»Weiß nichts von Liebhaben; ich liebe Bonbons und so was«, sagte Topsy.
»Aber Vater und Mutter hast du lieb?«
»Hab ich nie gehabt, das weißt du doch, Fräulein Eva.«
»Ach ja, ich weiß«, sagte Eva niedergeschlagen; »aber hast du keine Geschwister, oder eine Tante oder…«
»Nein, niemand — hab nix und niemand.«
»Aber, Topsy, wenn du es nur einmal versuchtest, dann könntest du.«
»Könnte ich auch nur ein Nigger sein, und wär ich noch so brav«, sagte Topsy. »Wenn meine Haut abging und ich darunter weiß wäre, dann würde ich es versuchen.«
»Aber man kann dich auch liebhaben, wenn du schwarz bist, Topsy. Miß Ophelia hätte dich gleich lieb, wenn du brav bist.«
Topsy gab ein kurzes, stumpfes Lachen von sich, das ihren Unglauben ausdrücken sollte.
»Glaubst du das nicht?«
»Nie; sie kann mich nicht ausstehen, weil ich ein Nigger bin — lieber läßt sie sich von einer Kröte berühren. Niemand kann Niggers liebhaben, und dagegen können Nigger nix machen. Mir ist es gleich«, sagte Topsy und begann zu pfeifen.
»Oh, Topsy, du armes Kind, ich habe dich lieb!« sagte Eva in einem jähen Gefühlsausbruch und legte ihr dünnes, weißes Händchen auf Topsys Schulter; »ich hab dich lieb, weil du nie Eltern und Freunde gehabt hast, weil du so ein armes, gescholtenes Kind bist! Ich habe dich lieb und möchte, daß du brav bist. Mir geht es nicht sehr gut. Topsy, ich werde nicht mehr lange leben, da macht es mir Kummer, daß du so ungezogen bist. Sei doch gut, mir zuliebe; ich werde nicht mehr lange bei dir sein.«
Tränen stiegen in die runden, glänzenden Augen Topsys; große, helle Tropfen rollten einer nach dem andern langsam hernieder und fielen auf die weiße, kleine Hand. In diesem Moment war ein Strahl echten Glaubens, ein Strahl himmlischer Liebe durch die Dunkelheit ihrer heidnischen Seele gedrungen! Topsy neigte ihren Kopf auf die Knie und weinte und schluchzte.
»Arme Topsy!« sagte Eva, »weißt du nicht, daß der Herr Jesus alle gleich liebhat? Er ist ebenso bereit, dich zu lieben wie mich. Er liebt dich genauso wie ich, nur viel mehr, weil er ja besser ist. Er wird dir helfen, damit du dich besserst und auch in den Himmel kommst und ein Engel wirst, ganz, als ob du weiß wärst. Denke doch, Topsy, dann kannst du auch zu den glänzenden Engeln gehören, von denen Onkel Tom singt.«
»Oh, liebes Fräulein Eva!« sagte das Kind, »ich will mir Mühe geben! Ich will es versuchen. Bisher war es mir ganz gleich.«
In diesem Augenblick ließ St. Clare den Vorhang fallen.
»Das erinnert mich an meine Mutter«, sagte er zu Miß Ophelia. »Es trifft zu, was sie mir sagte: wollen wir die Blinden sehend machen, müssen wir bereit sein, es wie Jesus zu machen — sie zu uns rufen und ihnen die Hand auflegen.«
»Ich habe immer eine Abneigung gegen Neger gehabt«, sagte Miß Ophelia. »Tatsächlich war es mir unerträglich, wenn das Kind mich berührte; aber ich ahnte nicht, daß sie das wußte.« »Das bekommt jedes Kind heraus«, sagte St. Clare; »das kann man ihnen nicht verheimlichen. Aber ich glaube, daß alle Versuche in der Welt, einem Kind Gutes zu tun und ihm die besten Dienste zu erweisen, nicht die geringste Dankbarkeit erzeugen, solange dieser Widerwille in unserem Herzen wohnt.«
»Ich weiß nicht, wie ich dagegen angehen soll«, sagte Miß Ophelia. »Sie sind mir unangenehm, und dieses Kind ganz besonders. Wie kann ich es nur bezwingen?«
»Eva kann es augenscheinlich.«
»Ach, sie ist die Liebe selbst. Dabei handelt sie eigentlich nur christlich«, sagte Miß Ophelia; »wäre ich ihr doch ähnlich! Sie könnte mir ein Beispiel sein.«
»Dann wäre es nicht das erstemal, daß ein Kind als Mittel gebraucht würde, einen alten Sünder zu bekehren, wenn dem wirklich so wäre«, sagte St. Clare.
