Nicht so fröhlicher Art waren die Nachrichten, die ihm Georg mitteilte, als er mit ihm und Marien die Treppe heraufstieg. »Der Herzog«, hatte ihm jener zugeflüstert, »der Herzog ist nicht so wie er sollte; Gott weiß was er mit seinem Lande machen will, er hat unterweges sonderbare Reden fallen lassen, und ich fürchte er ist nicht in den besten Händen. Der Kanzler Ambrosius Volland –« Dieser einzige Name reichte hin, in dem Ritter von Lichtenstein große Besorgnisse aufzuregen. Er kannte diesen Volland, er wußte, daß er zwar gelehrt, in allen Regierungsgeschäften überaus wohlerfahren, zu jedem, auch dem schwersten Dienst bereit, aber dabei ein Mann sei, der zum wenigsten schon öfter ein gewagtes, wo nicht falsches Spiel gespielt habe.
»Wenn der Herzog diesem sein Vertrauen schenkt, wenn er nur seine Ratschläge befolgt, dann sei Gott gnädig. Dem Ambrosius ist das Land ein Stück Leder, das man nach Willkür handhaben kann, er wird es zurechtschneiden wollen zu einem Koller für den Herzog und die Abschnipfel für sich behalten. Aber wie Frau Rosel zu sagen pflegt: ›Zerschneiden kann jeder Narr, aber wie zusammennähen?‹ « So sprach der alte Herr von Lichtenstein zu sich, als er durch die Galerien ging; er streichelte unmutig seinen langen weißen Bart, und seine Augen glühten vom Eifer für die gute Sache Württembergs.
Er wurde sogleich vorgelassen, und traf den Herzog in großer Beratung mit Ambrosio. Der letztere hatte eine ungeheure Schwanenfeder in der einen Hand, in der andern hielt er ein Pergament, das mit schwarzer, roter und blauer Dinte in vielen zierlichen Schnörkeln beschrieben war. Der Herzog spielte mit einem großen Sigill, das er in der Hand hielt, er schien mit sich zu kämpfen, er sah bald seinen Kanzler durchdringend an, bald heftete sich sein Blick wieder auf das Sigill. Sie waren beide so vertieft, daß Lichtenstein einige Minuten im Zimmer stand, ohne von ihnen bemerkt zu werden; er betrachtete mit großer Teilnahme die edlen Züge Ulerichs von Württemberg. Er sah, wie auf seiner Stirne, in seinen sprechenden Augen, so verschiedene Empfindungen wechselten. Bald runzelte sich seine Stirne, seine Augenbrau'n zuckten, sein Auge rollte, dann glätteten sich diese Falten, aus seinen Blicken strahlte nur ein tiefer Ernst, der in Nachdenken überging, und oft schien ein Anflug von Güte den strengen Ausdruck seiner Züge zu mildern. Aber der im gelben Mäntelein, mit der Schwanenfeder in der Hand, stand wie der Versucher vor ihm; er wandt' und drehte sich vor ihm, wie die Schlange im Paradies, und das ewig stehende Lächeln, der Ausdruck von Ehrlichkeit, den er seinen grünen Äuglein zu geben wußte, wenn ihn sein Herr scharf ansah, sollten einladen den Apfel anzubeißen.
»Ich kann nicht begreifen«, sprach er mit heiserer feiner Stimme, »warum Ihr es nicht tun möget. Hat wohl Cäsar so lange gezaudert, als er über den Rubikon ging? Ein großer Mann hat große Mittel nötig, und die Mitwelt und die Nachwelt wird Euch preisen, daß Ihr diese Fesseln von Euch geworfen.«
»Weißt du dies so gewiß, Ambrosius Volland?« entgegnete der Herzog, indem er ihn düster anblickte. »Man wird sagen: Herzog Ulerich war ein Tyrann. Er hat die alte Ordnung umgestoßen, die seinen Vätern heilig war, er hat den Vertrag, den er selbst aufgerichtet, gebrochen, er hat sein Land wie ein fremdes behandelt, er hat die Gesetze nicht gehalten, die –«
»Erlaubet«, unterbrach ihn jener, »es kommt nur allein auf die Frage an: ›Wer ist Herr? der Herzog oder das Land?‹ Wenn das Land Herr ist, dann ist's was anderes. Dann freilich sind allerlei Pakten, Verträge, Klauseln und dergleichen nötig. Die Ritterschaft, die Prälaten und die Landschaft sind dann Meister, und Euer Durchlaucht – nun, sind dann der, welcher den Namen dazu hergibt. Seid Ihr aber, was man so eigentlich Herr nennt, dann seid Ihr es auch, der Gesetze gibt. Jetzt habt Ihr das Heft in der Hand; jetzt noch seid Ihr Herr und Meister. Drum fort mit dem alten Recht, hier ist ein neues – da, nehmt in Gottes Namen die Feder, unterzeichnet.«
Der Herzog stand noch eine Weile unschlüssig, seine Wangen glühten, seine ganze Gestalt richtete sich höher auf, aber sein Auge haftete noch am Boden. Jetzt schlug er es auf, und es blitzte vom Gefühl seiner Würde. »Ich heiße Württemberg«, sagte er; » ich bin das Land und das Gesetz – ich unterschreibe.« Er streckte die Rechte aus, die Schwanenfeder aus der Hand seines Kanzlers zu empfangen, aber mit sanfter Gewalt wurde sein Arm von einer fremden Hand ergriffen und weggezogen. Erstaunt sah er sich um, und blickte in die ruhigen aber ernsten Züge des Ritters von Lichtenstein.
