Als er die Verwaltung des Gutes in die Hand nahm, ernannte er sogleich, ohne dabei einen Fehlgriff zu tun, auf Grund einer gewissen Begabung, die Menschen zu durchschauen, zu Ältesten, Schulzen und Schreibern gerade diejenigen Leute, die die Bauern selber gewählt haben würden, wenn sie hätten wählen können, und seine Beamten wechselten niemals. Bevor er die chemischen Eigenschaften des Düngers untersuchte, bevor er sich mit Debet und Kredit abgab, wie er spöttisch zu sagen pflegte, unterrichtete er sich über den Viehstand seiner Bauern und suchte ihn mit allen nur möglichen Mitteln zu heben. Die Bauernfamilien unterstützte er in der großzügigsten Weise, erlaubte aber nicht, daß sie sich in verschiedene Zweige teilten. Die Faulen, Liederlichen und Schwachen verfolgte er und suchte sie aus der Gemeinde zu vertreiben.
Bei Saat und Ernte von Heu und Getreide kümmerte er sich ebenso um die Felder seiner Bauern wie um seine eigenen. Und bei wenigen Landwirten waren die Felder so rechtzeitig bestellt und so früh und mit solchem Ertrag abgeerntet wie bei Nikolaj.
Mit den Gutsleuten gab er sich nicht gern ab, nannte sie Krippenreiter, hielt sie zu locker und verwöhnte sie, wie alle sagten. Wenn über einen der Gutsleute verfügt werden sollte, und vor allem, wenn eine Strafe verhängt werden mußte, befand sich Nikolaj immer in solcher Unentschlossenheit, daß er das ganze Haus um Rat fragen mußte, und nur, wenn er einen Gutsknecht statt eines Bauern zu den Soldaten geben konnte, tat er dies, ohne einen Augenblick zu schwanken. Doch bei allen Anordnungen, die seine Bauern betrafen, regte sich bei ihm nie der geringste Zweifel. Alles, was er in dieser Hinsicht bestimmte – das wußte er –, würde bis auf eine oder einige wenige Stimmen den Beifall aller finden.
In gleicher Weise erlaubte er sich niemals, einen Mann mit Arbeit zu belasten oder zu bestrafen, nur weil ihm gerade der Sinn danach stand, wie er ebenso wenig jemand von Arbeit befreite oder belohnte, nur weil dies sein persönlicher Wunsch war. Er hätte nicht mit Worten sagen können, worin dieser Maßstab, was er tun und was er nicht tun mußte, eigentlich bestand, aber er trug ihn fest und unerschütterlich in seinem Herzen.
Oft, wenn ihm etwas quer gegangen war, oder wenn er eine Unordnung aufgedeckt hatte, pflegte er ärgerlich zu sagen: »Ja, mit diesem Volk hier in Rußland …« und bildete sich ein, er könne den Bauer nicht leiden.
Und doch liebte er mit der ganzen Kraft seines Herzens dieses »Volk hier in Rußland« und seine Lebensart, und nur deshalb verstand er diesen einzigen Weg und machte sich dieses einzige Verfahren, das gute Früchte tragen kann, zu eigen.
Prinzessin Marja war eifersüchtig auf diese Liebe ihres Mannes zu den Bauern, und es tat ihr leid, daß sie sie nicht teilen konnte. Aber sie hatte kein Verständnis für Freuden und Leiden, die ihm aus dieser ihr fernliegenden, fremden Welt erwuchsen. Sie konnte nicht begreifen, warum er immer so besonders angeregt und glücklich war, wenn er morgens zeitig aufgestanden war, den ganzen Vormittag auf dem Feld oder in der Scheune verbracht hatte, und dann von der Saat, vom Mähen oder von der Ernte zu ihr zum Tee heimkam. Sie begriff nicht, worüber er so entzückt war, wenn er mit Begeisterung von dem reichen, rührigen Bauern Matwjej Jermischin erzählte, der die ganze Nacht mit seiner Familie Garben eingefahren habe, so daß bei ihm nun schon die Scheune voll war, während noch bei keinem anderen das Getreide abgeerntet sei.
