Wenn der Kardinal die Worte auch nicht hörte, so ließ ihn doch der höhnische Blick, von dem sie begleitet waren, ihren Inhalt vermuten. Solche Gelegenheiten wählt, hört man öfter sagen, der Teufel dazu aus, Gemüter zu verbittern! und so verhielt es sich hier. Der Schreck war bei dem Kardinal rasch vorbei, sobald er inne wurde, daß der Fall ohne nachteilige Folgen für ihn war; allein verletzte Eitelkeit und Erbitterung gegen seinen Herrn und König übten auf seine Gefühle einen desto längeren Einfluß aus.
Als die Jagd vorbeigezogen war, kam ein einzelner Kavalier, der mehr Zuschauer als Teilnehmer der Jagd zu sein schien, mit ein paar Begleitern dahergeritten und drückte keinen geringen Grad von Verwunderung aus, den Kardinal hier auf seinen eigenen Füßen, ohne Roß und Gefolge und in einer derartigen Beschaffenheit zu finden, daß über die Art des ihm zugestoßenen Unfalls keinerlei Zweifel obwalten konnte. Absteigen und ihm seine Hilfe unter solchen Umständen anbieten, einen seiner Diener absitzen heißen und ihm dessen frommen und ruhigen Zelter zum Gebrauch überlassen, ein Befremden über die am französischen Hofe herrschenden Sitten äußern, die es erlaubten, den weisesten Staatsmann solcherweise den Gefahren der Jagd preiszugeben und in seinen Nöten zu vergessen: das waren die natürlichsten Hilfeleistungen und Trostgründe, die ein so seltsames Zusammentreffen dem Grafen Crevecoeur von selbst an die Hand gab; denn niemand anders als der burgundische Gesandte war es, der dem gefallenen Kardinal zu Hilfe kam. Er fand ihn zur glücklichen Stunde und in der glücklichsten Stimmung, um sich hinsichtlich seiner Treue die erwünschten Beweise zu holen. Wie die argwöhnische Gemütsart Ludwigs richtig ahnte, war am Morgen schon mehr zwischen ihnen vorgegangen, als der Kardinal seinem gestrengen Herrn hätte mitzuteilen vermögen. Aber obgleich er schon damals mit Wohlgefallen angehört hatte, welch hohen Wert nach Crevecoeurs Versicherungen der Herzog von Burgund auf seine Person und Talente legte, auch ein Gefühl von Versuchung nicht unterdrücken konnte, als der Graf einige Winke über die Freigebigkeit seines Gebieters und die reichen Pfründen in Frankreich fallen ließ, so brachte ihn doch erst der erwähnte Vorfall wegen verletzter Eitelkeit zur Unglücksstunde zu dem Entschlusse, zu zeigen, daß kein Feind so gefährlich werden kann wie ein beleidigter Freund und Vertrauter.
Er bat indessen für den Augenblick Crevecoeur aufs dringlichste, sich von ihm zu entfernen, damit sie nicht beobachtet würden, bestimmte ihm aber auf den Abend eine Zusammenkunft in der Abtei Sankt Martins in Tours, und dies in einem Tone, der dem Burgunder deutlich zu erkennen gab, daß sein Herr einen Vorteil gewonnen, auf den er kaum gehofft hätte.
Mittlerweile hatte Ludwig, zwar der staatsklügste Fürst seiner Zeit, doch, wie bei andern Gelegenheiten auch hier seiner Leidenschaften nicht vollkommen Herr, die Eberjagd, die nun den anziehendsten Punkt erreicht hatte, mit Eifer weiter betrieben. Es war nämlich der Fall eingetreten, daß ein junger Eber die Fährte des alten, dem eigentlich die Jagd galt, gekreuzt hatte, und daß alle Hunde, mit Ausnahme von ein paar Koppeln alter, eingehetzter Doggen, nebst dem größten Teile der Jagdleute dessen Spur gefolgt waren. Mit innerlichem Behagen nahm der König wahr, daß die andern alle, und mit ihnen Dunois, auf diesen Irrtum anbissen, und weidete sich schon im voraus an dem Triumphe über diesen vollendeten Künstler von Weidmann. Ludwig war wohlberitten und folgte den Hunden auf dem Fuße, so daß dem Eber, als er sich in seiner äußersten Not in einen Morast rettete, niemand näher war als der König selbst. Mit aller Unerschrockenheit und Erfahrung eines geübten Weidmanns, ohne Rücksicht auf die Gefahr, sprengte der König auf das furchtbare Tier, das sich wütend gegen die Hunde wehrte, los und verwundete es mit seinem Jagdspieße. Da aber das Pferd scheute, hatte der Stoß nicht Kraft genug, ihm den Garaus zu machen. Es war unmöglich, das Pferd zu einem zweiten Angriffe zu bewegen, so daß der König abstieg und zu Fuß auf das rasende Tier losging, das kurze scharfe Schwert in der Faust, dessen sich die Jäger bei solchen Gelegenheiten bedienen. Der Eber ließ auf der Stelle von den Hunden ab, um sich gegen seinen menschlichen Feind zu wenden; der König seinerseits faßte festen Fuß und hielt das Schwert vor, um es ihm neben dem Schlüsselbein in die Brust zu stoßen. Aber auf dem schlüpfrigen Grunde glitt der König aus und zwar gerade in demselben Augenblicke, als das gefährliche Manöver hätte ausgeführt werden sollen; die Spitze des Schwertes traf bloß den Borstenpanzer an der äußeren Seite der Schulter, glitt von da ab, und Ludwig fiel platt auf den Boden. Es war ein Glück für ihn, daß er auf diese Weise zu Falle kam, denn der Eber verfehlte infolgedessen ebenfalls sein Ziel und streifte mit seinen Hauern bloß das Jagdkleid des Königs, statt daß es ihm sonst mit tödlicher Sicherheit den Schenkel aufgerissen hätte. Wohl schoß der Eber in seiner Wut ein ganzes Stück geradeaus weiter, schwenkte indessen, als er seinen Irrtum gewahr wurde, um und wiederholte seinen Angriff gerade, als der König sich von der Erde aufrichtete. Ludwigs Leben war in schwerer Gefahr. Da sprengte Quentin Durward heran, der zwar zufolge der Langsamkeit seines Pferdes von der Jagd abgekommen war, aber das Hifthorn des Königs nichtsdestoweniger herausgehört hatte, und bohrte den Eber mit seinem Spieße nieder.
