»Ich weiß nicht«, antwortete Brett. »Niemand weiß genau, wo die Armeen stehen.«
In der Hoffnung auf etwas Kühlung spazierte Brett den Hügeln entgegen, in die von Hazards Licht gerötete Dunkelheit hinein. Wo war Billy? Seit fast drei Wochen hatte sie keinen Brief mehr bekommen. Sie stieg höher, durch den Lorbeer auf den Anhöhen hindurch. Gedankenverloren brach sie einen Lorbeerzweig. Sie erinnerte sich daran, daß Billy ihre Liebe mit dem Lorbeer verglichen hatte. Beide würden sie diese schrecklichen Zeiten überleben, hatte er gesagt. Würden sie wirklich?
Wo mochte ihr Mann heute abend sein? Wo die Armeen? Konnte es sein, daß Harrisburg brannte, und sie hatte in diesem friedlichen Tal keine Ahnung davon? Sie schauderte unter den rötlichen Sternen, starrte nach Südwesten in die Dunkelheit, stellte sich die unsichtbaren Armeen vor, die sich in der heißen Nacht gegenseitig belauerten.
Verstört und verschreckt warf sie den Lorbeerzweig weg und eilte den Hügel hinab. Erst in der Morgendämmerung schlief sie ein.
84
Lee war im Feindesland untergetaucht. Eine Stadt, eine Regierung, ein ganzes Land hielt den Atem an in der Hoffnung auf gute Nachrichten.
Keine guten Nachrichten aus dem Westen, teilte Orry Madeline mit. Rosecrans war in Tennessee in Bewegung, und Grant hielt Vicksburg in einem stündlich enger werdenden Würgegriff. Orrys Arbeit bestand aus einem Alptraum von Konferenzen, Memoranden und ständigen Zusammenstößen mit Winder und dessen Gefängnispersonal über die laufend steigende Zahl der Toten unter den Kriegsgefangenen.
Sie lasen und erwiderten die gelegentlichen Briefe von Philemon Meek. Augusta Barclay besuchte sie für einen Tag und erkundigte sich sehr besorgt nach Cousin Charles. Seit zwei Monaten hatte sie keinen Brief mehr von ihm erhalten; ihre Angst, er könnte bei dem Kavalleriegefecht bei Brandy Station gefallen sein, war groß.
Orry versicherte ihr, daß er die Verlustlisten genau beobachtete; bis jetzt sei der Name von Major Charles Main nirgendwo aufgetaucht. Gus wußte noch nichts von seiner Beförderung. Sie sagte, sie freue sich darüber, aber es klang nicht sonderlich begeistert.
Kurz vor ihrer Abreise brachte sie den Mains gegenüber erneut ihre Dankbarkeit für deren Gastfreundschaft während der Kämpfe bei Chancellorsville zum Ausdruck; sie würde sich gern für die erwiesenen Freundlichkeiten revanchieren. Madeline dankte ihr, und die beiden Frauen umarmten sich; sie hatten Gefallen aneinander gefunden.
Nachdem Gus gegangen war, sagte Madeline: »Irgendwas stimmt nicht zwischen ihr und Charles, ich weiß bloß nicht, was.«
Orry war der gleichen Meinung; genau wie seine Frau hatte er eine gewisse Traurigkeit in den Augen der Besucherin entdeckt.
Auch mit Cooper stimmte etwas nicht. Orry traf seinen Bruder gelegentlich am Capitol Square. Cooper war kurz angebunden und lehnte weitere Essenseinladungen mit einem schroffen »Im Augenblick zu beschäftigt« ab.
Seit einigen Monaten wußte Orry, daß Beauchamps Oyster House in der Main Street als illegaler Briefkasten für Post nach dem Norden diente. Ende Juni schrieb er George einen langen Brief, adressiert an Hazards in Lehigh Station. Er erkundigte sich, wie es Constance und Billy und Brett ging, berichtete von seiner Eheschließung mit Madeline und erwähnte, daß Charles Dienst bei den Iron Scouts tat. An einem schwülen Abend betrat er in dem einzigen Zivilanzug, den er von Mont Royal mitgebracht hatte, Beauchamps und übergab dem Barmann den versiegelten Umschlag, zusammen mit vierzig Konföderiertendollar. Es gab keine Garantie, daß der Brief weiter als bis zur nächsten Mülltonne kommen würde. Doch Orry vermißte seinen alten Freund, und nachdem er es auf Papier zum Ausdruck gebracht hatte, fühlte er sich besser.
Die Junihitze hielt an. Das Warten auch.
»Ich mache mir Sorgen«, sagte Ashton am gleichen Abend, an dem Orry seinen Brief abschickte.
