Mit diesen Worten zog er den Handschuh von seiner Rechten und warf ihn auf den Boden des Saales hin. Bis zu diesem höchsten Grade von Verwegenheit hatte in dem königlichen Gemache während dieser außerordentlichen Szene das tiefste Schweigen geherrscht; allein der Schall des niedergeworfenen Handschuhs, begleitet von dem Ausrufe des burgundischen Herolds:»Es lebe Burgund!«wurde kaum vernommen, so erhob sich unter den Anwesenden ein allgemeiner Aufruhr. Während Dunois, Orleans, der alte Lord Crawford und einige andre, die ihr Rang zu einer Einmischung berechtigte, sich darum stritten, wer den Handschuh aufheben dürfe, schrien die andern im Saale:»Nieder mit ihm! haut ihn in Stücke! kommt er her, den König von Frankreich in seinem eignen Palaste zu beschimpfen?«
Der König besänftigte den Aufruhr, indem er mit donnernder Stimme rief:»Ruhe, Ruhe, meine Getreuen! lege keiner Hand an diesen Mann, noch berühre er diesen Handschuh… Und Ihr, Herr Graf, woraus besteht denn Euer Leben, daß Ihr es auf einen so gefährlichen Wurf setzt? oder ist Euer Herzog aus einem andern Metall, als die übrigen Fürsten, daß er seine vermeintlichen Ansprüche auf solch ungewöhnliche Weise geltend macht?«
«Allerdings ist er von andrem, edlerm Metall, denn alle übrigen Fürsten Europas, «sprach der unerschrockene Graf;»denn da kein anderer es wagte, Euch — Euch, König Ludwig, Schutz zu geben — als Ihr aus Frankreich verbannt waret, verfolgt von dem Grimme väterlicher Rache, und all der Macht des Reiches, da war Er es, der Euch wie einen Bruder aufnahm und beschützte, und Ihm habt Ihr seinen Edelmut so schlecht vergolten! — Lebt wohl, Sire, mein Auftrag ist ausgerichtet. «Mit diesen Worten verließ Graf Crevecoeur plötzlich den Saal.»Ihm nach — ihm nach — hebt den Handschuh auf und ihm nach!«rief der König.»Ich meine Euch nicht, Dunois, auch nicht Euch, Mylord Crawford; Ihr dünkt mir für einen solchen Strauß zu alt; noch Euch, Vetter Orleans; Ihr seid zu jung dazu… Herr Kardinal, Herr Bischof von Auxerre — Euer heilig Amt ist es, Frieden zu stiften unter Fürsten; hebt Ihr den Handschuh auf und stellt Graf Crevecoeur die Sünde vor, die er begangen hat, indem er einen großen Fürsten an seinem eignen Hofe also höhnte und ihn zwang, die Drangsale des Krieges über sein und seines Nachbars Land zu bringen.«
Auf diese persönliche Aufforderung trat Kardinal Balue vor, den Handschuh aufzuheben; doch tat er es mit solcher Behutsamkeit, als müßte er eine Natter berühren, so groß war sein Abscheu vor diesem Sinnbilde des Krieges — und augenblicklich verließ er das königliche Gemach, dem Herausforderer nachzueilen.
Ludwig schwieg und blickte rund in dem Kreise seiner Hofleute umher, von denen die meisten, außer denen, die wir bereits bezeichnet haben, Leute von niederm Stande, und zu dem hohen Range an des Königs Hofe durch andre Eigenschaften als durch Mut und Waffentaten erhoben waren. Diese sahen einander bloß an, indem sie sichtbar einen höchst unerfreulichen Eindruck von dem Auftritte, der soeben vorgefallen, erhalten hatten. Ludwig blickte sie mit Verachtung an und sagte dann mit lauter Stimme:»Obgleich der Graf ein anmaßender, übermütiger Herr ist, so muß ich doch gestehen, daß der Herzog an ihm einen so kühnen Diener hat, wie nur je einer eine Botschaft für einen Fürsten übernahm. Ich möchte gern wissen, wo ich einen Gesandten finden könnte, der ihm ebenso treu meine Antwort überbrächte.«—»Sire, Ihr tut den Edeln Eures Reiches unrecht, «nahm Dunois das Wort,»nicht einer von Ihnen bedächte sich, auf seines Schwertes Spitze dem Burgunder eine Herausforderung zu überbringen.«—»Sire, «bemerkte der alte Crawford,»auch den schottischen Adeligen, die Euch dienen, tretet Ihr zu nahe. Ich und jeder meiner Untergebenen von erforderlichem Range nähme nicht einen Augenblick Anstand, den stolzen Grafen zur Rechenschaft zu ziehen; mein eigner Arm ist hierzu noch stark genug, wenn mir Eure Majestät die Erlaubnis hierzu geben wollen.