Ohne weiter ein Wort zu wechseln, eilte der Zigeuner, da er sah, daß Quentin nun ganz bewaffnet und gerüstet war, die Treppen vor ihm hinab und wandte sich schnell durch verschiedene Seitengänge, bis sie endlich den kleinen Garten erreichten. Kaum ein Licht war auf dieser Seite zu sehen, kaum hörte man im Hause ein Geräusch, aber Quentin war nicht sobald ins Freie getreten, als das Getöse an der entgegengesetzten Seite des Schlosses zehnmal furchtbarer sich vernehmen ließ und er deutlich die verschiedenen Losungsworte:»Lüttich! der Eber! der Eber!«von den Stürmenden rufen hörte, indes der schwächere Ruf:»Die heilige Jungfrau für den Fürstbischof!«mit matter und sinkender Stimme von seiten derer erklang, die, obwohl überfallen und im Nachteil, zur Verteidigung auf die Mauern geeilt waren.
Ungeachtet des kriegerischen Charakters, den Quentin Durward besaß, war ihm doch der Ausgang des Gefechts gleichgültig, wenn er an das Schicksal der Gräfin Isabelle von Croye dachte, das, wie er allen Grund zu fürchten hatte, schrecklich sein mußte, wenn sie nicht aus der Gewalt dieses ausschweifenden und grausamen Freibeuters, der eben, wie es schien, im Begriff war, die Schloßtore zu sprengen, befreit wurde. Er versöhnte sich mit dem Gedanken an die Hilfe des Zigeuners und folgte ihm durch den Garten hin, in der Absicht, sich solange von ihm leiten zu lassen, bis er Spuren von Verrat entdeckte; dann aber wollte er ihm das Herz durchbohren oder den Kopf vom Leibe hauen. Hayraddin schien selbst einzusehen, daß seine Sicherheit an einem Haare hänge; denn er vergaß, sobald sie ins Freie kamen, aller seiner gewohnten Scherze und Schwänke und schien ein Gelübde getan zu haben, sich mit Bescheidenheit, Mut und Tüchtigkeit zu benehmen.
An der zu den Gemächern der Damen führenden Tür erschienen auf ein leises Zeichen Hayraddins zwei Frauen, in schwarze seidene Schleier gehüllt, wie sie schon damals, wie noch heute, von den niederländischen Frauen getragen wurden. Quentin bot einer von ihnen den Arm an, und sie faßte ihn mit so zitternder Heftigkeit und hing sich so fest daran, daß, wäre ihr Gewicht größer gewesen, ihre Flucht dadurch sehr hätte gehindert werden müssen. Der Zigeuner, der die andere führte, nahm den Weg gerade auf die Hinterpforte der Gartenmauer zu, bei der dicht das kleine Boot lag, worin Quentin ihn schon einmal hatte vom Schlosse abfahren sehen. Während sie übersetzten, schien das Geschrei der Stürmenden und der Sieger anzudeuten, daß sie im Begriff waren, das Schloß zu erstürmen, und so widrig drang dieser Ton in Quentins Ohren, daß er sich nicht enthalten konnte, laut zu beteuern:»Wäre nicht mein Blut unwiderruflich der Erfüllung meiner gegenwärtigen Pflicht geweiht, ich wollte auf die Mauer zurückeilen, dem gastfreundlichen Bischof treulich Beistand leisten und einige dieser Schurken in die Hölle befördern, deren Mund so voll von Meuterei und Raublust ist.«
Die Dame, deren Arm in dem seinigen lag, schien ihm durch einen leisen Druck zu verstehen zu geben, daß sie nähere Ansprüche auf seine Ritterlichkeit habe als die Verteidigung von Schönwald; der Zigeuner aber rief laut genug, um verstanden zu werden:»Nun, das nenne ich doch einen echt christlichen Wahnsinn, zum Kampfe zurückkehren zu wollen, wenn Liebe und Glück uns zur Flucht auffordern. Fort! fort! so eilig, als Ihr könnt. — Es warten Pferde unserer dort in jenem Weidengebüsche.«—»Es sind aber nur zwei Pferde da, «sprach Quentin, der sie beim Mondlicht erblickte. — »Mehr konnte ich nicht auftreiben, ohne Verdacht zu erregen, und außerdem ist's auch genug, «versetzte der Zigeuner.»Ihr zwei müßt nach Tongres zu reiten, ehe der Weg unsicher wird. — Marthon bleibt bei den Weibern unserer Horde, deren alte Bekannte sie ist. Wisset, sie ist eine Tochter unseres Stammes und blieb nur unter Euch, um unsere Pläne, wenn es Gelegenheit gab, zu fördern.«—»Marthon!