»Worüber?« fragte Powell. Nackt bis auf die Unterhosen saß er da und las die Besitzurkunde über eine kleine Farm durch, die er und seine Partner gekauft hatten. Die Farm lag am Ufer des James, unterhalb der Stadt in der Nähe von Wilton’s Bluff. Powell hatte nicht erklärt, weshalb dieser Besitz einen Vorteil bot, doch Ashton wußte, daß es etwas mit dem Plan, Davis zu eliminieren, zu tun hatte.
Powells Desinteresse brachte Ashton dazu, ärgerlich zu erwidern: »Über meinen Mann.« Er hörte den Zorn in ihrer Stimme und legte die Urkunde beiseite. »Jeden Morgen erkundigt er sich nach meinen Plänen für den Tag. Als ich gestern in der Stadt einkaufen war, hatte ich das komische Gefühl, beobachtet zu werden – und dann entdeckte ich James auf der anderen Straßenseite, wie er hinter einem Wasserwagen lauerte und möglichst unverdächtig dreinzuschauen versuchte.«
»Hat er dir an dem Abend Fragen gestellt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er war noch an der Arbeit, als ich das Haus verließ.«
»Aber du glaubst, er weiß Bescheid?«
»Er hat einen Verdacht. Ich will es nicht, aber ich glaube, ich muß es sagen, Lamar. Vielleicht wäre es besser, wenn wir uns eine Weile nicht mehr sehen würden.«
Seine Augen wurden eisig. »Wenn ich dich richtig verstehe, willst du damit zum Ausdruck bringen, daß ich dich langweile, ja, meine Liebe?«
Sie rannte auf ihn zu, preßte ihre Handflächen gegen seine harte Brust. »Oh, mein Gott, nein, mein Schatz. Nein! Aber James ist so – es läuft schlecht für ihn, und er ist völlig durcheinander. Egal, wie vorsichtig du bist, er könnte dich eines Abends überraschen. Dich verletzen.« Sie begann sich an seiner Hüfte zu reiben. »Es würde mich umbringen, wenn ich für sowas verantwortlich wäre.«
Powell führte ihre Hand tiefer und murmelte: »Nun – vielleicht hast du recht.«
Er erlaubte ihr, noch etwas weiterzumachen, dann schob er abrupt ihre Hand weg und nickte in Richtung eines anderen Stuhls. Gehorsam setzte sie sich hin. »Meine persönliche Sicherheit kümmert mich am wenigsten. Ein gewaltiges Werk ist in Gang gebracht worden. Ich will nicht, daß es durch irgendeine idiotische, vermeidbare Gewalttat gestört wird. Um dir die Wahrheit zu sagen, ich habe mir auch schon Gedanken wegen deines Mannes gemacht.« Er legte die Fingerspitzen gegeneinander. »Letzte Woche bin ich auf eine Möglichkeit gestoßen, sicher zu gehen, daß er keine Bedrohung für uns darstellt. Ich habe darüber nachgedacht und bin jetzt überzeugt davon, daß die Idee vernünftig ist.«
»Was hast du vor? Willst du für seine Entlassung sorgen und ihn heimschicken?«
Powell ignorierte den Sarkasmus. »Ich beabsichtige, ihn für unsere Gruppe zu rekrutieren.«
»Ihn zu rekrutieren?« Sie sprang auf. »Das ist die lächerlichste, um nicht zu sagen gefährlichste – «
»Sei still, und laß mich ausreden.« Seine kalte Stimme brachte sie zum Schweigen. »Natürlich klingt es so – anfangs. Aber denk mal drüber nach. Es sprechen ganz logische, zwingende Argumente dafür.«
»Tut mir leid, ich kann keine entdecken«, konterte sie.
»Bei jedem derartigen Unternehmen braucht man immer eine gewisse Anzahl von – sagen wir mal, Soldaten. Männer, die die gefährlichsten Phasen des Plans ausführen. In unserem Fall müssen diese Männer mehr als vertrauenswürdig sein; sie müssen fanatisch gegen die Freiheit der Nigger sein, denn nur das bringt absolute Loyalität. Unsere Soldaten müssen Davis und seine West-Point-Stümper und die Judenbürokraten hassen und für die Errichtung unserer neuen Konföderation sein. Vom letzten Aspekt abgesehen, von dem er noch nichts weiß, gehe ich davon aus, daß dein Mann all diese Bedingungen erfüllt.«
»Nun, so betrachtet, mag es vielleicht zutreffen.«
Powells verschlagenes Lächeln verstärkte sich. »Und schließlich, wäre es nicht besser, ihn ganz in der Nähe und unter Kontrolle zu haben, als ihn frei herumlaufen zu lassen?« Er kam um den Tisch und wickelte eine Locke ihres Haares um seinen Finger. »Bei einer aktiven Beteiligung deines Mannes könnten wir uns auch wesentlich leichter sehen.«
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