Von Esel und Hund begleitet, wollte Paser seinem Meister einen Besuch abstatten; ihn zu Rate zu ziehen, hatte er seit seiner Einsetzung nicht die Zeit gefunden. Auf dem Weg sann er über das sonderbare Geschick des Oberaufsehers nach, der zu seiner ruhmvollen Stellung auch noch seine Dienstunterkunft verloren hatte. Was verbarg sich hinter dieser Folge von Verdrießlichkeiten? Der Richter hatte Kem gebeten, die Spur des Altgedienten aufzufinden. Solange er ihn nicht befragt hatte, wollte Paser der Versetzung nicht zustimmen.
Zum wiederholten Male kratzte Brav sich sein rechtes Auge mit der linken Pfote; als er es untersuchte, stellte Paser eine Reizung fest. Der alte Arzt würde es zu behandeln wissen.
Das Haus war hell erleuchtet; Branir las gerne bei Nacht, wenn die Geräusche der Stadt verstummt waren. Paser drückte die Eingangstür auf, stieg, von seinem Hund gefolgt, in die Vorkammer hinab und hielt verdutzt inne. Branir war nicht allein. Er unterhielt sich mit einer Frau, deren Stimme der Richter sogleich erkannte. Sie, hier! »Tritt ein, Paser!«
In fieberhafter Eile kam der Richter der Aufforderung nach – und hatte nur noch Augen für Neferet, die im Schneidersitz vor dem alten Heiler saß und zwischen Daumen und Zeigefinger einen Leinenfaden hielt, an dem ein kleines, rautenförmig geschnittenes Stück Granit [24] Ein Pendel. Ebenso weiß man von Wünschelruten und daß gewisse Pharaonen, wie Sethos I., wahrscheinlich große Radiästhesisten waren und die Fähigkeit besaßen, in der Wüste Wasser zu finden.
baumelte. »Neferet, meine beste Schülerin; Richter Paser. Da ich euch nun einander vorgestellt habe, wirst du sicher etwas frisches Bier annehmen?«
»Eure beste Schülerin …«
»Wir sind uns bereits begegnet«, sagte sie belustigt. Paser dankte seinem Glück; sie wiederzusehen, berührte ihn zutiefst.
»Bevor sie ihre Kunst wird ausüben können, wird Neferet sich bald der allerletzten Prüfung unterziehen«, erinnerte Branir, »und deshalb wiederholen wir die Übungen des Auspendelns, die ihr auferlegt werden, um ihr zu helfen, ihren Befund zu stellen. Ich bin überzeugt, daß sie eine ausgezeichnete Ärztin wird, da sie zuzuhören versteht. Wer zuzuhören versteht, wird richtig handeln. Zuhören ist besser als alles, es gibt keinen größeren Schatz. Allein das Herz gewährt uns diese Gabe.«
»Ist nicht die Kenntnis des Herzens das Geheimwissen des Heilkundigen?« fragte Neferet. »Es ist das, was dir offenbart werden wird, wenn du als seiner würdig befunden bist.«
»Ich würde mich gerne ausruhen.«
»Das mußt du auch.«
Brav kratzte sich am Auge; Neferet bemerkte sein Treiben.
»Ich glaube, er ist krank«, sagte Paser. Der Hund ließ sich untersuchen. »Es ist nichts Ernstes«, schloß sie, »ein einfaches Augenwasser wird ihn heilen.« Branir holte es ihr augenblicklich; Augenerkrankungen waren ein häufiges Leiden, und es mangelte nicht an Heilmitteln. Die Arznei tat rasch ihre Wirkung; während die junge Frau Brav noch streichelte, schwoll sein Auge ab. Zum erstenmal war Paser auf seinen Hund eifersüchtig. Er suchte nach einer Möglichkeit, sie zurückzuhalten und mußte sich damit begnügen, ihr bei ihrem Aufbruch seinen Gruß zu entbieten. Branir tischte ihm ein ausgezeichnetes, am Vortag hergestelltes Bier auf. »Du erscheinst mir müde; an Arbeit dürfte es dir nicht fehlen.«
»Ich bin mit einem gewissen Qadasch aneinandergeraten.«
»Dem Zahnheilkundler mit den roten Händen … Ein umtriebiger Mann und rachsüchtiger, als es den Anschein hat.«
»Ich halte ihn der Entführung von Bauern für schuldig.«
»Stichhaltige Beweise?«
»Nur eine Vermutung.«
»Sei unerbittlich gewissenhaft in deinem Tun; Ungenauigkeit werden dir deine Oberen nicht verzeihen.«
»Erteilt Ihr Neferet häufig Unterricht?«
»Ich gebe ihr meine Erfahrung weiter, denn ich habe Vertrauen in sie.«
»Sie ist in Theben geboren, nicht wahr?«
