»Nein, Ihr eigener Mangel an Skrupeln und Patriotismus sind keineswegs allgemeingültig. Ganz bestimmt nicht.«
Ballantynes Lächeln verschwand. »Ich muß Sie nicht mitnehmen, das wissen Sie.«
»Ich glaube doch. Außer Sie wollen, daß die Regierung sich näher um dieses Schiff kümmert. Das läßt sich einrichten.«
Ballantyne raschelte mit den Papieren in seiner Hand. Zum erstenmal klang seine Stimme unsicher. »Versuchen Sie mich zu versenken, und Sie versenken auch jemanden, der Ihnen nahesteht.«
»Was zum Teufel soll das heißen?«
»Mr. Soapes sagte, Sie stammen aus South Carolina. Eine unserer Eignerinnen ebenfalls. Ihr mittlerer Name ist derselbe wie Ihr Nachname, sie besitzt zwanzig Prozent der Water Witch und hat einen Bruder im Marineministerium.«
Das Hafenwasser klatschte gegen den Rumpf. Cooper konnte kaum schlucken, geschweige denn sprechen. Schließlich brachte er hervor: »Was sagen Sie da?«
»Kommen Sie, Sir – tun Sie nicht so, als wüßten Sie von nichts. Zu den Eignern gehört eine Lady namens Huntoon – Mrs. Ashton Main Huntoon aus Richmond und dem Palmetto-Staat. Ist sie – ist sie keine Verwandte?«
Als er Coopers angeekelten Gesichtsausdruck sah, grinste er. »Dacht’ mir’s doch. Hab’ zwei und zwei zusammengezählt, nachdem ich mit Mr. Soapes gesprochen hatte. Sie haben eine Passage auf einem Schiff der Familie gebucht, Mr. Main.«
67
George lehnte am Geländer der Galerie und blickte in den Senatssaal hinunter. Es war der 15. Januar. Er hatte schlecht geschlafen, war oft aufgewacht, zwischen Hoffnungen und Befürchtungen hin und her gerissen.
Wade, der Initiator des Angriffs, erhob sich zuerst.
»Ich habe so oft meine ablehnende Haltung gegen Vorlagen dieser Art zum Ausdruck gebracht, daß ich jetzt keine Zeit mehr verschwenden möchte, Gegenargumente anzuführen.«
Nach weltweit üblicher Politikerart tat er dann genau das.
»Ich weiß, daß diese Institution dem Lande keinen Nutzen gebracht hat. Hätte es keine West-Point-Militärakademie gegeben, so hätte es keine Rebellion gegeben. Von dort kamen die Hauptverräter und Verschwörer.«
Es gab Zwischenrufe und Einsprüche. Die Debatte wurde scharf, dann zügellos, als sich die Minuten zu einer Stunde dehnten.
Senator Wilson, der Vorsitzende des Ausschusses für militärische Angelegenheiten, den George hofiert hatte, gestand Schwächen der Akademie ein, widerlegte dann aber Wade mit eindeutigen Beweisen – den gleichen Zahlen, die George in seinem Brief an die Times benützt hatte. Wilson hielt West Point keineswegs für eine ›Brutstätte des Verrats‹.
Senator Nesmith versuchte den Angriff zu schwächen, indem er die Namen von Absolventen anführte, die ihr Leben für die Union gegeben hatten – Mansfield und Reno zählten zu den Bekanntesten –, und versuchte zum Schluß seiner Rede die Emotionen seiner Kollegen zu wecken, indem er zwölf Zeilen eines Heldengedichts zitierte.
Sofort konterte Wade mit einem Flankenangriff. Gnadenlos verdrehte er die Wahrheit immer weiter und weiter. »Ich bin dafür, diese Institution abzuschaffen.« Vereinzelter Beifall. »Wir wollen nicht, daß sich die Regierung in die militärische Ausbildung einmischt, genausowenig, wie sie sich in irgendeine andere Ausbildung einzumischen hat.«
John Sherman verließ seinen Platz, spürte, daß die Strömung in die falsche Richtung ging, eilte von einem Kollegen zum anderen. Foster aus Connecticut widersprach Wade. Hatten nicht Yale und Harvard ebensoviele Südstaatler ausgebildet wie West Point?
Hämisch sagte Wade: »Yale wird nicht von der Regierung der Vereinigten Staaten finanziert.«
Es ging weiter und weiter: West Point besitze ein ›Monopol‹; weitere Anklagen, daß es die Männer ungenügend ausbilde. Hier ergriff der mächtige Lyman Trumbull zum erstenmal das Wort.
