»Als ich von meiner Reise zurückkehrte, traf ich kurz vor Granada auf Senor Colombo. Er sagte mir, dass er auf dem Weg nach Frankreich sei, um Karl VIII. um Schiffe zu bitten.« Das war keine sehr diplomatische Einleitung, aber Lea hatte keine bessere gefunden.
Die Königin wirkte leicht verärgert. »Wie kommt Ihr gerade auf ihn?«
»Ich weiß, dass Eure Majestät ihn gerne nach Indien geschickt hätte, aber . « Lea brach ab und prüfte die Wirkung ihrer Worte.
Isabellas Lippen wurden schmal wie ein Strich. »Ich habe nicht das Geld, um seine Fahrt bezahlen zu können, und das Angebot Luis de Santangels war nicht mit der Ehre Kastiliens vereinbar.«
Es klang ablehnend, ja sogar feindselig. Jeder andere wäre nun mit einer Verbeugung gegangen und hätte mit seinem Begehren gewartet, bis die Königin besserer Laune wäre. Lea glaubte jedoch, die Königin genau dort zu haben, wo sie es wünschte. »Was forderte Don Luis denn von Euch?«
Diese Frage zu stellen grenzte an Unverschämtheit, doch die Königin wirkte eher verwirrt als wütend. Sie musterte Lea, die in ihrer Tracht wie ein hübscher Bursche von achtzehn Jahren wirkte, und entschied sich für ein nachsichtiges Lächeln. »Santangel wollte Rechte am Handel und an Land, die nur der Krone zustehen. Da war unakzeptabel.«
Lea war nicht ganz dieser Ansicht, doch sie hatte oft genug gehört, dass die Königin bei aller Liebenswürdigkeit streng und unduldsam sein konnte. Auch nahm sie es als gegeben an, dass der Herzog von Montoya und seine Verbündeten alles getan hatten, um Isabella gegen San-tangels Vorschläge einzunehmen.
»Ich wäre bereit, Colombos Fahrt ohne solche Forde-rungen zu finanzieren, nur für die Gewährung einer kleinen Gunst.« So klein war die Gunst zwar nicht, die Lea im Sinn hatte, doch sie musste der Königin den Köder erst schmackhaft machen.
»Ihr? Wie wollt Ihr denn das Geld für diese Expedition aufbringen?« Es lag ebenso viel Verwunderung wie Spott in Isabellas Worten.
Lea zog die Anweisung, die sie von dem Bankier Baril-lo in Alicante erhalten hatte, unter ihrem Wams hervor. Dabei sah sie den Schatten eines in der Nähe stehenden Gardisten, der sich bereitmachte, einzugreifen, falls ihre Hand einen Dolch halten sollte. Der Mann zog sich jedoch wieder etwas zurück, als er sah, dass der Besucher der Königin ein Stück Papier überreichte.
»Euer Majestät, für dieses Schreiben erhalten Eure Bankiers vierzigtausend Reales in Gold. Das dürfte reichen, Cristoforo Colombo mehr als einmal nach Indien zu schicken.« Lea lächelte bei diesen Worten in sich hinein, denn ihr war bewusst, dass es sich bei dieser Summe um das Geld handelte, das der Herzog von Medicaneli von ihr oder besser von Orlando für seine Hilfe gefordert hatte, nämlich um den Gegenwert jener Schätze, welche die geflohenen Juden und Conversos hatten zurücklassen müssen und die bislang nicht außer Landes geschafft werden konnten.
Die Königin las das Schreiben aufmerksam durch, faltete es vorsichtig wieder zusammen und legte es unter ein Stück spiegelnd blank geschliffenen, grünen Marmor, das zwischen den Akten auf dem kleinen Tisch neben ihr lag und ihr als Briefbeschwerer diente. »Welche Gunst fordert Ihr von mir?«
»Das Leben eines Mannes.«
Im gleichen Augenblick wurde Lea klar, dass es ab jetzt nicht mehr allein um Orlando ging, sondern auch um sie selbst, von Medicaneli und seinen Freunden ganz zu schweigen. Wenn Isabella ablehnte, dann war auch sie in höchster Gefahr. Als die Königin zögerte, sah sie sich schon auf demselben Scheiterhaufen brennen wie Orlando. Auch gut!, sagte eine Stimme in ihr. Dann sind wir wenigstens im Tod vereint. Isabella schien den seltsamen Bittsteller vor ihr im eigenen Saft schmoren zu wollen, denn sie ließ sich Zeit.
»Wessen Leben?«, fragte sie nach ein paar Atemzügen hörbar misstrauisch.