Sie begriff nicht, warum er vom Fenster auf den Balkon und vom Balkon wieder ans Fenster lief, vergnügt in seinen Schnurrbart hineinlächelte und mit den Augen blinkte, wenn auf die trockene Hafersaat ein warmer, feiner Regen fiel, oder wenn während der Erntezeit der Wind eine drohende Wolke verjagte, und er mit rotem, glühendem, schweißtriefendem Gesicht, den Duft von Wermut und Bitterwurz im Haar, von der Scheune herüberkam, sich vergnügt die Hände rieb und ausrief: »Na, noch ein einziger Tag mit solchem Wetterchen, und meine Bauern und ich haben alles herein!«
Und noch weniger konnte sie verstehen, warum er mit seinem guten Herzen, er, der immer bereit war, all ihren Wünschen zuvorzukommen, fast in Verzweiflung geriet, wenn sie ihm die Bitte um Arbeitsbefreiung irgendeines Weibes oder Bauern übermittelte, die sich an sie gewandt hatten, und warum er, der gute Nicolas, ihr dies stets hartnäckig abschlug und sie ärgerlich bat, sich nicht in seine Angelegenheiten zu mischen. Sie fühlte, daß er eine Welt für sich hatte, die er leidenschaftlich liebte, eine Welt, in der es Gesetze gab, die sie nicht begreifen konnte.
Und wenn sie dann manchmal in dem Bestreben, ihn zu verstehen, von dem Verdienst zu reden anfing, das er sich erwerbe, wenn er an seinen Untergebenen so viel Gutes tue, ärgerte er sich und antwortete: »Nicht im geringsten; daran denke ich überhaupt nicht. Zu ihrem Wohl tue ich nicht das mindeste. Das ist alles nur Phantasie und Weibergeschwätz, das mit dem Wohl des Nächsten. Ich will, daß meine Kinder einmal nicht zu betteln brauchen, will einen sicheren Grund zu unserem Vermögen legen, solange ich lebe, und weiter nichts. Und dazu brauche ich Ordnung, brauche Strenge … das ist alles!« sagte er und ballte seine Sanguinikerfaust. »Und Gerechtigkeit natürlich auch …«, fügte er hinzu, »denn wenn ein Bauer nackt und hungrig ist und nur einen einzigen Schinder besitzt, so kommt dabei weder für ihn selber noch für mich etwas heraus.«
Und vielleicht gerade weil sich Nikolaj nicht den Gedanken erlaubte, daß er etwas für andere und aus Tugend tue, trug alles, was er anfing, gute Früchte. Sein Vermögen vergrößerte sich schnell. Bauern aus der Nachbarschaft kamen zu ihm und baten, er möchte sie kaufen, und noch lang nach seinem Tod erhielt sich das ehrerbietige Andenken an seine Verwaltung im Volk: »Das war ein Herr! … Zuerst kamen seine Bauern und dann er selber. Na, und viel Federlesens machte er auch nicht. Kurz: ein Herr, wie man ihn sich nur wünschen kann!«
Das einzige, was Nikolaj bei seiner Wirtschaftsführung ab und zu quälte, war sein rasch hochfahrender Zorn, verbunden mit seiner alten Husarengewohnheit, ein lockeres Handgelenk zu haben. In der ersten Zeit hatte er darin nichts Arges gesehen, aber im zweiten Jahr seiner Ehe änderte sich plötzlich seine Ansicht über diese Art der Zurechtweisung.
Eines Tages im Sommer war der Dorfschulze aus Bogutscharowo, der jetzt die Stelle des verstorbenen Dron einnahm, herbeigerufen worden, weil er verschiedener Betrügereien und Verstöße gegen die Ordnung bezichtigt worden war. Nikolaj ging zu ihm auf die Freitreppe hinunter, und schon nach den ersten Antworten des Schulzen hörte man im Flur Schreien und Schlagen. Als Nikolaj dann zum Frühstück nach Hause zurückkehrte, trat er auf seine Frau zu, die, den Kopf tief über ihren Stickrahmen gebeugt, dasaß, und fing wie gewöhnlich an, ihr alles zu erzählen, was ihn an diesem Morgen beschäftigt hatte, unter anderem auch sein Erlebnis mit dem Schulzen von Bogutscharowo. Gräfin Marja saß mit gesenktem Kopf regungslos da, wurde bald rot, bald blaß, preßte die Lippen aufeinander und erwiderte auf die Worte ihres Mannes kein Wort.
»So ein schamloser Patron«, sagte Nikolaj, bei der bloßen Erinnerung in Hitze geratend. »Wenn er mir nur gesagt hätte, daß er betrunken war, ich habe es nicht einmal gesehen … Aber was hast du, Marie?« fragte er plötzlich.
Gräfin Marja hob den Kopf und wollte etwas sagen, aber sie ließ ihn schnell wieder sinken und preßte die Lippen zusammen.
»Was ist dir? Was hast du, mein Herz?«
Die häßliche Gräfin Marja wurde immer hübsch, wenn sie weinte. Sie weinte niemals aus Schmerz oder Ärger, sondern immer nur aus Traurigkeit und Mitleid, und wenn sie weinte, erhielten ihre leuchtenden Augen einen unwiderstehlichen Reiz.
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