Mittlerweile hatte der König festen Fuß gefaßt und stach nun dem Eber, seinerseits Durward zu Hilfe tretend, sein Schwert in die Brust. Ehe er aber Durward eines Wortes würdigte, maß er die Größe des Tieres durch Schritt und Fuß und trocknete sich den Schweiß von der Stirn und das Blut von den Händen. Dann nahm er seinen Jagdhut ab, hing ihn an einen Busch und verrichtete vor den kleinen, bleiernen Bildern seine Andacht. Endlich warf er einen Blick auf Durward und sagte:»Ei, bist Du es, mein junger Schotte? Du hast Dein Weidwerk wacker begonnen, und Meister Peter ist Dir eine ebensogute Mahlzeit schuldig, wie er Dir eine in der Lilie vorsetzen ließ… Warum sagst Du nichts? Mir scheint, während andere bei Hofe keck und munter werden, ist bei Dir weit eher das Gegenteil der Fall.«
Quentin, der in Schottland sich den Wind tüchtig hatte um die Ohren pfeifen lassen, hütete sich weislich, diese Aufforderung, aus sich herauszugehen, für ernst zu nehmen; er antwortete vielmehr mit ein paar wohlgesetzten Worten, daß er vor allen Dingen, wenn er es wagen dürfe, sich an Seine Majestät zu wenden, um geeignete Rücksicht bitten müsse wegen der ungeschlachten Weise, wie er sich gegen den Herrscher benommen habe, als ihm dessen Rang und Eigenschaft noch nicht bekannt gewesen seien.
«Kein Wort weiter, Mann!«erwiderte der König,»Deine Grobheit sei Dir verziehen um Deiner Pfiffigkeit willen. Wundern mußte es mich ja, wie nahe Du mit Deinem Witze an meines Gevatters Handwerk streiftest. Wie mir zu Ohren gekommen, bist Du ja näher damit bekannt geworden. Aber laß Dir sagen, daß es klug ist, sich vor dem Kerl in acht zu nehmen: er treibt einen zu ausgedehnten Schacher mit groben Armbändern und engen Halskrausen… Hilf mir aufs Pferd, Mann! Du gefällst mir, Patron, und ich will sehen, was sich für Dich tun läßt. Baue auf keines Menschen Gunst, sondern bloß auf die meinige; auch nicht auf die von Deinem Oheim oder Lord Crawford, und erzähle niemand etwas von dem Dienst, den Du mir zu so rechter Zeit erwiesen hast hier auf der Eberjagd; denn wer sich dick damit tut, daß er einem König aus solcher Gefahr herausgehauen hat, muß sich gemeinhin mit seiner Dicktuerei als bezahlt ansehen.«
Der König stieß in sein Horn. Dunois und andre von seinem Gefolge eilten herbei und legten dem König ihre Glückwünsche zu seinem Jagdglück zu Füßen; unbedenklich sich einen weit größeren Teil an der Erlegung des edlen Tieres beimessend, als ihm nach Recht und Verdienst davon gebührte, befahl er Dunois, den erlegten Keiler den Brüdern von Sankt-Martin in Tours als Festbraten zu übersenden mit dem Ansuchen an sie, dafür des Königs bei ihren Andachtsübungen mit zu gedenken… — »Aber hat denn niemand unsern lieben Kardinal Balue gesehen?«fragte Ludwig;»es geht doch unmöglich an und vertrüge sich weder mit unserer Christenpflicht, noch wäre es für unsern Respekt vor der heiligen Kirche ein schickliches Zeugnis, wollten Wir die Eminenz im Walde zu Fuße herumirren lassen.«—»Mit Verlaub, Majestät, «sprach Quentin, als er sah, daß niemand das Wort nahm,»ich habe Seine Herrlichkeit aus dem Walde reiten sehen.«
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