»Jochanan, bring warmes Wasser ins Waschhaus, damit der Rabbi und sein Sohn sich säubern können, und sage deiner Mutter, sie soll einen Imbiss für die Gäste bereitstellen und auch den Knecht versorgen. Rabbi Ruben, bitte folgt Jochanan. Wir werden über alles reden, wenn du dich ein wenig erholt hast.«
Eine knappe Stunde später hatten Ruben ben Makkabi und seine Kinder sich mit Elieser in der guten Stube des Hauses versammelt. Während Hannahs Vater und ihr Bruder wie ihr Gastgeber auf bequemen Stühlen am Tisch saßen, hatte die junge Frau auf einem Hocker in der Ecke am Fenster Platz genommen und stickte. Elieser konnte kaum die Augen von Hannah abwenden, Sie war zwar ein paar Jahre älter als er und nicht so hübsch wie Merab, aber als Tochter eines angesehenen jüdischen Kaufmanns die passende Ehefrau für ihn.
Ruben ben Makkabi saß auf dem Ehrenplatz, genoss einen ausgezeichneten Wein, der von den Hängen des nahen Kaiserstuhls stammte, und betrachtete seinerseits die Einrichtung des Zimmers. Die Möbel wirkten auffallend schlicht und stammten gewiss nicht von der Hand eines jüdischen Schreiners, und außer einem Wandbehang mit einem von hebräischen Schriftzeichen eingerahmten sie-benarmigen Leuchter deutete zu seinem Leidwesen nichts daraufhin, dass hier Juden lebten.
Da Elieser so stumm blieb wie ein Fisch, schenkte Ru-ben ben Makkabi sich noch einmal nach und blickte den jungen Mann über den Becherrand hinweg an. »Nun, willst du mir nicht erzählen, warum ich dich aufsuchen und sogar meine Kinder mitbringen sollte? Außerdem frage ich mich, wieso deine Schwestern und dein Bruder Samuel uns noch nicht begrüßt haben.«
Elieser zog den Kopf ein. »Nun ja, ich ... Es ist schwer zu erklären ...«
Er atmete ein paarmal kräftig durch, und dann quollen die Worte schrill aus ihm heraus. »Es gibt keinen Samuel. Mein Bruder ist damals bei dem Pogrom in Sarningen ums Leben gekommen. Während ich schwer verletzt daniederlag, hat Lea sich für ihn ausgegeben und die Geschäfte in seinem Namen weitergeführt.«
»Das ist unmöglich. Ich habe Samuel schon früher einmal gesehen, als dein Vater noch lebte, und ihn später einige Male bei mir zu Gast gehabt. Nein, nein, ein so scharf geschliffener Verstand, wie er ihn besitzt, kann niemals einem Weib gehören.«
Noch während Ruben ben Makkabi die Worte aussprach, überfielen ihn Zweifel. Nur zu gut erinnerte er sich an Samuels Sträuben, mit anderen Männern zusammen die Mikwe zu benützen, und an seine Bartlosigkeit. Auch war seine Stimme nicht tief genug für einen Mann gewesen. Trotzdem konnte er nicht glauben, was Elieser da behauptete.
»Es ist unmöglich. Eine Frau kann niemals so viel geschäftlichen Erfolg erringen wie Samuel. Beim Gott unserer Väter, er hat mit uns verhandelt, als besäße er die Erfahrung von Jahrzehnten.«
Elieser beugte sich zu ihm und sprach so leise, dass die beiden anderen ihn nicht verstehen konnten. »Das hat meine Schwester ja auch. Es ist nicht die wahre Lea, die Ihr kennen gelernt habt, Rabbi. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass der Geist unseres Vaters in sie gefahren ist, um die Familie zu retten. Das erklärt nämlich auch, warum sie sich geweigert hat, mir die Geschäfte zu übergeben, als ich alt und vor allem gesund genug war, sie selbst zu führen.«
»Der Geist eures Vaters, sagst du? Das würde die Sa-che erklären.« Ruben ben Makkabi lehnte sich zurück, sprach ein kurzes Gebet gegen die Dämonen, die sich in diesem Haus eingenistet haben mochten, und überlegte, was zu tun war. Er kannte die Gebete und Riten, mit denen Geister gebannt werden konnten, und traute sich zu, Lea von ihrer Besessenheit zu heilen. Doch bevor er ans Werk ging, musste er Klarheit über die gesamte Situation gewinnen und sehen, was er aus ihr machen konnte.
