Meek brachte Cuffey in Eisen nach Mont Royal zurück. Er wurde ärgerlich, als Madeline zusätzliche Bestrafung untersagte. Die Krankheit während der Flucht sei ausreichende Strafe, sagte sie.
Es beunruhigte sie, daß Cuffey keine zweite Flucht versucht hatte. Er war hinter Jane her, aber Jane konnte ihn nicht ausstehen. Blieb Cuffey, weil er irgendeinen wirren Plan hatte, der Plantage nach ihrer Abreise Schaden zuzufügen?
Zehn Minuten später klopfte sie an die Bürotür und trat ein. Meek legte seine Bibel beiseite – er las jeden Tag ein bißchen darin – und rückte seine Brille zurecht. Ein Glück, daß wir ihn gefunden haben, dachte Madeline. Er war jenseits der Altersgrenze, die das im September erlassene zweite Einberufungsgesetz vorschrieb, und sollte beliebig lange auf Mont Royal bleiben können – natürlich vorausgesetzt, daß Jeff Davis nicht aus Verzweiflung Großväter einzuziehen begann.
»Sind Sie bereit, Miss Madeline? Ich rufe Aristotle, damit er das Gepäck auflädt.«
»Danke, Philemon. Noch eines, bevor ich fahre. Sollte es zu einem Notfall kommen, zögern Sie nicht zu telegraphieren. Falls das nicht möglich ist, schreiben Sie. Ich komme dann sofort nach Hause.«
»Hoffe, das wird nicht nötig sein – zumindest nicht, bevor Sie nicht wenigstens eine Stunde bei Ihrem Mann sein konnten.«
Sie lachte. »Das hoffe ich auch. Um die Wahrheit zu sagen, ich kann’s kaum erwarten, ihn zu sehen.«
»Wundert mich nicht. Schweres Jahr für Sie gewesen. Sollte alles glatt laufen, falls die Blaubäuche nicht näher rücken. Hab’ gestern gehört, daß ein Steuereintreiber unten in Beaufort Lincolns Proklamation vorgelesen hat. Große Mengen von Negern hatten sich um einen Baum versammelt, den sie bereits auf den Namen Emanzipations-Eiche getauft haben.«
Sie beschrieb kurz ihr Zusammentreffen mit Cuffey. Meek fuhr auf. »Nichts zu tun, eh? Werd’ dafür sorgen, daß sich das ändert.«
»Nicht nötig. Andy kümmert sich schon darum.«
»Übler Bursche, dieser Cuffey«, erklärte Meek.
»Ich weiß, daß Sie mit ihm fertig werden. Sie haben großartige Arbeit geleistet, Philemon – bei den Leuten, mit dem Pflanzen und der Ernte.«
Er setzte zum Sprechen an, zögerte, sprach es dann doch aus. »Wär’ gut, wenn Sie Jane sagen würden, sie kann nicht mehr unterrichten. Lernen ist schlecht für die Neger, vor allem in solchen Zeiten.« Er räusperte sich. »Ich bin unbedingt dagegen.«
»Das ist mir bewußt. Sie kennen auch meine Lage. Ich habe Jane gegenüber ein Versprechen abgegeben. Und ich glaube, auf Mont Royal bleibt es ruhiger, wenn sie hier unterrichtet, als wenn sie nach Norden gehen würde.«
»Eins ist sicher – wenn sie geht, dann verlieren wir Andy.« Der Verwalter spähte unter seinen buschigen Brauen hervor. »Trotzdem nicht richtig, wenn Neger lernen. Ist außerdem gegen das Gesetz.«
»Die Zeiten ändern sich, Philemon. Die Gesetze müssen sich ebenfalls ändern. Ich übernehme die volle Verantwortung für Janes Aktivitäten und ihre Folgen.«
Meek machte einen letzten Versuch. »Wenn Mr. Orry über Jane Bescheid wüßte, würde er vielleicht nicht – «
»Er weiß Bescheid. Ich habe es ihm letztes Jahr geschrieben.«
Meek gab auf. »Ich wünsche Ihnen eine sichere Reise. Hörte, die Eisenbahnschienen sind in ziemlich üblem Zustand.«
»Danke für Ihre Besorgnis.« Nach kurzem Zögern eilte sie auf ihnzu und umarmte ihn; er hustete und errötete. »Passen Sie auf sich auf.«
»Das werd’ ich. Grüßen Sie den Colonel von mir.«
Er holte, das Gesicht immer noch scharlachrot, Aristotle für die kurze Fahrt zu der wenige Meilen entfernten kleinen Eisenbahnstation. Madeline fuhr los, den ungefähr vierzig Sklaven zuwinkend, die sich zu ihrem Abschied in der Einfahrt versammelt hatten.
Ein Stück abseits stand Cuffey mit über der Brust verschränkten Armen und beobachtete sie ebenfalls.
