag unterwegs gewesen. Erschöpft und halb betrunken hatte er schließlich gegen halb sieben das Heiligtum des Ministers betreten und zehn Minuten lang Stantons Zorn über sich ergehen lassen, bevor er mit einer Mietkutsche zur Nordseite des Capitol Square fuhr. Hier stand das Gebäude, das seit 1861 als Gefängnis diente.
Stanley hatte seine Ankunft angekündigt. Bakers Brauner, Slasher, war am Ringpfosten beim Eingang angebunden. Der Colonel wartete draußen, in bösartiger Stimmung, aber eindeutig nervös. Bei ihm befand sich der Gefängnisdirektor Wood.
»Wo ist er?« wollte Stanley von Wood wissen.
»Raum 16. Wo wir alle Reporter unterbringen.«
»Haben Sie die anderen aus dem Raum entfernt? Es ist wichtig, daß mich niemand erkennt. Zeitungsleute würden mich bestimmt erkennen.« Man versicherte ihm, daß das erledigt worden sei. »Sie haben das versaut, Baker – das wissen Sie?«
»Nicht meine Schuld«, beschwerte sich Baker, als Stanley die Stufen hochzusteigen begann.
»Der Minister sieht das anders. Wenn wir das nicht wieder hinbiegen, dann kann es Sie Ihr kostbares Spielzeug kosten – diese vier Kavallerietruppen, zu denen Sie Mr. Lincoln überredet haben.«
Raum 16 war eine lange, trostlose Kammer mit einem dreckigen Fenster am Ende. Spinnweben verklebten die Ecken. Merkwürdige Flecken färbten die Wände; auf Feldbetten häuften sich schmutzige Decken und Gepäck. Die Möblierung bestand aus zwei dreckigen Tischen und Bänken. Mit Kohle hatte jemand an die Wand geschmiert: Hier wird Maultierfleisch serviert.
»Untere Koje, links«, flüsterte Wood.
Der Fußboden knarrte, als sie auf Zehenspitzen zu dem kleinen, fast zwergenhaften Mann schlichen, der mit dem Rücken zu ihnen schnarchte. Die sichtbare Seite seines Gesichts war übel zerschlagen, sein Auge nur noch ein verquollener Schlitz.
»Guter Gott«, sagte Stanley.
Randolph bewegte sich, wachte aber nicht auf. Stanley schob Baker beiseite und ging hinaus. Unten in Woods Büro knallte er die Tür zu und sagte: »Folgendes ist geschehen. Eine schwarze Hure entkam, als Randolph bei Mrs. Devores geschnappt wurde. Die Hure telegraphierte Cincinnati. Die Besitzer von Randolphs Zeitung sind Demokraten, aber sie besitzen genügend Einfluß in Ohio, um eine Antwort von der republikanischen Regierung verlangen zu können – womit speziell Mr. Stanton gemeint ist. Habeas Corpus hin oder her, Randolph wird morgen früh entlassen.«
Baker seufzte. »Damit wäre das also erledigt.«
»Den Teufel ist es. Wer hat ihn so schlimm zugerichtet?«
»Der Mann, den Sie mir geschickt haben, Dayton.«
»Werden Sie ihn los.«
Baker strich sich achselzuckend den Bart. »Nichts leichter als das.«
»Und die Zeugen.«
»Nicht ganz so einfach.«
»Warum nicht? Eine ist in Haft.«
»Die weiße Prostituierte«, sagte Wood. »Sie war bei der anderen Frau.«
»Besorgen Sie sich den Namen der Niggerin bei Mrs. Devore«, befahl Stanley. »Finden Sie sie, und bringen Sie beide Frauen aus Washington raus. Drohen Sie ihnen, geben Sie ihnen Bestechungsgeld, aber auf jeden Fall will ich sie fünfhundert oder tausend Meilen von hier entfernt haben. Sie sollen falsche Namen annehmen, wenn ihnen ihr Fell lieb ist.« Baker wollte Einwände erheben, aber Stanley plusterte sich auf: »Tun Sie, was ich Ihnen sage, Colonel, oder Sie haben die längste Zeit den Ersten Bezirk der Columbia Cavalry kommandiert.«
Mit undeutlichem Gemurmel wandte sich Baker ab. Wood kratzte sich am Kinn. »Da ist immer noch Randolph. Niemand hat ihm die Zunge rausgeschnitten.«
Stanley warf dem Direktor einen vernichtenden Blick zu; zu einem solchen Zeitpunkt scherzte man nicht.
»Randolph unterliegt Mr. Stantons Verantwortlichkeit. Der Minister spricht gerade mit Senator Wade, und man kann davon ausgehen, daß einige angesehene Kongreßabgeordnete Randolphs Verlegern einen guten Rat geben werden. Die Botschaft wird ganz simpel sein. Es wird nur zu ihrem Vorteil sein, wenn sie sich ruhig verhalten; wenn nicht, dann werden sie sehr viel Ärger bekommen. Ich nehme an, sie werden sich für ersteres entscheiden. Wenn Randolph dann redet, wer soll seine wilde Geschichte bestätigen? Seine Zeitung wird es nicht tun. Die Frauen auch nicht, die werden verschwunden sein. Dayton ebenfalls. Viele haltlose Geschichten über Regierungsexzesse sind heutzutage in Umlauf. Da kommt es auf eine mehr nicht an.«
»Ich rede morgen mit Dayton«, versprach Baker.
»Heute abend«, sagte Stanley und ging die Treppe hinunter, hinaus auf den Platz.
»Ich bedaure das«, sagte Lafayette Baker zu Elkanah Bent, der sich noch im Halbschlaf befand. Es war halb zwölf. Bent war von Detektiv O’Dell geweckt und ins Büro geschleppt worden.
Baker räusperte sich. »Aber Tatsachen sind Tatsachen, Dayton. Sie haben Randolph durch mehrfache Schläge verletzt.«
Bent umklammerte die Armlehnen seines Stuhls und schob sich vor. »Er hat sich der Verhaftung widersetzt.«
»Selbst dann ist offensichtlich, daß Sie mehr Gewalt als nötig angewendet haben.«
Bent schlug auf den Schreibtisch. »Und was tun Sie und Wood, wenn Sie jemanden befragen? Ich bin im Gefängnis gewesen. Ich habe die Schreie gehört – «
»Das reicht«, sagte Baker mit unheilverkündender Stimme.
»Sie wollen einen Sündenbock – «
»Ich will gar nichts, Dayton. Sie sind ein fähiger Agent, und wenn ich Sie behalten könnte, dann würde ich das auch tun, glauben Sie mir das.« Bent stieß einen Fluch aus. Baker verfärbte sich, kontrollierte aber seine Stimme. »Ich stehe unter Befehl vom Kriegsministerium. Der Minister höchstpersönlich. Aber für das, was Randolph geschehen ist, muß eine gewisse Wiedergutmachung angeboten werden, und ich bedaure – «
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