Ludwig brach in sein gewöhnliches, sardonisches Lachen aus:»Du hast Deine Lanze ritterlich mit mir gebrochen, Oliver; und bei unserer lieben Frau, Du warst befugt dazu, denn ich forderte Dich heraus. Aber ich bitte Dich, sage mir ernstlich, entdeckst Du in den Maßregeln dieser Leute gegen uns etwas, woraus man auf böse Absichten schließen könnte?«—»Mein Gebieter, «erwiderte Oliver,»Ew. Majestät sowie jener gelehrte Philosoph, lesen die Zukunft in den Sternen und in den Zeichen des Himmels. Ich meinerseits bin nur ein elender Erdenwurm und betrachte bloß die Dinge, die mit meinem Berufe in Verbindung stehen, aber mir deucht, ich bemerke, daß man es hier an jener emsigen und sorgfältigen Aufmerksamkeit für Ew. Majestät fehlen läßt, die man sonst einem willkommenen Gaste bezeugt, der von einem so erhabenen Range ist wie Ew. Majestät. Der Herzog schützte diesen Abend Müdigkeit vor, begleitete Ew. Majestät nicht weiter als bis auf die Straße und überließ es seinen Hofbeamten, Euch nach Eurer Wohnung zu bringen. Diese Zimmer sind in Eile und höchst oberflächlich hergerichtet; die Tapeten hängen schief und auf einer derselben stehen, wie Ihr bemerken könnt, die Figuren auf den Köpfen, indes die Wurzeln der Bäume nach oben wachsen.«—»Pah! bloßer Zufall, «sagte der König;»wann hast Du gesehen, daß ich mir aus solchen Kleinigkeiten je etwas gemacht hätte?«—»An und für sich, «sagte Oliver,»sind sie freilich nicht beachtenswert, aber sie deuten doch wenigstens den Grad von Achtung an, in welchem nach der Meinung der Hofbeamten Ew. Majestät bei dem Herzog steht. Glaubt mir, wär's sein aufrichtiger Wunsch gewesen, daß es Eurer Aufnahme in keiner Hinsicht an etwas fehlen solle, so würde dies Volk in Minuten getan haben, was sonst das Werk von Tagen ist, — und wann, «setzte er, auf das Waschbecken und die Gießkanne deutend, hinzu,»waren die Gerätschaften auf Ew. Majestät Nachttische von anderm Metall als von Silber?«–
«Nun, diese letzte Bemerkung, Oliver, «sagte der König mit erzwungenem Lächeln,»steht in zu genauer Verbindung mit Deiner eigenen besonderen Beschäftigung, als daß sie jemand bestreiten sollte. — Wahr ist es, als ich nur ein Flüchtling und Verbannter war, sah ich auf Befehl des nämlichen Herzogs kein anderes als goldenes Geschirr, weil er Silber für den Dauphin von Frankreich zu schlecht achtete, und jetzt scheint es, daß er Silber zu kostbar für den König von Frankreich hält. — Wir gehen zu Bett, Oliver! Unser Entschluß ist einmal gefaßt und ausgeführt, und es bleibt uns nichts mehr übrig, als das Spiel mannhaft durchzuspielen, in das wir uns eingelassen haben. Ich weiß, mein Vetter von Burgund schließt, wie andere wilde Stiere, die Augen, wenn er Anlauf nimmt; ich brauche nur gleich den Stierkämpfern, die wir zu Burgos sahen, diesen Augenblick zu erspähen, und sein Ungestüm muß ihn mir in die Hände liefern.«
Nach diesem Rückblick auf das zwischen dem König von Frankreich und dem Herzog von Burgund bestehende Verhältnis zur Zeit, als Ludwig wohl nicht zum wenigsten durch seinen Glauben an die Macht der Gestirne, vielleicht aber auch durch das Bewußtsein seiner geistigen Ueberlegenheit über Karl bewogen, den außerordenlichen, auf andere Weise durchaus unerklärlichen Entschluß gefaßt hatte, sich selbst der Treue und dem Glauben eines stolzen und erbitterten Feindes zu überantworten, wollen wir dem weiteren Gange unserer Erzählung folgen. Herzog Karl, von Natur rauh, stolz, ungestüm und hart, fand es nicht für nötig, dem Könige mehr Höflichkeit zu erweisen, als die Gesetze der Gastfreundschaft ausdrücklich forderten; andererseits aber legte er auch durchaus keine Absicht an den Tag, ihre geheiligten Schranken zu verletzen. Am nächsten Morgen nach des Königs Ankunft wurde eine allgemeine Heerschau der burgundischen Truppen veranstaltet, die so zahlreich und so trefflich ausgerüstet waren, daß es ihm vielleicht ganz recht war, sie seinem großen Nebenbuhler vorzuführen. Während er seinem Souverän das Vasallenkompliment machte, daß diese Truppen nicht ihm, sondern dem Könige gehörten, verriet das Zucken seiner Oberlippe und der stolze Blick seines Auges, daß diese Worte bloße Höflichkeit seien, und daß dieses schöne stattliche Heer auf seinen Befehl direkt gegen Paris vorrücken werde, ohne sich im geringsten an den König von Frankreich zu kehren. Das mußte Ludwig um so angenehmer berühren, als er unter den Burgundern allerhand französische Fähnlein erblickte, die aus mancherlei Gründen des Mißvergnügens mit dem Herzog von Burgund gemeinschaftliche Sache gemacht hatten.