»Weil sie Festungswerke zu errichten verstehen, soll man sie deshalb für Napoleons halten? Hier liegt der Fehler. Was wir für unsere Armeen brauchen, sind Generäle, die auf die Stärke unserer Armeen vertrauen! Lassen wir die Soldaten dieses Landes auf die Rebellion los! Werft jeden Mann, der eine Befestigung zu bauen versteht, aus der Armee, und laßt die Männer des Nordens, mit ihren starken Armen und ihrem unbezähmbaren Geist, über die Rebellen kommen. Ich sage euch, sie werden sie zu Staub zermahlen!«
Der Applaus, sowohl von unten als auch von den Galeriebesuchern oben, klang diesmal wesentlich lauter. Georges Handflächen waren kalt und feucht, sein Herz klopfte viel zu schnell.
Lane zückte einen ganz neuen Satz verbaler Messer. »Diese Institution wird seit mehr als dreißig Jahren eindeutig von den Aristokraten des Südens beherrscht. Ein junger Mann, der sich in West Point einschreibt, wird vor allem angehalten, die elende, sklavenhalterische Aristokratie des Südens zu bewundern – ihm wird die Doktrin der Südstaatensezession als Wissenschaft beigebracht.«
Links von George klatschte jemand. Er wußte, wer es war, wagte aber nicht hinzuschauen. Senator Sherman und mehrere seiner Verbündeten hoben den Kopf; das Klatschen hörte auf.
Die Debatte ging weiter; endlich wurde zur Abstimmung gerufen.
»Wer ist dafür?«
Die Ja-Rufe waren laut, inbrünstig.
»Wer dagegen?«
Die Nein-Rufe waren ebenfalls laut, aber – gaukelte ihm die Hoffnung etwas vor? – weniger.
»Ich schreite zur Abzählung«, sagte Vizepräsident Hamlin. »Neunundzwanzig Ja, zehn Nein.«
Ein Aufstöhnen, in das sich herzlicher Applaus mischte. John Sherman warf George einen erschöpften Blick zu. Erst jetzt wagte es George, sich umzudrehen und dem bleichen, wütenden Stanley einen Blick zuzuwerfen.
George erhob sich, in der Absicht, ein versöhnliches Wort mit seinem Bruder zu wechseln. Stanley stand ebenfalls auf, drehte ihm den Rücken zu, und verließ die Galerie, als George zwei Meter von ihm entfernt war.
George feierte bei Willard’s, hielt andere Offiziere frei, bis niemand mehr da war.
»Ich glaube, Sie sollten jetzt heimgehen«, sagte der Kellner. Er ging heim.
Als er ins Haus geschwankt kam, sagte er zu Constance: »Wir haben gewonnen.«
»Aber du schaust so grimmig drein. Setz dich hin, bevor du umfällst.« Sie schloß die Wohnzimmertüren, damit die Kinder ihn nicht sahen.
»Heute hab’ ich das wahre Gesicht dieser Stadt gesehen, Constance. Ignoranz, Vorurteile, Mißachtung der Wahrheit – das ist das wahre Washington. Einige dieser verdammten Schurken im Senat warfen mit Lügen um sich, als würden sie die Zehn Gebote zitieren. Ich ertrag’ diesen Ort nicht länger. Ich muß irgendwie raus, irgend – «
Sein Kopf rollte zurück, sackte auf seine Schulter. Constance trat hinter ihn, strich ihm über die Stirn. Sein Mund öffnete sich, und er begann zu schnarchen.
Im Gegensatz dazu schien Stanley in der byzantinischen Atmosphäre der Stadt aufzublühen. Er fühlte sich längst nicht mehr als Neuankömmling und genoß die wachsende Verantwortung, die er als Assistent von Mr. Stanton zu tragen hatte. Außerdem verdiente er zum erstenmal in seinem Leben aus eigener Kraft gewaltige Summen.
Natürlich stellte die Genehmigung der Bewilligungsvorlage für West Point einen Rückschlag dar, der ihn auch für mehrere Tage mürrisch stimmte. Dazu kam die Verdrießlichkeit des Ministers, die gleichzeitig mit General Burnsides Feldzug gegen Lee am 20. Januar begonnen hatte; der Feldzug war dann auch bereits zwei Tage später steckengeblieben, nachdem schwere Regenfälle die Straßen von Virginia in ein einziges Morastmeer verwandelt hatten.
Burnsides Anhänger sahen einen Akt Gottes in dem Fehlschlag, der ansonsten hämisch als ›der Schlamm-Marsch‹ bezeichnet wurde. Die Befehlshaber gaben dem General die Schuld und ersetzten ihn durch Joe Hooker. Fighting Joe verkündete seine Entschlossenheit, die Armee neu zu organisieren und alles zu verbessern, angefangen von sanitären Einrichtungen bis zur Hebung der Moral (er begann sofort damit, Urlaub zu bewilligen), und vor allem versprach er, die Rebellen im Frühling auszulöschen.
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