»Eines Tages werd’ ich dir deine Zunge direkt aus dem Schädel schneiden.«
»Schande«, sagte Cicero leise, aber fest. Andere wiederholten das Wort – »Schande, Schande.« Cuffey reckte den Kopf vor und spuckteauf den Boden; ein großer, weißlicher Schleimklumpen zeigte, was er von ihnen hielt.
»Ich will eure Bücher nicht«, sagte er. »Will diesen Platz niederbrennen. Will die verfluchten Leute umbringen, die meine Babys getötet haben, die mich mein ganzes Leben lang angekettet haben.«
»Du bist verrückt«, sagte Jane und stellte sich neben Andy. »Verrückt. Miss Madeline ist die beste Herrin, die du haben kannst. Sie will jedem in diesem Zimmer helfen, sich auf die Freiheit vorzubereiten. Sie ist eine gute Frau.«
»Sie ist eine Weiße, und ich will sie tot seh’n. Ich brenn’ alles nieder, bevor ich hier fertig bin.« Cuffey wirbelte herum, trat die Tür auf und stürmte in die Dunkelheit hinaus.
Auch Janes Schüler schoben sich hinaus. Andy blieb. Jane schaute ihn an. »Cuffey ist nicht zu helfen, oder? Er ist bösartig geworden.«
»Denk’ schon.«
»Ich wollt’, er wär’ noch mal davongerannt. Hab’ noch nie einen Neger getroffen, der mir so viel Angst einjagt wie er.«
Ohne nachzudenken lehnte sie ihren Kopf gegen Andys Hemd. Er legte eine Hand um ihre Taille, streichelte mit der anderen ihr Haar. Es war ganz selbstverständlich und tröstend.
»Brauchst keine Angst vor Cuffey zu haben«, sagte er. »Ich paß auf dich auf. Immer, wenn du mich läßt.«
»Was?«
»Ich sagte – immer. Wenn du mich läßt.«
Langsam beugte er sich zu ihr hinunter und küßte sanft ihren Mund. Etwas ging mit ihr vor, drückte sich in einem erstaunten kleinen Lachen aus. Sie wußte, daß sie ihre Zukunft besiegelt hatten. Mit diesem einen Kuß. Sie gestand sich ein, daß sie sich schon während der letzten Wochen in ihn verliebt hatte.
Visionen überfielen sie, befleckten den Augenblick. Statt Andys Gesicht sah sie Cuffey vor sich, und in den zuckenden Schatten an der Zimmerdecke erblickte sie Mont Royal in Flammen.
»Resolution Nummer 611 des Hauses«, sagte Senator Sherman und tippte auf das Dokument auf seinem Schreibtisch. »Wie Sie sehr wohl bissen, wird die Akademie kein Geld mehr haben, wenn sie nicht in beiden Häusern durchkommt.«
George nieste. Draußen fegte der Schnee waagrecht vorbei. George Putzte sich die Nase mit einem gewaltigen Taschentuch und fragte dann: »Wann wird die Bewilligungsvorlage behandelt?«
»Morgen.«
Das Büro roch nach alten Zigarren. Eine Golduhr tickte. Um zwanzig nach zehn lagen die meisten Einwohner der Stadt daheim im Bett. George wünschte sich auch dorthin. Trotz seines dicken Armeemantels konnte er nicht warm werden.
»Was wird das Haus damit machen?«
»Herumspielen«, erwiderte der jüngere Bruder des Generals. »Die Zehntausend für die Dacherneuerung der Akademiegebäude kürzen. Vielleicht die Vergrößerung der Kapelle streichen. Die Mitglieder des Finanzausschusses möchten ihre Autorität zeigen, aber ich bezweifle, daß sie wesentlichen Schaden anrichten werden. Das Kriegsbeil wird erst ausgegraben, wenn die Vorlage zu uns kommt.«
»Wade ist immer noch fest entschlossen?«
»Absolut. Er benimmt sich wie ein Verrückter, wenn es um dieses Thema geht. Sie kennen seinen Haß auf den Süden.«
»Verdammt noch mal, John, West Point ist nicht der Süden.«
»Das ist Ihre Ansicht, George, die leider nicht von allen Senatsangehörigen geteilt wird.«
»Wie stehen die Chancen, daß die Vorlage abgeschmettert wird?«
»Kommt darauf an, wer spricht und wie überzeugend. Wade wird jede erdenkliche Anstrengung unternehmen und jeden nur vorstellbaren Grund anführen, um die Sache zu Fall zu bringen. Lane wird sich ihm anschließen.«
»Das ist keine Antwort«, unterbrach ihn George. »Wie stehen die Chancen?«
Sherman starrte ihn an. »Bestenfalls – fünfzig zu fünfzig.«
»Wir hätten mehr tun müssen. Wir – «
»Wir haben alles nur Erdenkliche getan«, warf der Senator ein. »Jetzt können wir nur noch den Ausgang abwarten.« Er kam um seinen Schreibtisch herum. »Gehen Sie nach Hause, George. Wir brauchen keine Offiziere, die an Lungenentzündung sterben.«
Mit grauem Gesicht schlurfte George hinaus.