An diesem Abend hielt Jane im Krankenzimmer Unterricht ab.
Zweiunddreißig Schwarze drängten sich in den weißgetünchten, von Kerzen erhellten Raum. Andy saß mit gekreuzten Beinen in der ersten Reihe. Cuffey lehnte mit verschränkten Armen in einer Ecke; selten nur wich sein Blick von Janes Gesicht. Diese Art von Aufmerksamkeit war ihr unangenehm, aber sie versuchte sie nach Möglichkeit zu ignorieren.
»Versuch es, Ned«, bat sie einen schlaksigen Feldarbeiter. Mit ihrem Schreibinstrument, einem Stück Kreide, tippte sie gegen ihre Tafel, eine Kiste. »Drei Buchstaben.« Nacheinander zeigte sie darauf.
Ned schüttelte den Kopf. »Weiß nich’.«
Sie stampfte mit dem nackten Fuß auf. »Vor zwei Tagen hast du’s noch gewußt.«
»Ich vergeß’! Ich arbeit’ schwer ganzen Tag, werd’ müd. Bin nich’ klug genug für solche Sachen.«
»Doch, das bist du, Ned. Ich weiß, daß du es bist, und du mußt selber auch dran glauben. Versuch es noch mal.« Sie beherrschte ihre Ungeduld. Sie tippte gegen die Tafel. »Drei Buchstaben: N, E, D. Das ist dein Name, erinnerst du dich?«
»Nein.« Ärgerlich. »Tu ich nich’.«
Jane stieß die Luft aus; sie fühlte sich müde und erschöpft. Madelines Abreise hatte sie stärker berührt, als sie vorher geahnt hatte.
»Machen wir Schluß für heute«, sagte sie. Das brachte ihr Proteste ein. Ihr ältester Schüler, Cicero, protestierte am heftigsten. Cicero, vor kurzem Witwer geworden, war mit seinen neunundsechzig Jahren zu alt für die Feldarbeit, hatte aber geschworen, daß er noch vor seinem nächsten Geburtstag lesen und schreiben konnte. Er sagte, er würde als gebildeter Mann sterben, falls er nicht lange genug lebte, um als freier Mann zu sterben.
Cuffey, der Abend für Abend auf demselben Fleck stand, sagte schließlich: »Sollten für immer Schluß machen, denk’ ich.«
Andy erhob sich. »Wenn du nichts lernen willst, dann bleib doch weg.«
Andy machte gute Fortschritte in seinen Studien, was einer der Gründe war, weshalb sich Janes Gefühle für ihn änderten. Ein Grund, aber nicht der einzige. Zweimal hatte er sie scheu geküßt. Das erstemal auf die Stirn, das zweitemal auf die Wange. Dieser ernste, entschlossene junge Mann veränderte ihr Leben auf eine Art und Weise, die sie selbst nicht ganz verstand.
Als Antwort auf Andys Worte grollte Cuffey: »Werd’ ich vielleicht. Keiner von uns muß hier bleiben. Geh’n wir runter nach Beaufort, da sind wir frei.«
»Sicher«, sagte Cicero und fuchtelte mit einem Finger vor Cuffey herum. »Du geh runter nach Beaufort – du verhungerst, weil du ein dummer Nigger bist, der seinen Namen nicht lesen oder schreiben kann.«
»Paß auf, was du sagst, alter Mann.«
Cicero wich keinen Millimeter zurück. Cuffey starrte wild um sich und wandte sich an die ganze Gruppe. »Werd’ nicht verhungern in Beaufort. Die geben den Freigelassenen Land. Stück Land und ein Maultier.«
»Du baust also was an«, sagte Andy, »und die weißen Agenten betrügen dich, weil du ihre Zahlen nicht zusammenrechnen kannst.«
Cuffey reagierte auf Vernunft mit Zorn. »Jemand hat dich zu ‘nem guten Besitzstück erzogen, Nigger. Hast ja kein Rückgrat.«
Andy stürzte sich auf ihn. Cicero trat dazwischen; er keuchte vor Anstrengung, die beiden viel jüngeren Männer auseinanderzuhalten.
»Ich hasse es so sehr wie du, Besitz zu sein«, schleuderte Andy zurück. »Meine Momma wurde verkauft, meine kleine Schwester auch. Glaubst du, ich lieb’ die Leute, die das getan haben? Tu ich nicht, aber ich hab’ Besseres zu tun, als sie zu hassen. Ich werd’ frei sein, Cuffey, und ich kann nicht aus eigener Kraft leben, wenn ich dumm bleib’ wie du.«
Schweigen.
Blicke glitten von Mann zu Mann. Schatten huschten über die weißgetünchte Decke. Füße scharrten über den Boden. Cuffey hob die geballte Faust.
Читать дальше