«—»Aber Eure Majestät, «nahm wieder Dunois das Wort,»wollen nun einmal uns zu keinem Dienste verwenden, wo wir uns selbst Ihrer Majestät und Frankreichs Ehre gewinnen könnten.«—»Sagt lieber, «versetzte der König,»daß ich der ungestümen Leidenschaft nicht Raum gebe, auf eine eitle Ehrengrille hin, Euch, den Thron und Frankreich aufs Spiel zu setzen. Keiner unter Euch ist, der nicht recht gut wüßte, wie kostbar jede Stunde Freuden für Frankreich ist, wie not es tut, die Wunden des zerrütteten Reiches zu heilen; und doch ist jeder von Euch augenblicklich bereit, auf die Erzählung eines wandernden Zigeuners hin oder zugunsten eines irrenden Dämchens, deren Ehre vielleicht es kaum verlohnt, sich in einen Krieg zu stürzen. — Doch hier kommt der Kardinal und, wie Wir hoffen, mit friedlicheren Nachrichten. — Nun, habt Ihr den Grafen zur Vernunft und Mäßigung gebracht?«—»Sire, «antwortete Balue,»mein Geschäft hat viel Schwierigkeiten gehabt. Ich stellte dem stolzen Grafen vor, daß der anmaßende Vorwurf, mit dem er seine Botschaft abgebrochen, von Eurer Majestät so angesehen werden müsse, als komme er nicht von seinem Herrn, sondern von seiner eignen unziemlichen Art sich zu benehmen, her, und daß er dadurch der Willkür Eurer Majestät zu beliebiger Bestrafung verfallen sei.«—»Da habt Ihr gut gesprochen, «erwiderte der König;»und wie lautete seine Antwort? Vermochtet Ihr ihn, nach zu bleiben?«
«Noch vierundzwanzig Stunden, und mittlerweile den Fehdehandschuh wieder an sich zu nehmen, «antwortete der Kardinal;»er ist im Gasthofe zur Lilie abgestiegen.«—»Sorget dafür, daß er auf unsere Kosten anständig bedient und bewirtet werde, «befahl der König,»denn solcher Diener ist ein Juwel in eines Fürsten Krone… Vierundzwanzig Stunden?«fuhr er fort, vor sich hinmurmelnd, indem er die Augen dabei so weit öffnete, als wollte er in die Zukunft schauen;»eine kurze Frist! doch zweckmäßig und mit Geschick verwendet, mögen sie ein Jahr in den Händen eines trägen und unbeholfenen Unterhändlers aufwiegen… Gut!.. Jetzt hinaus in den Wald! in den Wald!«rief er;»die Eberspieße zur Hand! Euren Speer, Dunois! nehmt meinen, denn er ist zu schwer für mich… Zu Roß, zu Roß, meine Herren!«
Und die Jagdgesellschaft ritt davon.
So groß auch die Kenntnis war, die der Kardinal von dem Gemüte seines Herrn zu besitzen meinte, so hinderte sie ihn bei der gegenwärtigen Gelegenheit doch nicht daran, in einen argen politischen Irrtum zu verfallen. Seine Eitelkeit bewog ihn anzunehmen, er sei weit glücklicher gewesen, den Grafen Crevecoeur zu einem längern Aufenthalt in Tours zu vermögen, als es bei jedem andern Vermittler, den der König hätte gebrauchen können, aller Wahrscheinlichkeit nach der Fall gewesen wäre; und da er wußte, von welcher Wichtigkeit es für Ludwig war, einem Kriege mit Burgund auszuweichen, so konnte er nicht umhin, es merken zu lassen, welch großen und willkommenen Dienst er hiermit dem Könige geleistet zu haben meinte. Er drängte sich darum näher zu der Person des Königs heran, als er es sonst zu tun gewohnt war, und suchte ihn zu einem Gespräch über die Vorgänge des Morgens zu veranlassen. Hingerissen, wie es auch dem Vorsichtigsten zuweilen geschieht, von seiner selbstgenügsamen Stimmung, ritt der Kardinal immer dem Könige zur Rechten und lenkte, so oft es möglich war, die Unterhaltung auf Crevecoeur und dessen Sendung, — ein Gegenstand, der den König zwar im Augenblick am meisten beschäftigen mochte, über den er aber am wenigsten geneigt war, sich in eine Unterhaltung einzulassen. Endlich gab Ludwig, der ihm zwar mit Aufmerksamkeit zugehört, allein auf keine Weise zur Fortsetzung des Gesprächs beigetragen hatte, dem nicht weit von ihm reitenden Dunois ein Zeichen, an die andre Seite seines Pferdes zu kommen.
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