Lea nickte verwirrt, denn sie begriff nicht ganz, was die Königin damit sagen wollte. Isabella kümmerte sich auch nicht um ihren fragenden Blick, sondern klatschte in die Hände. Ein Diener eilte herbei und schob das an der Wand stehende Schreibpult zum Sessel der Königin. Diese wählte ein Blatt Papier aus, tauchte die Feder in die Tinte und begann zu schreiben.
»Dies ist eine Anweisung an Don Julio Vasquez de Frugell, den Kommandanten der Festung von Santa Pola. Er wird den Tod Don Orlando Terasa de Quereda y Cun-jol bestätigen und Euch den Gefangenen Orlando Fischkopf übergeben. Ihr beide werdet Spanien mit dem näch-sten Schiff verlassen und es nie mehr betreten. Habt Ihr mich verstanden, Saint Jacques?«
Lea fühlte sich zu erschlagen, um Erleichterung zu empfinden. »Ja, Eure Majestät. Ich danke Euch und verspreche Euch von ganzem Herzen, dass wir Spanien in Zukunft meiden werden.«
Die Königin nickte wie uninteressiert, während ihre Feder kratzend über das Papier fuhr. Plötzlich hielt sie inne und hob den Kopf. »Es gibt noch andere wichtige Dinge, die getan werden müssen. Sanchez!« Sie winkte ihren Leibwächter heran und deutete mit der Hand zur Tür. »Sanchez, sendet sofort Boten aus, die Senor Co-lombo folgen und ihn auffordern sollen, zurückzukehren. Lasst ihm ausrichten, ich sei jetzt gewillt, ihm die Reise nach Indien zu gestatten.«
Während der Gardist salutierte und eilig den Raum verließ, wandte die Königin sich Lea zu. Um ihre Lippen spielte ein verächtliches Lächeln. »Frankreichs Glorie wird den Ruhm Kastiliens nicht überschatten. Wenn Senor Co-lombo Erfolg haben sollte, werden die Schätze Indiens meine Truhen füllen, und nicht die des französischen Königs.« Für einen kurzen Moment schien die Königin in eine Zukunft zu blicken, die für das vereinigte Spanien goldene Zeiten versprach. Sie atmete tief durch und lächelte so selbstzufrieden, als würde diese Zukunft bereits morgen anbrechen. Lea wollte Isabella bereits an Orlandos Freilassung erinnern, als die Königin weitersprach.
»Ihr habt mir einen mehrfachen Gefallen getan, Saint Jacques. Senor Colombo wird seine Reise unter dem Banner Kastiliens unternehmen und dabei für mein Reich hoffentlich Ruhm und Reichtümer erringen, die Frankreich vorenthalten bleiben. Zum anderen gebt Ihr mir die Möglichkeit in die Hand, den Frieden an meinem Hof zu bewahren. Auch wenn die Juden ein verderbtes Ge-schlecht sind, kann der Glaube an Christus sie doch zum Licht und zur ewigen Seligkeit führen, und in gewisser Weise sind mir ehrenhafte Conversos lieber als die alten Geschlechter Kastiliens, denn sie kennen nur eine Treue, nämlich die zur Krone. Sie wissen, dass ihr Leben und ihre Stellung allein von der Gnade der Könige abhängen.«
Lea holte tief Luft. Von dieser Seite hatte sie die Situation am spanischen Königshof noch nicht betrachtet. Die Königin gab Orlando also nicht nur für das Gold frei, mit dem sie Colombo nach Westen schicken konnte, sondern auch für die Bewahrung ihrer eigenen Macht. Wie es schien, hatte sie bereits nach einer Möglichkeit gesucht, Montoya die Waffe gegen Medicaneli und dessen Verbündete aus der Hand zu schlagen. Medicaneli, Talavera, aber auch der Aragonier Santangel waren Stützen ihres Thrones, die sie nicht verlieren wollte, und Orlandos angeblicher Tod sollte das Gesicht des Herzogs von Montoya wahren. Doch was war, wenn der Herzog sich damit nicht zufrieden gab?
Der Weg von Granada nach Santa Pola war weit. Wenn Montoyas Leute ihr unterwegs auflauerten, hatte sie keine Chance, ihnen zu entkommen.
Die Königin schien ihre Gedanken lesen zu können, denn ihr Lächeln erstarrte, und sie winkte die nächststehende Wache heran. »Gonzales, sorgt dafür, dass eine Eskorte für Saint Jacques bereitgestellt wird. Er wird Granada morgen früh verlassen.«
Und was ist, wenn diese Leute auf der Seite Montoyas stehen und seine Befehle befolgen?, fuhr es Lea durch den Kopf. Ein Unfall ist leicht arrangiert, deswegen brauchte sie einen anderen Schutz als ein paar spanische Gardisten.