«rief die Gräfin mit einem Schrei aus, indem sie auf die Verschleierte hinblickte;»ist dies nicht meine Nichte?«—»Es ist nur Marthon, «versetzte der Zigeuner.»Verzeiht mir diesen kleinen Betrug; ich durfte dem Eber der Ardennen nicht beide Gräfinnen entreißen.«—»Schurke, «rief Quentin heftig —»aber ist es nicht — es soll nicht zu spät sein. Ich eile zurück, die Gräfin Hameline zu retten.«—»Hameline, «flüsterte die Dame im Tone der Bestürzung,»hängt an Deinem Arme, um Dir für ihre Rettung zu danken.«—»Ha! Was ist das?«rief Quentin, indem er sich von ihr losriß, und zwar mit weniger Artigkeit, als er sich sonst gegen eine Dame vom Stande erlaubt hätte, — so ist denn Gräfin Isabelle zurückgeblieben? — Lebt wohl — lebt wohl!«
Als er sich umwandte, um nach dem Schlosse zurückzueilen, hielt ihn Hayraddin zurück:»Aber so hört doch nur! — Ihr rennt da in Euern Tod. — Warum, beim Teufel, tragt Ihr denn die Farben der Alten? So will ich doch nie mehr blau und weißer Seide trauen! — Aber sie hat fast eine ebenso reiche Mitgift — hat Juwelen und Gold — und selbst Ansprüche auf die Grafschaft. «Während der Zigeuner also sprach und sich bemühte, Quentin zurückzuhalten, legte dieser endlich die Hand an seinen Dolch, um sich mit Gewalt von ihm loszumachen.»Nein, wenn es so gemeint ist, «versetzte Hayraddin, ihn loslassend,»so geht, und der Teufel, wenn es einen gibt, geleite Euch. «Der Schotte aber eilte, sobald er sich frei fühlte, mit Windesschnelle zum Schlosse zurück. Jetzt wandte sich Hayraddin zur Gräfin Hameline zurück, die vor Scham, Furcht und Aerger über ihre vereitelten Hoffnungen zu Boden gesunken war.
«Hier hat ein Mißverständnis obgewaltet, «sagte er;»auf, Gräfin, und kommt mit mir — ich will Euch, bevor der Morgen kommt, für einen weit galanteren Mann sorgen, als dieser unbärtige Laffe ist, und wenn Euch einer nicht genügt, so sollt Ihr deren zwanzig haben!«
Gräfin Hameline war ebenso heftig in ihren Leidenschaften, als eitel und schwach am Verstande. Wie manche andere, wußte sie sich bei den gewöhnlichen Vorfällen im Leben ganz gut zu helfen, aber in einem so bedenklichen Falle, wie der gegenwärtige war, war sie ganz unfähig, irgend etwas anderes zu tun, als Klagen auszustoßen, Hayraddin einen Dieb, einen elenden Sklaven, einen Betrüger und Mörder zu schelten.
«Nennt mich einen Zigeuner, «erwiderte er,»und Ihr habt alles auf einmal gesagt.«—»Ungeheuer! Du sagtest, die Sterne hätten unsere Verbindung beschlossen, und Du bewogst mich, ihm zu schreiben — O Törin, die ich war!«rief die unglückliche Gräfin aus. — »Ja, sie hatten auch Eure Verbindung beschlossen, «sagte Hayraddin,»wenn beide Teile zufrieden gewesen wären. Glaubt Ihr denn, die himmlischen Konstellationen könnten jemand zum Heiraten zwingen wider seinen Willen? — Mich haben Eure verwünschten christlichen Galanterien, Eure einfältigen Bänder und Gunstbezeugungen, zu dem Irrtum verführt. — Der junge Mann zieht nun aber Kalbfleisch dem Kuhfleisch vor, das ist alles. Nun kommt und folget mir, und wißt, daß ich weder das Weinen noch das Ohnmächtigwerden leiden kann.«—»Ich gehe nicht von der Stelle, «entgegnete hartnäckig die Gräfin. — »Beim glänzenden Firmament, Ihr sollt doch mit mir fort!«rief Hayraddin aus;»ich schwöre Euch bei allem, woran Toren je geglaubt haben, Ihr habt es mit einem zu tun, der sich wenig daraus machen würde, Euch bis aufs Hemd auszuziehen, an einen Baum zu binden, und so Eurem Schicksale zu überlassen!«—»Nein, «sagte Marthon, dazwischen tretend,»ich leide das nicht! ich lasse sie nicht mißhandeln! Ich trage ein Messer so gut wie Ihr und weiß es zu brauchen — sie ist ein gutes Weib, wenn gleich eine Törin. Und Ihr, Madame, steht auf und folgt uns jetzt — hier hat ein Irrtum stattgefunden, aber es heißt schon was, Leib und Leben gerettet zu haben. In jenem Schlosse dort wird es wohl manchen geben, der alle Schätze der Welt darum bieten würde, wenn er da stände, wo wir jetzt sind.«
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