Ulerich selbst schien weder der einen noch der andern dieser Besorgnisse Raum zu geben. Er pflog bei verschlossenen Türen mit Ambrosius Volland Rat; man sah viele Eilboten kommen und abgehen, aber niemand erfuhr, was sie brachten. In Stuttgart aber glaubte man fest, der Herzog müsse in der fröhlichsten Stimmung sein, denn wenn er mit seinem glänzenden Gefolge durch die Straßen ritt, alle schönen Jungfrauen grüßte und mit den Herren zu seiner Seite scherzte und lachte, da sagten sie: »Herr Ulerich ist wieder so lustig, wie vor dem Armen Konrad.« Er hatte seinen Hofstaat wieder glänzend eingerichtet. Zwar war es nicht mehr wie früher der Sammelplatz der bayerischen, schwäbischen und fränkischen Grafen und Herren, zwar fehlte die Fürstin, die sonst einen schönen Kranz blühender Fräulein um sich versammelt hatte, aber dennoch fehlte es nicht an schönen Frauen und schmucken Edeln seinen Hof zu verherrlichen, und die Luft dieser Stadt schien schon damals der Schönheit so günstig zu sein, daß die bunten Reihen in den Sälen und Hallen des Schlosses nicht einer gewöhnlichen Versammlung, sondern einer Auswahl aus den schönen Frauen des Landes glich.
Tänze und Ritterspiele waren in ihre alten Rechte eingesetzt worden, Fest drängte sich an Fest und Ulerich schien eifrig nachholen zu wollen, was er in der Zeit seines Unglücks versäumt hatte. Keines der geringsten dieser Feste war die Hochzeit Georgs von Sturmfeder mit der Erbin von Lichtenstein.
Der alte Herr hatte sich lange nicht entschließen können, sein Wort zu halten; nicht daß er die Wahl seiner Tochter mißbilligt hätte, denn er liebte seinen Eidam väterlich, er sah in ihm seine eigene Jugend wieder aufblühen, er schlug ihm seine freiwillige Verbannung mit dem Herzog hoch an; aber wie der Horizont von Ulerichs Glück, so war auch die Stirne des alten Mannes noch immer umwölkt, denn er ahnte, daß es nicht so bleiben werde, wie es jetzt war, und tief schmerzte es ihn, daß der Herzog in so mancher wichtigen Angelegenheit von seinem Rat nicht Gebrauch machte, sondern alles heimlich mit seinem Kanzler abhandelte. So hatte er unschlüssig und betrübt diesen Tag der Freude immer hinausgeschoben, aber die schönen Augen seiner Tochter, in welchen er oft einen leisen Vorwurf zu lesen glaubte, Georgs Bitten nötigten ihm endlich einen bestimmten Termin ab. Der Herzog ließ es sich nicht nehmen, die Hochzeit auszurichten Er mochte sich jener Nächte erinnern, wo der Vater nicht müde ward, ihm seine Anhänglichkeit zu bezeugen; wo die zarte Tochter keinen Sturm, keine Kälte scheute, um ihn am Burgtor zu empfangen, um ihn mit warmen Speisen zu laben. Er mochte sich noch aus der jüngsten Vergangenheit der Opfer erinnern, die ihm der Bräutigam gebracht hatte, er zeigte auf glänzende Art, wie er Treue, Aufopferung und Liebe, die sich ihm so selten bewährt hatten, zu vergelten wisse. Der Ritter und seine Tochter waren bisher noch immer seine Gäste im Schloß zu Stuttgart gewesen, jetzt ließ er ein schönes Haus nächst der Kollegiaten-Kirche mit neuem Hausgeräte versehen und übergab am Vorabend der Hochzeit den Schlüssel dem Fräulein von Lichtenstein, mit dem Wunsche, sie möchte es, sooft sie in Stuttgart sei, bewohnen.
Und jetzt endlich war der Tag gekommen, welchen Georg oft in ungewisser Ferne aber immer mit gleicher Sehnsucht geschaut hatte. Er rief sich am Morgen dieses Tages das ganze Leben seiner Liebe zurück; er wunderte sich, wie alles so ganz anders gekommen war, als er sich gedacht hatte. Wie hätte er, als er damals durch den Schönbuch nach der Heimat zog, denken können, daß das Glück, die Geliebte ganz zu besitzen, nicht mehr so ferne liegen werde, als er fürchtete. Wie hätte er, als er sich an das Bundesheer anschloß, ahnen können, daß der Herzog, welchen er zu bekriegen kam, sein Glück gründen werde. Mit welch heiterer Ruhe dachte er jetzt an die Stürme jener Tage zurück, wo es ihm zuerst wieder möglich geworden war, der Geliebten ein Wörtchen der Liebe zuzuflüstern, wo er die Schreckenskunde vernahm, daß ihr Vater ein Feind des Bundes, sie mit sich hinwegführen werde; wo er in Bertas Garten die unglücklichste Stunde seines Lebens im schmerzlichen Abschied von der Geliebten hinbrachte, wo er auf lange, vielleicht auf ewig verloren glaubte, was heute auf ewig sein werden sollte. Jedes Wort der Geliebten kehrte wieder in seiner Erinnerung, und er mußte aufs neue ihre hohe Zuversicht, ihren schönen Glauben an ein gütiges Geschick bewundern, den sie auch damals, wo die Zukunft mit einem düsteren Schleier verhüllt, und keine Aussicht, keine Hoffnung mehr war, nicht verlor, den sie mit dem letzten Abschiedskusse auch ihm mitzuteilen wußte.