Sie trat einen Schritt vor und verbeugte sich. »Eure Majestät sind zu gütig. Erlaubt mir, noch eine kleine Bitte zu äußern.«
»Noch eine?« Isabellas Stimme klang ungläubig.
»Gestattet meinen Freunden de Poleur, de la Massoulet, von Kandern und van Haalen, mich nach Alicante zu begleiten. Eine einzelne Person kann zu leicht verloren gehen.«
»Ihr traut meinen Männern nicht und hofft, dass es nicht einmal Montoya wagt, fünf burgundische Edelleute verschwinden zu lassen. Ihr seht, ich durchschaue Euch. Aber Eure Bitte sei gewährt. Und nun Gott befohlen, Saint Jacques.« Die Königin wandte sich ab und setzte ihren Namenszug unter das Dokument.
Lea nahm es entgegen, verbeugte sich ein letztes Mal und zog sich rückwärts gehend aus dem Raum zurück, wie sie es beim Markgrafen von Hartenburg gelernt hatte.
R uben ben Makkabi blieb stehen und musterte die vor ihm liegende Stadt interessiert. Gegen seine Heimat Augsburg war Hartenburg kaum mehr als ein befestigtes Dorf, aber es schien groß genug zu sein, mehr als eine jüdische Familie zu beherbergen. Wenn nichts dagegen sprach, würde er um eine Audienz beim Markgrafen ersuchen und diesen von der Ansiedlung weiterer Juden überzeugen. Er hatte eine Reihe von Argumenten, die er vorbringen konnte, und alle bestanden aus Gold. Ernst Ludwig von Hartenburg war, wie er gehört hatte, dem Klang dieses Metalls besonders zugänglich. Als Ru-ben ben Makkabi und seine Leute das Tor erreichten, stellte er fest, dass nicht nur der Markgraf an Gold interessiert war. Die Wachen drangsalierten die jüdischen Reisenden zwar nicht, erteilten ihnen aber erst gegen eine erkleckliche Steuer die Erlaubnis, die Stadt zu betreten. Als sie kurz darauf Samuel ben Jakobs Haus erreichten, nahm er mit Bedauern wahr, dass es sich nicht von den umstehenden Gebäuden unterschied. Es gab in seinen Fenstern keine religiösen Symbole, wie es in den jüdischen Gemeinden sonst üblich war, und es gab auch keine hohe Mauer, die es von den anderen trennte.
Auf sein Klopfen hin öffnete ein junger Knecht das Tor und starrte die Ankömmlinge mit offenem Mund an. »Rabbi Ruben, welcher Wind weht Euch denn nach Har-tenburg?«
»Gottes Segen sei mit dir, Jochanan. Ich will deinen Herrn sprechen, oder besser gesagt, Elieser ben Jakob. Allerdings wäre ich froh, wenn wir vorher unsere Kleider wechseln und uns aufwärmen könnten. Das letzte Stück Weg war doch recht beschwerlich.«
»Kommt herein.« Jochanan rief nach Gomer, die sich um Hannah kümmern sollte. Er selbst führte das Maultier in den Stall und legte ihm etwas Heu vor.
»Meine Schwester wird sich gleich um das Tier kümmern«, versprach er Ruben ben Makkabi und bat ihn, ihm ins Haus zu folgen.
»Deine Schwester?«, fragte Ben Makkabi erstaunt. »Habt ihr denn keine Knechte für diese Arbeit?«
»Ein so kleiner Haushalt wie der unsrige benötigt keinen zweiten Knecht.« Jochanan lächelte etwas ängstlich, denn das war ja kaum die halbe Wahrheit, und er war froh, als Eliesers Erscheinen den Besucher von ihm ablenkte.
Leas Bruder hatte einen mit Kaninchenfell besetzten Hausmantel um die Schultern geschlungen und stützte sich schwer auf seine Krücke. Als er sah, welche Gäste da gekommen waren, straffte er die Schultern und verbarg den klobigen Stock hinter seinem Rücken. »Friede sei mit dir, Ruben ben Makkabi.«
»Friede auch mit dir, Elieser ben Jakob. Wie du siehst, bin ich so schnell gekommen, wie es mir möglich war.«
»Dafür bin ich dir sehr dankbar.« Elieser war tatsächlich so erleichtert, wie es der Klang seiner Stimme verriet. Den ganzen Winter über hatte ihn die Angst gequält, Lea könnte vor Ruben ben Makkabi in Hartenburg eintreffen. Doch sie war nun schon seit über einem halben Jahr wie vom Erdboden verschluckt, und mittlerweile war er zu dem Schluss gekommen, dass ihr etwas zugestoßen sein musste. Daher war er doppelt froh, dass sein sehnlichst erwarteter Gast endlich eingetroffen war. Ruben ben Makkabi würde ihm helfen, sich in dem Gewirr der Handelsverbindungen, die Lea aufgebaut hatte, zurechtzufin-den. Aber zunächst galt es, sich um die Bequemlichkeit der Gäste zu kümmern.
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