»Ich möchte weiterhin Ihr Freund bleiben, das wissen Sie. Sie sind nicht nur eine gute Frau, sondern es gibt auch noch zwei weitere Wände in der Schule zu tünchen. Niemand geht besser mit Pinsel und Bürste um. Sind Sie sicher, daß Sie nicht irgendwo ein bißchen Sklavenblut in sich haben?«
Sie mußte lachen. »Sie sind unmöglich.«
Er nahm die Zügel, sagte »Hüh«, und der Wagen setzte sich wieder in Bewegung.
»So«, sagte der Mann mit dem roten Bart und den beiden Pistolen unter dem Gehrock. »Sie glauben also, Sie könnten unserer Sonderabteilung bei der Arbeit behilflich sein, die ich Ihnen kurz umrissen habe?«
»Mit absoluter Sicherheit, Colonel Baker.«
»Ich glaube es auch, Mr. Dayton. Ich glaube es auch.«
Bent fühlte sich ganz schwach, und das nicht nur, weil ihm nach wochenlangem Warten endlich Erfolg beschieden war. Mittlerweile war März – Baker hatte wegen dringender Angelegenheiten das Gespräch dreimal verschoben. Bent war schwindlig, weil er kurz vor dem Verhungern stand. Nachdem sich seine eigenen Geldmittel erschöpft hatten, war er gezwungen gewesen, sich von Dills einen kleinen Betrag zu borgen. Aus Sparsamkeitsgründen aß er nur zwei Mahlzeiten pro Tag.
Lafayette Baker hatte die Statur eines Dockarbeiters und die Augen eines Wiesels. Bent schätzte ihn auf fünfunddreißig. Die vergangene Stunde hatte aus einigen wenigen Fragen und einem endlosen Monolog über Bakers Vergangenheit bestanden.
»Die Hauptaufgabe dieses Büros ist, und das kann ich nicht oft genug betonen, die Entlarvung und Bestrafung von Verrätern. Dazu verwende ich die Methoden des Mannes, dessen Karriere ich studiert und mir zum Vorbild genommen habe. Der größte Detektiv von allen: Vidocq, von der Pariser Polizei. Kennen Sie ihn?«
»Nur dem Namen nach.«
»In seinen Anfangszeiten war er ein Krimineller. Aber er wandelte sich und wurde zum verhaßten Feind genau der Klasse, der er entstammte. Sie müssen seine Memoiren lesen, Dayton. Sie sind nicht nur aufregend, sie sind sehr lehrreich. Vidocq besaß eine schlichte, aber wirkungsvolle Philosophie, an die ich mich peinlich genau halte.« Bakers Hand glitt über den Knauf seines Spazierstocks. »Es ist bei weitem besser, hundert Unschuldige zu verhaften, als einen Schuldigen laufen zu lassen.«
»Da stimme ich mit Ihnen überein, Sir.« Eifrige Bereitschaft, für Baker zu arbeiten, war an Stelle der Berechnung getreten.
Bakers kleine, undeutbare Augen richteten sich auf Bent. »Bevor ich Sie in Washington beschäftige, würde ich gerne Ihren Mut testen. Möchten Sie immer noch für mich arbeiten?«
Dem verängstigten Bent blieb keine andere Wahl, als zu nicken.
»Ausgezeichnet. Sergeant Brandt wird die Details erledigen und Sie auf unsere Lohnliste setzen. Zuerst aber werde ich Ihnen Ihren ersten Auftrag beschreiben.« Einschüchterndes Starren. »Sie werden nach Virginia gehen, Mr. Dayton. Hinter die feindlichen Linien.«
72
Fast einen Monat lang hausten sie in einem einzigen kleinen Zimmer; Judith hängte Decken um Marie-Louises Strohsack und schuf so eine etwas ungestörtere Atmosphäre.
Sie hatten Glück gehabt, in der überfüllten Stadt überhaupt ein Zimmer zu bekommen – noch dazu mit Fenstern, die zum Fluß hinausgingen. Cooper saß stundenlang vor dem Fenster, eine Decke über den Beinen, die Schultern gekrümmt, das Gesicht grau und abgemagert von der Lungenentzündung, die ihn zwei Wochen lang dem Tode sehr nahegebracht hatte.
In der Nacht, in der Judah gestorben war, hatten sich die Mains durch die Brandung an den Strand gekämpft. Auf einer mondhellen Düne, zwei Meilen oberhalb der Stellungen, die die Flußmündung bei Confederate Point schützten, waren sie zusammengebrochen. Weitere Überlebende waren am Strand nicht zu finden.