Seinem Charakter getreu, schien indes Ludwig von diesen Reisläufern aus seinen Provinzen kaum Notiz zu nehmen, während er hin und her auf Mittel dachte, wie er sie Burgunds Fahnen abwendig machen und sie seinen eigenen wieder einverleiben könnte. Zu diesem Behufe beschloß er, durch Oliver und andere Agenten insgeheim die Gesinnung der Vornehmsten unter ihnen ausforschen zu lassen.
Er selbst bestrebte sich angelegentlich, jedoch mit großer Vorsicht, sich unter den vornehmsten Beamten und Räten des Herzogs beliebt zu machen, und während einer Eberjagd fand Ludwig, ungehindert durch Karls Gegenwart, der in diesem Sport so völlig aufging, daß er für nichts andres Sinn hatte, Mittel und Wege, einzeln und insgeheim sich mit manchen von Karls Edeln zu besprechen, unter welchen Hymbercourt und Argenton nicht vergessen wurden.
Einen einzigen Mann vermißte der König, den er vor allen andern gern für sich gewonnen hätte, nämlich Graf Crevecoeur, dessen Festigkeit als Abgesandter in Plessis, weit entfernt, Ludwigs Unwillen zu erregen, ihm vielmehr lebhaft imponiert hatte. Es war ihm nicht besonders angenehm, zu hören, daß der Graf an der Spitze von hundert Lanzen an die Grenzen von Burgund aufgebrochen sei, um den Bischof gegen Wilhelm von der Mark zu unterstützen.
Der Hof speiste, wie es bei allen großen Jagdpartien Brauch war, im Forste; was diesmal dem Herzog besonders angenehm war, da er sich der formellen Feierlichkeit, womit er den König Ludwig sonst hätte empfangen müssen, enthoben sah. Indessen mußte die Abendmahlzeit infolgedessen mit desto größerer Feierlichkeit gehalten werden, und bei der Rückkehr nach Peronne fand König Ludwig ein Bankett mit einem Glanze und einer Pracht zubereitet, wie man es bei dem Reichtum eines gefürchteten Vasallen, der im Besitze der ganzen Niederlande, damals des reichsten Landes in Europa, sich befand, nur immer erwarten konnte. Oben an der langen Tafel, die unter der Last des goldnen und silbernen Tischgeräts fast brach und bis zum Ueberfluß mit den ausgesuchtesten Leckerbissen besetzt war, saß der Herzog, ihm zur Rechten auf einem etwas höheren Sitze sein königlicher Gast. Hinter ihm stand auf einer Seite der Sohn des Herzogs von Geldern, als sein Obervorschneider, auf der andern Seite sein Hofnarr le Glorieux, der ihm selten von der Seite kam; denn, wie die meisten Leute von seiner heftigen und rohen Gemütsart, trieb Karl den allgemeinen Geschmack dieses Zeitalters an Hofnarren und Possenreißern aufs äußerste und fand an ihrer Sonderbarkeit und ihren wunderlichen Einfällen ein Vergnügen, das sein schärfer blickender Nebenbuhler freilich nicht teilte. Heute versäumte Ludwig jedoch nicht, dem Lieblingsnarren des Herzogs seine Aufmerksamkeit zu widmen und seinen Einfällen Beifall zu schenken. Tiel Wetzweiler, gemeiniglich le Glorieux genannt, war übrigens durchaus nicht ein Spaßmacher von der gewöhnlichen Art, sondern ein großer, wohlgebildeter Mann, der sich in manchen Leibesübungen auszeichnete, die sich mit geistiger Minderwertigkeit insofern nicht vertragen hätten, als zu ihrer Uebung Geduld und Ausdauer nötig waren. Er folgte dem Herzoge gewöhnlich sowohl auf der Jagd als in die Schlacht, und als dieser bei Monthlery in großer persönlicher Gefahr schwebte, war er dem Ritter, der seinen Herzog bedrohte, gar kraftvoll zu Leibe gegangen und hatte nicht eher geruht, als bis er ihn aus dem Sattel geworfen hatte. Bei dieser Gelegenheit erwarb er sich auf die Dauer seines Lebens den Beinamen» le Glorieux«(Prahlhans).
Читать дальше