»Er hat es gewagt.«
»Tut seine Worte nicht leichtfertig ab.«
»Sie haben mich erschreckt.«
»Paser wird nur ein einziges Mal lieben. Er gehört zu jenen Männern, die sich schier wahnsinnig verlieben und ihren Wahn ein ganzes Leben lang bewahren. Eine Frau versteht sie nur schlecht, da sie sich erst gewöhnen, sich Zeit lassen muß, bevor sie sich verpflichtet. Paser ist ein tosender Sturzbach, kein Strohfeuer; seine Leidenschaft wird nicht nachlassen. Er ist ungeschickt, zu schüchtern oder hastig, von einer unbedingten Aufrichtigkeit. Er hat die Liebschaften und Abenteuer ausgeschlagen, da er nur zu einer großen Liebe fähig ist.«
»Und wenn er sich irrt?«
»Er wird seinem Inbegriff der Vollkommenheit bis zum Ende nachstreben. Hofft nicht auf das geringste Zugeständnis.«
»Laßt Ihr meine Ängste gelten?«
»In der Liebe sind alle verstandesmäßigen Einwände vergeblich. Ich wünsche Euch, glücklich zu werden, welches auch immer Eure Entscheidung sein wird.«
Sethi konnte Paser verstehen. Neferets Schönheit war überwältigend.
Er aß nicht mehr. Den Kopf in trauernder Haltung auf den Knien, saß er am Fuße einer Palme und unterschied nicht mehr den Tag von der Nacht. Selbst die Kinder wollten ihn nicht necken, so sehr glich er einem steinernen Findling. »Paser! Ich bin es, Sethi.« Der Richter zeigte keinerlei Regung. »Du bist davon überzeugt, daß sie dich nicht liebt.«
Sethi lehnte sich neben seinem Freund mit dem Rücken an den Stamm.
»Es wird keine andere Frau mehr geben, das weiß ich auch. Ich werde nicht versuchen, dich zu trösten, dein Unglück zu teilen ist unmöglich. Es bleibt nur noch deine Berufung.« Paser verharrte in Schweigen. »Weder du noch ich können Ascher sich voller Genugtuung an seinem Sieg erfreuen lassen. Falls wir aufgeben, wird das Gericht der Anderen Welt uns zum zweiten Tod verurteilen, und wir werden keine Rechtfertigung für unsere Feigheit haben.« Der Richter blieb reglos.
»Ganz wie du willst, stirb an Erschöpfung, während du an sie denkst. Ich werde mich alleine gegen Ascher schlagen.«
Paser erwachte aus seiner Erstarrung und blickte Sethi an.
»Er wird dich vernichten.«
»Jedem seine Prüfung. Du, du kannst Neferets Gleichgültigkeit nicht ertragen und ich nicht das Gesicht eines Mörders, das mich in meinem Schlaf heimsucht.«
»Ich werde dir helfen.«
Paser versuchte aufzustehen, doch ihm drehte sich alles; Sethi ergriff ihn an den Schultern. »Verzeih mir, aber …«
»Du hast mir häufig empfohlen, keine Worte zu vergeuden. Das wichtigste ist jetzt, dir zu Kräften zu verhelfen.«
Die beiden Männer bestiegen den wie eh und je beladenen Fährkahn. Paser hatte widerwillig ein wenig Brot und Zwiebeln gegessen. Der Wind peitschte ihm ins Gesicht.
»Betrachte dir den Nil«, riet Sethi. »Er ist die Erhabenheit. Vor ihm sind wir armselig.« Der Richter starrte auf das klare Wasser. »Woran denkst du, Paser?«
»Als ob du das nicht wüßtest …«
»Wie kannst du dir nur so sicher sein, daß Neferet dich nicht liebt? Ich habe mit ihr gesprochen, und …«
»Unnötig, Sethi.«
»Die Ertrunkenen werden vielleicht zu Seligen, aber sie sind gleichwohl ertrunken. Du hast versprochen, Ascher unter Anklage zu stellen.«
»Ohne dich würde ich davon absehen.«
»Weil du nicht mehr du selbst bist.«
»Im Gegenteil. Ich bin nur noch ich selbst, auf die allerschlimmste Einsamkeit beschränkt.«
»Du wirst vergessen.«
»Du verstehst das nicht.«
»Die Zeit ist das einzige Heilmittel.«
»Sie wird nichts auslöschen.« Kaum berührte der Kahn das Ufer, stieg die lärmende Menge, Esel, Schafe und Ochsen vor sich hertreibend, auch schon an Land. Die beiden Freunde ließen die Woge verebben, stiegen dann eine Treppe hinauf und gingen bis zum Amtsgebäude des Obersten Richters von Memphis. Der für den Briefverkehr zuständige Beamte hatte keinerlei an Paser gerichtete Nachrichten erhalten. »Kehren wir nach Memphis zurück«, verlangte Sethi. »Hast du es so eilig?«
»Ich brenne darauf, Ascher wiederzusehen. Du könntest vielleicht deine bisherigen Nachforschungen für mich zusammenfassen.«
Mit eintöniger Stimme gab Paser die Schritte seiner Ermittlung wieder. Sethi lauschte aufmerksam. »Wer hat dir nachgestellt?«
»Keine Ahnung.«
»Handelt es sich um die Vorgehensweise des Vorstehers der Ordnungskräfte?«
»Könnte sein.«
»Bevor wir Theben verlassen, suchen wir noch Kani auf.«
Fügsam willigte Paser ein. Allem gegenüber gleichgültig, löste er sich langsam von der Wirklichkeit. Neferets Verweigerung nagte an seiner Seele. Kani arbeitete nicht mehr allein in seinem Garten, den er zur Bewässerung inzwischen mit mehreren Schopfhebern ausgestattet hatte. Emsige Betriebsamkeit herrschte in jenen Beeten, die dem Gemüse vorbehalten waren. Der Gärtner hingegen umsorgte seine Arzneipflanzen. Vierschrötig, die Haut zusehends faltiger und die Bewegungen behäbiger, hielt er dem Gewicht der großen Stange stand, an deren Enden zwei schwere Töpfe voll Wasser hingen. Er gönnte niemandem das Vorrecht, seine Schützlinge zu nähren.
