»Das ist eine deiner roten Republikanerideen, Augustin! Warum gingst du nicht zur Rednertribüne? Du hättest einen glänzenden Volksredner abgegeben. Glaub mir, die angelsächsische Rasse ist die herrschende Rasse in der Welt und wird es auch bleiben.«
»Nun, unsere Sklaven haben eine gute Portion angelsächsisches Blut abbekommen. Viele unter ihnen sind nur noch so weit afrikanisch, um unserer berechnenden Vorausschau und Entschlossenheit tropische Wärme und Glut zu geben. Wenn jemals die Stunde von St. Domingo schlägt, angelsächsisches Blut wird sie anführen. Söhne weißer Väter, unseren Hochmut in ihren brennenden Adern, werden sich dann nicht länger kaufen, verkaufen und verschachern lassen. Sie werden sich erheben und die Rasse ihrer Mutter mit sich emporreißen.«
»Hirngespinste — Unfug!«
»Geh, alles Reden hat keinen Zweck, Alfred. Wir haben diese Pfade wohl schon öfter als fünfhundertmal verfolgt. Was hältst du von einer Partie Puff?«
Beide Brüder eilten die Verandastufen hinauf und saßen bald an einem Bambustischchen, das Spielbrett zwischen sich. Als sie die Figuren aufsetzten, bemerkte Alfred:
»Hör mal, Augustin, wenn ich deiner Meinung wäre, würde ich aber etwas tun.«
»Höchstwahrscheinlich — du gehörst zu den Tatmenschen; aber was?«
»Nun, zum Beispiel, deine Leute ausbilden lassen«, sagte Alfred mit einem halb zornigen Lächeln.
»Ebensogut könntest du den Ätna auf sie wälzen und sie dann aufstehen heißen, ein einzelner vermag nichts gegen eine Gemeinschaft. Soll Erziehung wirksam sein, muß sie vom Staat ausgehen; oder man muß allgemein darin übereinstimmen, ehe man sie in Umlauf setzt.«
»Du hast den ersten Wurf«, sagte Alfred, und die Brüder waren bald so in ihr Spiel vertieft, daß sie nichts mehr hörten, bis das Getrampel von Pferdehufen unter der Veranda zu vernehmen war.
»Dort kommen die Kinder«, sagte Augustin aufstehend. »Sieh doch, Alf! Hast du je ein so hübsches Bild gesehen?« Es war tatsächlich ein hübscher Anblick. Henrique, mit seiner kühnen Stirn unter dunklen, glänzenden Locken und seinen glühenden Wangen, lachte fröhlich, als er sich beim Näherkommen zu seiner Kusine beugte. Sie trug ein blaues Reitkleid mit einer Kappe in derselben Farbe. Die frische Luft hatte ihre Wangen gerötet und die Wirkung ihrer durchsichtigen Haut und des goldenen Haares gesteigert.
»Bei Gott, welch blendende Schönheit!« sagte Alfred. »Ich versichere dir, Augustin, sie wird eines Tages noch Herzen brechen.«
»Ja, das wird sie — Gott weiß, wie ich das fürchte!« sagte St. Clare in einem Ton plötzlicher Bitterkeit, als er hinuntereilte, um das kleine Mädchen vom Pferd zu heben.
»Eva, mein Liebling, bist du nicht zu müde?« fragte er, als er sie in die Arme schloß.
»Nein, Papa«, antwortete das Kind; aber ihr kurzer, harter Atem beunruhigte den Vater.
»Warum bist du so schnell geritten, mein Herzblatt? Du weißt doch, es ist nicht gut für dich.«
»Es ging mir so gut, Papa, und machte mir solch großen Spaß, da habe ich es vergessen.«
St. Clare trug sie auf seinen Armen ins Wohnzimmer und legte sie aufs Sofa.
»Henrique, du mußt auf Eva aufpassen«, sagte er, »sie darf nicht so schnell reiten.«
»Ich werde sie unter meinen Schutz nehmen«, antwortete Hen–rique, setzte sich neben das Sofa und ergriff Evas Hand.
Eva erholte sich rasch. Ihr Vater und Onkel kehrten zu ihrem Spiel zurück und ließen die Kinder allein.