»Das eines spanischen Edelmanns, der sein Heimatland verlassen musste und so unglücklich war, sich den Zorn Seiner Gnaden, des Herzogs von Montoya, zuzuziehen.« Nun gab es kein Zurück mehr, dachte Lea und fühlte sich trotzdem erleichtert.
»Ihr sprecht von Orlando Terasa, den man früher auch de Quereda y Cunjol nannte? Der Mann ist ein Bandit, der den Tod hundertfach verdient hat.« Isabellas Miene verhieß nichts Gutes.
Lea war zu weit gegangen, um sich einschüchtern zu lassen.
»Euer Majestät, Orlando Terasa hat im Kleinen doch nichts anderes getan, als was Ihr im Großen plant, nämlich Spanien von den Juden zu befreien.«
Isabella sah Lea einen Augenblick fassungslos an, denn so unverschämt offen hatte schon lange niemand mehr mit ihr geredet. Dann aber zuckten ihre Mundwinkel, und sie lachte laut auf.
»Mut habt Ihr für zwei, Saint Jacques, und noch mehr Frechheit. Orlando Terasa ist jedoch ein Dorn im Fleisch Spaniens, ein .«
»Wohl eher ein Dorn im Sitzfleisch des Herzogs von Montoya«, fiel Lea der Königin ins Wort. »Ist Euch die Rache dieses Mannes mehr wert als der Ruhm Kastiliens?«
»Was dem Ruhm Kastiliens nützt, bestimme immer noch ich!« Isabella sah in diesem Moment so aus, als wollte sie die Wache rufen und das unverschämte Geschöpf vor sich abführen lassen.
Lea raffte all ihren Mut zusammen und blickte ihr ins Gesicht.
»Wollt Ihr wirklich zusehen, wie Colombo Indien im Auftrag Frankreichs erreicht und die Schätze dieses Landes die Truhen Karls VIII. füllen? Euer Majestät, ich bitte Euch, die Folgen zu bedenken, die das für Euch und vor allem für Eure Kinder haben könnte.«
»Welche Folgen?« Die Königin wirkte überrascht, aber auch neugierig.
»Wenn Frankreich seinen Reichtum stärker mehren kann als seine Nachbarn, hat das Auswirkungen auf Spanien und den Rest Europas. Nicht lange, dann wird Frankreichs Schatten den Ruhm der vereinigten Königreiche von Kastilien und Aragon verdunkeln, und Euer Sohn Don Juan, der Euch hoffentlich auf dem Thron nachfolgen wird, steht einem Nachbarn gegenüber, der die Mittel besitzt, seinen Willen gegen jedermann durchzusetzen. Denkt auch an Eure Tochter Juana, die, wie es heißt, eines Tages mit Philipp, dem Sohn des Herzogs von Burgund, vermählt werden soll. Damit könnte einer Eurer Enkel dereinst die Krone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation tragen. Doch was wird das für ein Reich sein, wenn Frankreich den Krieg gegen Herzog Maximilian durch die Schätze Indiens gewinnen und ihm Burgund wegnehmen kann? Weiß man, ob Frankreich sich damit zufrieden geben würde, oder ob es dann nicht plant, das Reich Karls des Großen wieder zu errichten und über ganz Europa zu herrschen?«
Lea schleuderte diese Worte der Königin so leidenschaftlich entgegen, als wäre der Franzose ihr persönli-cher Feind, und nahm erleichtert wahr, dass Isabella sich der Wirkung ihrer Argumente nicht entziehen konnte. Frankreich war nicht nur der Rivale Burgunds und des Reiches, sondern auch Spaniens. Jede Vergrößerung seiner Macht beschnitt die Souveränität der Nachbarreiche. Lea wusste, dass sie ein gefährliches Spiel spielte. Würde die Königin sich überzeugen lassen? Oder lag ihr der mögliche Aufstieg Frankreichs so fern, dass ihr die Sache nicht wert war, einem dem Tod geweihten Gefangenen die Freiheit zurückzugeben?
»Orlando Terasa de Quereda y Cunjol muss sterben!«
Isabellas Miene wurde hart, und ihre Worte klangen so bestimmt, dass Lea schon alles verloren gab. Sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte, und suchte verzweifelt nach Worten. Isabella schien jedoch keine Antwort zu erwarten, denn nach einer kurzen Pause entspannten sich ihre Züge, und sie lächelte.
»Der Edelmann Don Orlando muss sterben, doch ob ein Orlando Cabeza de Pez irgendwo in einer kalten Stadt im Norden lebt, wird Kastiliens Ruhm nicht schmälern. Fischkopf ist ein passender Name für diesen Schurken, findet Ihr nicht auch, Saint Jacques?«
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