Paser stellte ihm Sethi vor. Kani musterte ihn vorsichtig.
»Euer Freund?«
»Ihr könnt völlig frei vor ihm sprechen.«
»Ich habe weiter planmäßig nach dem Altgedienten gesucht. Schreiner, Zimmerleute, Wasserträger, Weißwäscher, Bauern … ich lasse keine Tätigkeit außer acht. Eine dürftige Spur: Unser Mann war für einige Tage Wagentischler, bevor er verschwand.«
»So dürftig nicht«, berichtigte Sethi. »Er ist demnach noch am Leben!«
»Hoffen wir es.«
»Sollte auch er beseitigt worden sein?«
»In jedem Fall ist er unauffindbar.«
»Fahrt fort«, empfahl Paser. »Der fünfte Altgediente ist noch immer von dieser Welt.«
Gab es eine lieblichere Süße als die der thebanischen Abende, wenn der Nordwind Kühle unter die Lauben und Rankenwerke trug, wo man Bier trinkend den Sonnenuntergang bewunderte? Die Müdigkeit der Leiber schwand, die Pein der Seelen besänftigte sich, die Schönheit der Göttin des Schweigens offenbarte sich im rotglühenden Westen. Ibisse durchzogen das Dämmerlicht.
»Morgen, Neferet, breche ich wieder nach Memphis auf.«
»Eurer Arbeit wegen?«
»Sethi ist Zeuge eines Amtsvergehens geworden. Ich ziehe es vor, Euch nicht mehr darüber zu sagen, zu Eurer eigenen Sicherheit.«
»Ist die Gefahr denn so erheblich?«
»Die Streitkräfte sind beteiligt.«
»Denkt an Euch selbst, Paser.«
»Solltet Ihr Euch etwa um mein Geschick sorgen?«
»Seid nicht bitter. Ich wünsche nichts anderes als Euer Glück.«
»Ihr allein könnt es mir gewähren.«
»Ihr seid so unbedingt, so …«
»Kommt mit mir.«
»Das ist unmöglich. Ich bin nicht vom selben Feuer wie Ihr beseelt; nehmt hin, daß ich anders bin, daß die Hast mir fremd ist.«
»Alles ist so einfach: Ich liebe Euch, und Ihr liebt mich nicht.«
»Nein, so einfach ist es nicht. Der Tag folgt nicht jählings auf die Nacht, und eine Jahreszeit nicht auf die andere.«
»Solltet Ihr mir Hoffnung geben?«
»Mich zu binden, hieße lügen.«
»Da seht Ihr es.«
»Eure Gefühle sind derart heftig, derart ungeduldig … Ihr könnt nicht verlangen, daß ich sie mit gleicher Glut beantworte.«
»Bemüht Euch nicht, Euch zu rechtfertigen.«
»Ich sehe in mir selbst nicht klar, wie könnte ich Euch da Gewißheit bieten?«
»Wenn ich fortgehe, werden wir uns nie wiedersehen.«
Paser entfernte sich mit langsamen Schritten, Worte ersehnend, die nicht ausgesprochen worden waren.
Gerichtsschreiber Iarrot hatte folgenschwere Fehler vermieden, indem er keinerlei Verantwortung übernommen hatte. Das Viertel war ruhig, keine ernsten Missetaten waren begangen worden. Paser erledigte die anstehenden Dinge und begab sich dann zum Vorsteher der Ordnungskräfte, der ihn einbestellt hatte. Monthmose war freundlicher als gewöhnlich. »Werter Richter! Entzückt, Euch wiederzusehen. Ihr wart auf Reisen?« erkundigte er sich beflissen, mit seiner näselnden Stimme.
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