Cooper hatte alles ausgekotzt, all das Salzwasser, das er geschluckt hatte; dann war er am Strand auf und ab gewandert und hatte Judahs Namen gerufen. Marie-Louise lag halb bewußtlos in den Armen ihrer Mutter. Judith hielt ihre Tränen zurück, bis sie es nicht länger ertragen konnte. Dann brach es in lauter Klage aus ihr heraus, und sie kümmerte sich nicht im geringsten darum, ob die ganze verdammte Blockadeflotte sie hörte.
Als der schlimmste Kummer sich gelöst hatte, nahm sie Cooper bei der Hand und führte ihn nach Süden, wo sie Fort Fisher vermutete. Er war fügsam und brabbelte wie ein Verrückter vor sich hin. Endlich taumelten sie in das Fort, und am nächsten Morgen wurde ein Suchtrupp in die Dünen geschickt. Judahs Leiche fanden sie nicht.
Und so waren sie schließlich die achtundzwanzig Meilen den Fluß hoch in die Stadt gekommen, wo Cooper krank geworden war und Judith um sein Leben gezittert hatte. Jetzt hatte er sich zumindest physisch erholt, aber er sprach nur, wenn es unbedingt notwendig war. Blauschwarze Ringe lagen unter seinen Augen, während er das Glitzern der Märzsonne auf dem Fluß beobachtete, das rege Treiben überall. Wilmington erlebte eine Blütezeit.
Beim Gedanken an Judah weinte Judith nachts häufig; nicht mal ein anständiges Begräbnis hatten sie ihm geben können. Coopers Verhalten verstärkte ihre Sorge noch. Er legte nun nicht mehr den Arm um sie, berührte sie nicht und sprach kein einziges Wort, wenn sie nebeneinander in dem harten Bett lagen. Judith weinte lediglich heftiger, schämte sich ihrer Tränen, konnte aber nichts dagegen tun.
Eines Tages gegen Ende März zu platzte Marie-Louise heraus: »Bleiben wir für den Rest unseres Lebens jetzt in diesem schrecklichen Zimmer?« Das fragte sich Judith auch. In der ersten Woche hatte sie Cooper nicht zum Aufbruch drängen wollen; er war immer noch sehr schwach und ermüdete schnell. Angeregt durch die Frage ihrer Tochter schlug sie ihm vor, Minister Mallory zu telegraphieren und ihm ihren Aufenthaltsort mitzuteilen. Er reagierte darauf mit einem trostlosen Nicken und einem dieser Blicke, die so eigentümlich starr und gleichgültig wirkten.
Einige Tage später rannte Judith mit einem dünnen, gelblichen Blatt Papier die Treppe hoch. Cooper saß wie üblich am Fenster und beobachtete die Piers. »Liebling, gute Nachrichten«, sagte sie. Drei Schritte trugen sie durch den vollgestopften Raum. »Im Telegraphenamt war eine Nachricht vom Minister.«
In der Hoffnung, ihn aufzuheitern, hielt sie ihm die gelbliche Kopie entgegen. Er nahm sie nicht. Sie legte das Blatt in seinen Schoß. »Du mußt es lesen. Stephen drückt sein Beileid aus und bittet dich, so bald wie möglich nach Richmond zu kommen.«
Cooper zwinkerte. Sein hageres Gesicht, das ihr in letzter Zeit so merkwürdig fremd vorkam, wurde etwas weicher. »Braucht er mich?«
»Ja! Lies das Telegramm.«
Mit gesenktem Kopf tat er es.
Als er wieder aufblickte, wünschte sie fast, er hätte es nicht getan. Sein Lächeln hatte nichts Menschliches an sich. »Ich schätze, es ist Zeit zu gehen. Ich muß mit Ashton abrechnen.«
»Ich weiß, daß du darüber gebrütet hast. Aber sie ist nicht wirklich verantwortlich für – «
»Sie ist«, unterbrach er sie. »Ballantyne sagte es deutlich – die Eigner wünschen keine Verzögerungen. Sie wollten die Fracht um jeden Preis geliefert haben. Er setzte Judahs Leben aus reiner Gier aufs Spiel. Er und Ashton. Sie trifft die gleiche Schuld.«
Ein Schauder lief Judith über den Rücken. Sie begann die Konsequenzen seines Hasses und seiner Wut zu fürchten.
»Hilf mir hoch«, sagte er unvermittelt, die Decke zur Seite schleudernd.
»Bist du kräftig genug?«
»Ja.« Er schwankte und griff nach ihrem Arm, so fest, daß sie aufstöhnte.
»Cooper, du tust mir weh.«
Ohne Entschuldigung lockerte er seinen Griff. »Wo ist mein neuer Anzug? Ich will zum Bahnhof gehen. Fahrkarten kaufen.«
»Das kann ich doch tun.«
»Ich will! Ich will nach Richmond. Wir sind schon viel zu lange hier.«
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