»Weißt du, Eva, ich bin so traurig, daß Papa nur zwei Tage hier bleibt. Ich werde dich dann so lange nicht wiedersehen. Wenn ich bei dir bliebe, wollte ich schon gut sein und mich nicht über Dodo ärgern. Ich will Dodo nicht schlecht behandeln; ich gerate nur so schnell in Wut. Dabei bin ich gar nicht böse zu ihm. Ich gebe ihm immer mal ein Trinkgeld, und du siehst doch, er ist auch gut angezogen. Ich finde, im ganzen geht es Dodo gar nicht schlecht.«
»Würdest du auch denken, es ginge dir nicht schlecht, wenn du in der ganzen Welt niemand hast, der dich liebhat?«
»Ich? Nein, natürlich nicht!«
»Und doch hast du Dodo von allen Freunden weggenommen, und nun hat er niemand mehr: da kann keiner gut sein.«
»Aber das kann ich nicht ändern. Ich kann ihm seine Mutter nicht verschaffen, und ich selbst kann ihn nicht liebhaben.«
»Und warum nicht?«
»Dodo liebhaben? Aber Eva, das wirst du nicht verlangen. Ich kann ihn gern haben, aber seine Diener kann man nicht liebhaben.«
»Ich tue es.«
»Wie komisch.«
»Sagt nicht die Bibel, wir sollen alle liebhaben?«
»Ach, die Bibel! Sicher sagt sie viel dergleichen, aber niemand denkt daran, das zu befolgen — du weißt doch, Eva, niemand!«
Eva sagte nichts; ihre Augen blickten ihn nachdenklich an.
»Auf jeden Fall«, sagte sie, »lieber Vetter, hab du den armen Do–do lieb, und sei gut zu ihm, meinetwegen.«
»Deinetwegen, Kusinchen, tu ich alles; denn ich finde, du bist das lieblichste Geschöpf, das ich kenne.« Henrique hatte mit solchem Ernst gesprochen, daß sein hübsches Gesicht erglühte. Eva nahm es in aller Unschuld hin, ohne daß sich ihre Züge veränderten. Sie sagte nur: »Da bin ich sehr froh, Henrique. Hoffentlich vergißt du es nicht.«
Der Gongschlag beendete ihre Unterhaltung.
23. Kapitel
Erste Schatten
Zwei Tage später nahmen Alfred St. Clare und Augustin Abschied voneinander. Eva, die sich durch die Gesellschaft ihres jungen Vetters zu Anstrengungen hatte hinreißen lassen, die weit über ihre Kräfte gingen, siechte jetzt zusehends dahin. St. Clare erklärte sich nun bereit, ärztlichen Rat einzuholen; er hatte sich immer davor gescheut, weil er damit eine unwillkommene Wahrheit eingestand. Aber einige Tage ging es Eva so schlecht, daß sie im Haus bleiben und der Doktor gerufen werden mußte.
Marie St. Clare hatte von den langsam schwindenden Kräften ihres Kindes, als dessen Opfer sie sich fühlte, keinerlei Notiz genommen.
Miß Ophelia hatte verschiedentlich versucht, ihre mütterliche Besorgnis zu erregen, aber ohne Erfolg.
»Ich wüßte nicht, was ihr fehlen sollte«, hatte sie erwidert, »sie läuft umher und spielt.«
»Aber sie hustet, und ihre Kräfte lassen nach, sie ist immer außer Atem.«
»Pah! Das bin ich jahrelang gewesen, das ist eine nervöse Angelegenheit!«
»Aber sie ist jede Nacht schweißgebadet!«
»Nun, das bin ich seit zehn Jahren; häufig sind meine Sachen zum Auswringen naß; dann ist an meinem Nachthemd kein trockener Faden mehr, und die Laken sind in einem Zustand, daß Mammy sie zum Trocknen aufhängen muß. Eva kann gar nicht so schwitzen!«
Daraufhin hatte Miß Ophelia den Mund gehalten. Aber als nun Eva sichtbar darniederlag, änderte Marie ihre Taktik.
Sie wüßte es ja, sagte sie, sie hätte es immer gefühlt, daß sie die unglücklichste aller Mütter sei. Hier läge sie mit ihrer zerrütteten Gesundheit und müßte mit eigenen Augen mitansehen, wie ihr geliebtes Kind ins Grab sinke.
»Es ist ja wahr«, sagte St. Clare, »Eva ist sehr zart — das wußte ich immer; sie ist so rasch gewachsen und hat damit ihre Kräfte erschöpft, ihr Zustand ist kritisch. Aber jetzt liegt sie darnieder wegen der großen Hitze, weil der Besuch ihres Vetters sie aufregte und sie sich überanstrengte. Der Arzt sagte, es sei durchaus Grund zur Hoffnung.«
»Nun freilich, wenn du es von der günstigsten Seite aus betrachtest — bitte, tue es; es ist nur gut, daß manche Leute nicht diese empfindlichen Nerven haben. Ich wollte, ich könnte es so leicht nehmen wie ihr anderen!«
Diese >anderen< hatten allen Grund, in dieses Gebet miteinzustim–men, denn Marie nahm ihr neues Unglück nur zum Anlaß, ihre Umwelt aufs neue zu quälen. Jedes gesprochene Wort, alles, was getan oder unterlassen wurde, war nur ein neuer Beweis für die Hartherzigkeit und Gefühllosigkeit ihrer Umgebung gegenüber ihren eigenen Schmerzen. Als die kleine Eva diese Reden vernahm, weinte sie sich vor Mitleid mit ihrer armen Mama fast die Augen aus, daß sie ihr so viel Kummer bereitete.
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