»Er hat uns nicht gelogen, dieser Glaube«, sprach der junge Mann, von der Erinnerung bewegt, zu sich, »es lebt eine heilige, ahnungsvolle Stimme in ihrer reinen Seele, und ihr klares Auge das in dem meinigen die Gewißheit meiner Liebe las, tauchte auch damals tief in die Zukunft und verkündete Glück, es wird sie auch jetzt nicht täuschen, wenn es ein süßes, ungestörtes Glück in unserer Verbindung liest.«
Ein bescheidenes Pochen an der Türe unterbrach die lange Gedankenreihe, die sich an den heutigen Tag knüpfen, und in die ferne Zukunft hinausziehen wollte. Es war Herr Dieterich von Kraft, der stattlich geschmückt zu ihm eintrat.
»Wie?« rief dieser Schreiber des Großen Rates zu Ulm, und schlug voll Verwunderung die Hände zusammen. »Wie? in diesem Wams wollet Ihr Euch doch hoffentlich nicht trauen lassen? Es ist schon neun Uhr, die Gänge und Treppen des Schlosses wimmeln von Hochzeitgästen, die von Samt und Seide glänzen, und Ihr, die Hauptperson im Stück, schauet ruhig zum Fenster hinaus, statt Euren Anzug zu besorgen?«
»Dort liegt der ganze Staat«, erwiderte Georg lächelnd; »Barett und Federn, Mantel und Wams, alles aufs schönste zubereitet, aber Gott weiß, ich habe noch nicht daran gedacht, daß ich dieses Flitterwerk an mich hängen solle. Dies Wams ist mir lieber als jedes schöne neue. Ich habe es in schweren, aber dennoch glücklichen Tagen getragen.«
»Ja, ja! ich kenne es wohl; das habt Ihr bei mir in Ulm getragen, und es ist mir noch wohl erinnerlich, wie Euch Berta in diesem blauen Kleid abschilderte, daß ich recht eifersüchtig ward. Aber Flitterwerk nennt Ihr die Kleider da? Ei, der Tausend! Hätte ich nur mein Leben lang solche Flitter. Ha, das weiße Gewand mit Gold gestickt, und der blaue Mantel von Samt! Kann man was Schöneres sehen? Wahrlich Ihr habt mit Umsicht ausgewählt, das mag trefflich stehen zu Euren braunen Haaren.«
»Der Herzog hat mir es zugeschickt«, antwortete Georg, indem er sich ankleidete, »mir wäre alles zu kostbar gewesen.«
»Ist doch ein prächtiger Herr, der Herzog, und jetzt erst, seit ich einige Zeit hier bin, sehe ich ein, daß man ihm bei uns in Ulm zuviel getan hat. An einem solchen Hofe ist es doch was anderes als in den Städten; und Herzog von Württemberg klingt auch schöner als Bürgermeister von Ulm. Und doch möcht ich nicht in seiner Haut stecken; Ihr werdet sehen, Vetter, es geht noch einmal bergab mit ihm.«
»Das ist Euer altes Lied, Herr Dieterich; erinnert Ihr Euch noch, wie Ihr damals in Ulm großtatet mit Eurer Politika und wie Ihr regieren wolltet in Württemberg? Wie ist es denn jetzt?«
»Ist nicht alles eingetroffen«, erwiderte der Ratsschreiber mit weiser Miene; »weiß noch wie heute, daß ich prophezeite die Schweizer ziehen heim, die Landschaft werden wir für uns gewinnen, und die Burgen werden wir einnehmen.«
»Ja, ja! Ihr habt sie erobern helfen«, lachte Georg, »seid ja in einer Sänfte zu Feld getragen worden; aber damals sagtet Ihr auch, der Herzog werde nie zurückkehren, und jetzt sitzt er ganz warm und ruhig hier.«
»Nicht so ruhig als Ihr glaubt. Zwar ich wollte ihm und Euch wünschen, er behielte sein Land; uns hat es doch nichts genützt, die großen Herren nehmen alles für sich, an unsereinen kam nichts als etwa die Ehre für den Bund geköpft zu werden; möchte es ihm wohl gönnen; aber – glaubet mir, es sieht nicht so ruhig aus, als man hier meint. Die vertriebenen Räte haben von Eßlingen aus an den Kaiser und das Reich geschrieben und geklagt, der Bund ist wieder auf den Beinen; bei Ulm steht schon wieder ein neues Heer.«
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