In dem Schneesturm brauchte er eine dreiviertel Stunde, um einen Fahrer aufzutreiben, der bereit war, die lange Fahrt nach Georgetown zu unternehmen. Mit klappernden Zähnen sackte er in der Kutsche in sich zusammen. Mit der Hand hämmerte er gegen die Wand der Kutsche. »Wir hätten einfach mehr tun müssen!«
»Was ist da los?«
»Nichts«, brüllte er zurück. Als er endlich in sein Haus taumelte, war er schweißgebadet und halb bewußtlos.
66
Judah beugte sich über die Steuerbordreling. »Schau mal, Pa. Ist das ein Yankee?«
Cooper spähte in den morgendlichen Dunst und entdeckte den Dampfsegler, auf den sein Sohn gezeigt hatte. Er lag mit gerefften Segeln auf Reede. Die Flagge hing schlaff im hellen Licht. Er konnte nur die Farben erkennen – rot, weiß, mit einem tiefblauen Teil. Er bezweifelte, daß es sich dabei um die Nationalflagge der Konföderation handelte. »Ich denke schon.«
Ein kleines Boot brachte den Lotsen an Bord. Kurz darauf wurden die Maschinen lauter, und die Isle of Guernsey dampfte in den geschützten Hafen, der mit Dampfern und Segelschiffen überfüllt war. Dahinter erkannte Cooper das grünliche Flirren von New Providence Island.
Der Dampfer hatte sie durch die gewaltige See und winterliche Stürme in diese schläfrige Wärme gebracht. Unterwegs hatte der britische Lademeister Cooper die hauptsächliche Schiffsfracht gezeigt: lange und kurze Enfield-Gewehre, Kugelgußformen, Patronen, Patronentaschen, Sergeballen. Das alles mußte für die gefährliche Fahrt durch die Blockade auf ein anderes Schiff umgeladen werden.
Judith, hübsch und freudig erregt in dem neuen Hut, den er ihr als vorzeitiges Weihnachtsgeschenk überreicht hatte, gesellte sich mit ihrer Tochter zu ihm. »Hier haben wir ein weiteres Argument für das, was ich dir gestern nacht zu erklären versuchte«, sagte Cooper zu seiner Frau. »Dort drüben hält ein Yankeeschiff Wache. Ich würde mich wesentlich wohler fühlen, wenn ich ein Haus in Nassau mieten könnte, wo – «
»Cooper Main«, unterbrach sie ihn. »Das Thema ist für mich erledigt.«
»Aber – «
»Die Diskussion ist beendet. Ich werde nicht mit den Kindern hier bleiben, während du fröhlich nach Richmond segelst.«
»Daran ist nichts Fröhliches«, grollte er. »Es ist eine sehr gefährliche Reise. Die Blockade wird ständig schärfer. Es ist fast unmöglich, nach Savannah und Charleston hineinzukommen, und in Wilmington sieht’s nicht viel besser aus. Ich hasse es, daß du dieses Risiko eingehen mußt.«
»Ich habe mich entschieden, Cooper. Wenn du es riskierst, dann riskieren wir’s auch.«
»Hurra«, rief Judah, sprang herum und klatschte in die Hände. »Ich will ins Dixie-Land und General Jackson sehen.«
»Ich will auf kein Boot, auf das geschossen wird«, sagte Marie-Louise. »Ich möchte lieber hier bleiben. Schaut hübsch aus. Kann ich mir hier einen Papagei kaufen?«
»Still«, sagte ihre Mutter.
Abfall suchende Möwen bildeten eine lärmende Wolke am Bug. Innerhalb einer Stunde lag die Isle of Guernsey vor Anker; ein Leichter brachte die Mains und ihr Gepäck zum überfüllten Prince-George-Kai. Hier wimmelte es nur so von weißen Matrosen, schwarzen Schauerleuten, bunt gekleideten Frauen, die keiner erkennbaren Beschäftigung nachgingen, glitzernden Bergen von Cardiff-Kohle und Baumwolle – endlos viele Ballen, jeder mit Dampf auf sein halbes Volumen zusammengepreßt.
Die gepflasterte Uferstraße konnte kaum all die Menschen und den Verkehr fassen. Der Krieg mochte den Süden aushungern, aber dieser Insel hatte er ungezügeltes Wachstum und Reichtum beschert.
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