Er blickte Elieser stirnrunzelnd an. »Du hast in deinem Brief angedeutet, dass die Hochzeit meiner Tochter stattfinden könnte. Doch Samuel existiert nicht mehr.«
»Aber ich existiere, und ich bin bereit, den Bund mit Hannah einzugehen.«
Merab, die eben ins Zimmer trat, um frischen Wein zu bringen, ließ bei Eliesers Worten die Kanne fallen und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Ruben ben Makkabi erfasste sogleich, was hier vorging. Wenn seine Tochter Herrin dieses Hauses werden sollte, musste die Magd fortgeschafft werden. Er beschloss, sie mit nach Augsburg zu nehmen. Da sie es gewohnt war, bei einem Mann zu liegen, und er die Sittsamkeit seiner Gemeinde nicht gefährden durfte, würde er sie verheiraten müssen. Das war nicht so einfach, denn ein Knecht brachte das Geld für die Heiratserlaubnis nicht auf. Für einen Augenblick schwankte er, denn er hatte nicht vor, einem seiner Knechte die Hochzeit zu finanzieren. Dann fiel ihm Kaleb ben Manoach ein, dessen Weib im letzten Jahr gestorben war. So ein hübsches Ding würde die Männlichkeit seines Nachbarn gewiss reizen und ihn seinen Geldbeutel öffnen lassen.
Nachdem Ruben ben Makkabi dieses Problem für sich geklärt hatte, ging er sofort das nächste an. »Ich bin bereit, deinen Antrag zu überdenken. Du wirst jedoch erlauben, dass ich dich vorher prüfe. Ich gebe meine Tochter nur einem Mann zum Weibe, der den Talmud studiert hat und die Gesetze unseres Volkes kennt. Kannst du mir die Lehrer nennen, an deren Weisheit du dich gelabt hast?«
Elieser breitete hilflos die Arme aus. Es war jetzt mehr als sechs Jahre her, seit der letzte Lehrer hier in Harten-burg gewesen war. Er hatte zwar in der Zwischenzeit neben der Thora auch den Talmud studiert und einige gelehrte Kommentare gelesen, aber er war nicht das, was sein Gast unter einem schriftenkundigen Mann verstand. »Ich bitte dich, mir zu verzeihen, doch Hartenberg liegt sehr abgelegen, und der Markgraf hat uns nicht erlaubt, gelehrte Rabbis zu uns einzuladen.«
Ruben ben Makkabi nickte verständnisvoll. »So hast du also die Talmudschule einer anderen Gemeinde besucht.«
»Das hätte ich ja gerne getan, doch Lea hat es mir nicht gestattet. Sie war ja meist auf Reisen, und so musste ich hier bleiben und sie vertreten.« Die Lüge kam Elieser so leicht über die Lippen, dass Ruben ben Makkabi keinen Verdacht schöpfte, sondern ihn verstört anblickte. »Soll das heißen, dass du nie eine Talmudschule besucht hast?«
Elieser schien vor Scham den Tränen nahe zu sein. »Wie hätte ich das tun können? Ich durfte Hartenberg doch nicht verlassen.«
»Dann wirst du es schnellstes nachholen. Am besten, du begleitest mich nach Augsburg. Dort verschaffe ich dir die besten Lehrer. Sie werden dich prüfen und uns sagen, ob du schon das nötige Wissen besitzt, oder wie lange du brauchen wirst, um es zu erwerben. Sobald sie mit dir zufrieden sind, darfst du mit meiner Hannah unter den Traubaldachin treten. Ich hoffe, du wirst sie nicht allzu lange warten lassen, denn sie sollte längst verheiratet und Mutter sein.«
Elieser blickte bewundernd zu Hannah hinüber, die sich scheu gab, ihm aber im Schutz ihrer gegen das Licht gehaltenen Handarbeit verheißungsvoll zulächelte.
Ruben ben Makkabi trommelte mit den Fingerspitzen auf den Tisch. »Wenn ich dich richtig verstanden habe, kann Lea nicht hier sein, weil sie als Samuel unterwegs ist. Ich vermisse aber auch deine andere Schwester, Rachel. Warum begrüßt sie uns nicht? Ist sie so krank, dass sie nicht aufstehen kann, oder gibt es noch mehr Dinge, die ich erfahren müsste?«
Elieser hatte schon seit Ruben ben Makkabis Ankunft überlegt, wie er ihm beibringen konnte, was Rachel trieb, ohne dass der Rabbi empört das Haus verließ. Er be-schloss, nichts zu beschönigen. »Meine Schwester Rachel lebt nicht mehr bei uns. Sie ist die Mätresse des Markgrafen geworden.«
Ruben ben Makkabi hatte das Gefühl, der Boden würde sich unter seinen Füßen öffnen. Für einen Augenblick glaubte er noch, sich verhört zu haben, doch der peinlich berührte Gesichtsausdruck des jungen Mannes verriet ihm, dass es die Wahrheit war. »Beim Gott unserer Väter, wie konnte das geschehen? Wieso hat Samuel ... ich meine, Lea das zugelassen?«
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