Die verräterischen Kräfte, die Eva für kurze Zeit belebten, schwanden jetzt rasch dahin; immer seltener hörte man ihren leichten Schritt auf der Veranda, immer häufiger lag sie auf ihrer kleinen Liegestatt am offenen Fenster, die großen, tiefen Augen auf die steigenden und fallenden Wasser des Sees gerichtet.
Als sie eines Nachmittags dort ruhte, die durchsichtigen Finger kraftlos zwischen den Seiten ihrer halbgeöffneten Bibel — hörte sie mit einmal die Stimme ihrer Mutter in scharfem Ton auf der Veranda.
»Was soll das, du garstiges Ding? Was hast du wieder ausgeheckt? Blumen abgepflückt, wie?« und Eva hörte eine klatschende Ohrfeige.
»Großer Gott, gnädige Frau, sie sind doch für Fräulein Eva«, hörte sie eine andere Stimme, die sie unschwer als diejenige Topsys erkannte.
»Fräulein Eva, schönste Ausrede! Bildest du dir ein, sie will deine Blumen, du nichtsnutziger Nigger! Pack dich weg!«
Im selben Moment war Eva aufgesprungen und erschien in der Veranda.
»Nicht doch, Mutter! Ich hätte die Blumen sehr gern; komm, gib sie her; ich freu mich!«
»Aber Eva! Dein ganzes Zimmer ist doch voll davon!«
»Blumen hab ich nie genug«, sagte Eva. »Komm, Topsy, bring sie mir.«
Topsy, die mit gesenktem Kopf trotzig dagestanden, kam jetzt heran und reichte ihr die Blumen hin. Sie tat es zögernd und verlegen, gar nicht mehr mit der koboldartigen Keckheit, die man sonst an ihr gewöhnt war.
»Welch schöner Strauß!« sagte Eva und betrachtete ihn.
Es war ein ungewöhnliches Arrangement — eine leuchtende, scharlachrote Geranie und eine einzige Kamelie mit ihren glänzenden Blättern, offensichtlich im Hinblick auf den Farbkontrast und die Wirkung jedes einzelnen Blattes zusammengestellt.
Topsys Gesicht verklärte sich, als Eva sagte: »Topsy, du bindest aber hübsche Sträuße. Hier in dieser Vase habe ich noch keine Blumen. Könntest du mir da nicht jeden Tag ein paar bringen?«
»Wie merkwürdig!« sagte Marie. »Wozu in aller Welt willst du das?«
»Ach, laß nur, Mama; du hast doch nichts dagegen, wenn Topsy das übernimmt?«
»Aber gerne, liebes Kind. Topsy, du hast gehört, was deine junge Herrin wünscht; nun besorge es auch!«
Topsy machte einen kurzen Knicks und schlug die Augen nieder; als sie sich umdrehte, sah Eva eine Träne über die dunkle Wange rinnen.
»Siehst du, Mama, ich wußte doch, daß Topsy mir einen Gefallen tun wollte«, sagte Eva zu ihrer Mutter.
»Ach, Unsinn! Sie wollte nur wieder Unheil stiften. Sie weiß, sie darf keine Blumen pflücken — darum tut sie es gerade. Aber wenn du es möchtest, meinetwegen.«
»Mama, ich glaube, Topsy hat sich geändert; sie will jetzt ein braves Mädchen sein.«
»Da muß sie sich noch eine Weile üben, bis ihr das gelingt«, sagte Marie und lachte mitleidlos.
»Nun, du weißt doch, Mama, alles war immer gegen die arme Topsy.«
»Nicht mehr, seitdem sie hier ist, sollt' ich meinen. Man hat ihr zugeredet, gepredigt, ihr alles Erdenkliche angetan, und sie ist immer noch garstig wie am Anfang. Mit diesem Geschöpf kann man nichts anfangen!«
»Aber, Mama, es ist doch ein Unterschied, ob man so wie ich aufwächst mit vielen Freunden und so vielem, was gut und glücklich macht, oder so wie sie aufwuchs, bevor sie zu uns kam.«
»Das mag schon sein«, sagte Marie und gähnte. — »Du liebe Zeit, wie heiß ist es heute!«
»Mama, du glaubst doch auch, daß Topsy ein Engel werden könnte, wenn sie getauft wäre?«
»Topsy? Was für eine lächerliche Vorstellung! Darauf kannst auch nur du verfallen. Doch ist es wohl möglich.«
»Aber Mama, ist nicht der liebe Gott auch ihr Vater, genauso wie unserer? Ist nicht Jesus auch ihr Heiland?« »Nun, das mag sein. Gott hat wahrscheinlich alle geschaffen«, sagte Marie, »wo ist denn mein Riechfläschchen?«
»Es ist ein Jammer — oh, so ein Jammer!« sagte Eva, über den fernen See hinausblickend und halb zu sich selbst sprechend.
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