»Sie ist die einzige Tochter eines Riegelherstellers und einer Weberin; kennengelernt habe ich sie, als ich die Familie gepflegt habe. Sie hat mir tausend Fragen gestellt, und ich habe ihre erwachende Neigung ermutigt.«
»Eine Frau als Heilkundige … Werden ihr nicht Hindernisse begegnen?«
»Feinde auch; doch ihr Mut ist nicht geringer als ihre Sanftheit. Der Oberste Arzt des Hofes hofft, wie sie weiß, auf ihr Scheitern.«
»Ein Widersacher von Gewicht!«
»Sie ist sich dessen bewußt; eine ihrer wesentlichen Eigenschaften ist ihre Zähigkeit.«
»Ist sie … verheiratet?«
»Nein.«
»Verlobt?«
»Meines Wissens, nein.«
Paser verbrachte eine schlaflose Nacht. Unaufhörlich dachte er an sie, hörte ihre Stimme, atmete ihren Duft, schmiedete tausend und eine List, um sie wiederzusehen, ohne indes eine befriedigende Lösung zu finden. Und unablässig kehrte dieselbe Furcht wieder: War er ihr gleichgültig? Er hatte bei ihr keinerlei Regung, lediglich zurückhaltende Anteilnahme für seine Stellung wahrgenommen. Selbst die Rechtspflege nahm einen bitteren Beigeschmack an; wie ohne sie weiterleben, wie ihre Abwesenheit hinnehmen? Niemals hätte Paser geglaubt, daß die Liebe ein solcher Strom wäre, der imstande war, alle Dämme einzureißen und das gesamte Sein zu überfluten.
Brav bemerkte die Verstörtheit seines Herrn; sein Blick bekundete ihm eine Zuneigung, die, das spürte das Tier wohl, dennoch nicht genügte. Paser hielt sich selbst vor, seinen Hund unglücklich zu machen; er hätte es vorgezogen, sich mit dieser Freundschaft, die keinerlei Schatten barg, zufriedenzugeben, doch er war außerstande, den Augen Neferets, ihrem lauteren Gesicht, dem Strudel, in welchen sie ihn hineinzog, zu widerstehen.
Was sollte er tun? Schwieg er, verdammte er sich dazu zu leiden; wenn er ihr seine Leidenschaft offenbarte, drohten ihm Ablehnung und Verzweiflung. Er mußte sie überzeugen, sie betören, doch über welche Waffen verfügte er – er, ein kleiner Vorstadtrichter ohne Vermögen?
Der Sonnenaufgang linderte seine Qualen nicht, veranlaßte ihn jedoch, sich zur Zerstreuung in seine Aufgaben als Gerichtsbeamter zu stürzen. Er fütterte Brav und Wind des Nordens und vertraute ihnen die Amtsstube in der Überzeugung an, daß der Gerichtsschreiber sich verspäten würde. Mit einem Papyruskorb versehen, der Täfelchen, Pinselfutteral und vorbereitete Tinte enthielt, schlug er die Richtung zu den Hafenanlagen ein.
Mehrere Schiffe lagen an der Landungsstelle, welche die Seeleute unter der Leitung eines Schauermanns selbst löschten. Nachdem sie ein Brett am Bug festgekeilt hatten, legten sie sich Stangen auf die Schultern, an die sie mittels Stricken Säcke, Körbe und Ballen hängten, um dann den schiefen Steg hinabzusteigen. Die Kräftigsten unter ihnen trugen schwere Bündel auf ihren Rücken. Paser wandte sich an den Bootsmann. »Wo kann ich Denes finden?«
»Den Herrn? Der ist überall!«
»Sollten die Hafenanlagen ihm etwa gehören?«
»Die nicht, aber etliche Schiffe! Denes ist der bedeutendste Warenbeförderer von Memphis und einer der reichsten Männer der Stadt.«
»Werde ich das Glück haben, ihm zu begegnen?«
»Er bemüht sich nur bei der Ankunft eines großen Lastschiffs … Geht zum Hauptbecken. Eines seiner Schiffe hat soeben angelegt.« Mit seiner Länge von ungefähr hundert Ellen konnte das gewaltige Hochseeschiff mehr als sechshundertfünfzig Tonnen Fracht befördern. Der flache Rumpf bestand aus unzähligen in Vollendung gesägten und ziegelartig zusammengefügten Planken; die Bretter der Einfassung der Außenkante waren sehr dick und mit Lederriemen verbunden. Ein beachtliches Segel war an einem dreifüßigen, umlegbaren und fest verspannten Mast gehißt worden. Der Schiffsführer ließ gerade die am Bug vertäute Schilfreuse abnehmen und den runden Anker werfen. Als Paser an Bord gehen wollte, versperrte ein Seemann ihm den Weg. »Ihr gehört nicht zur Mannschaft.«
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