»Ha! willkommen«, rief er, »mein getreuer Lichtenstein; sogleich steh ich Euch Rede, lasset mich nur zuvor dies Pergament unterzeichnen.«
»Erlauben Euer Durchlaucht«, sagte der alte Mann, »Ihr habt mir eine Stimme zugesagt in Eurem Rat, darf ich nicht auch wissen um die erste Verordnung, die Ihr an Euer Land ergehen lasset.«
»Mit Euer hochedeln Erlaubnis«, fiel Ambrosius Volland hastig ein, »das Ding hat Eile; die Bürgerschaft von Stuttgart versammelt sich schon auf der Wiese; diese Schrift muß ihr vorgelesen werden; es hat wahrhaftig Eile.«
»Nun, Ambrosius!« sagte der Herzog, »So gar eilig ist es nicht, daß wir unserem alten Freund die Sache nicht mitteilen sollten. Wir haben nämlich beschlossen, uns huldigen zu lassen, und zwar nach neuen Verträgen und Gesetzen. Die alten sind null und nichtig.«
»Das habt Ihr beschlossen? um Gottes willen, habt Ihr auch bedacht, zu was dies führt? Habt Ihr nicht erst vor wenigen Tagen den Tübinger Vertrag beschworen?«
»Tübingen!« rief der Herzog mit schrecklicher Stimme, indem seine Augen von Zorn glühten. »Tübingen! nenne dies Wort nicht mehr. Dort hatte ich all meine Hoffnung, dort war mein Land, meine Kinder, ha, und dort haben sie mich verraten und verkauft. Ich bat, ich flehte, sie sollen zu mir halten, ich wolle Gut und Blut mit ihnen teilen – nichts! man wollte von Ulerich nichts mehr; das neue Regiment gefiel ihnen besser, im Elend haben sie mich schmachten lassen, haben zugegeben, daß ihr Herzog in Verbannung war, haben geduldet, daß der Name Württemberg ein Hohngelächter wurde in allen Reichen – jetzt bin ich wieder Herr und Meister, habe das Heft in der Hand, und will mir's nicht wieder aus der Hand wenden lassen. Haben sie ihren Eid vergessen, bei Sankt Hubertus, so ist mein Gedächtnis auch nicht länger. Tübinger Vertrag? Ich sag, der Teufel soll alles holen, was mit diesem Namen sich verknüpft!«
»Aber bedenken Euer Durchlaucht!« sprach Lichtenstein, von diesem Ausbruch der Leidenschaft erschüttert, »bedenket doch, welchen Eindruck ein solcher Schritt auf das Land machen muß. Noch habt Ihr nichts als Stuttgart und die Gegend; noch liegen in Urach, Asperg, Tübingen, Göppingen, überall noch bündische Besatzungen. Wird die Landschaft Euch beistehen, den Bund zu verjagen, wenn sie hört, auf welche neue Ordnung sie huldigen solle?«
»Ich sag: ist mir die Landschaft beigestanden, als ich Württemberg mit dem Rücken ansehen mußte? Sie haben mich laufen lassen und dem Bund gehuldigt!«
»Vergebt mir, Herr Herzog«, entgegnete der Alte mit bewegter Stimme; »dem ist nicht also. Ich weiß noch wohl den Tag bei Blaubeuren. Wer hielt da zu Euch, als die Schweizer abzogen? Wer bat Euch nicht vom Land zu lassen, wer wollte Euch sein Leben opfern? Das waren achttausend Württemberger. Habt Ihr den Tag vergessen?«
»Ei, ei, Wertester!« sagte der Kanzler, dem es nicht entging, welchen mächtigen Eindruck diese Worte auf Ulerich machten. »Ei! Ihr sprechet doch auch etwas zu kühnlich. Ist übrigens jetzt auch gar nicht die Rede von damals, sondern von jetzt. Die Landschaft ist von der alten Huldigung gänzlich abgekommen, hat dem Bunde eine andere Huldigung getan; Seine Durchlaucht ist jetzt als ein neuangekommener Herr anzusehen; er hat dies Land mit Gewalt erobere; hat sich nun der Bund auf besondere Verträge huldigen lassen, so kann es der Herzog ebenso halten. Neuer Herr, neu Gesetz. Man kann sich in allewege nach eigenem Gutdünken huldigen lassen. Soll ich die Feder eintauchen, gnädiger Herr?«
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