So schlicht auch die Gewölbekammer war, in der ihn Rasmia erwartete, sie hatte es geschafft, ihr eine Atmosphäre zu verleihen, die keinen Zweifel an ihren Absichten ließ. Aus einem schwelenden, matt bronzenen Weihrauchgefäß strömte Moschusduft, Unmengen frischer Blumen standen überall, um das Auge zu erfreuen und die Luft mit süßem Duft zu erfüllen. Durch das offene Fenster drangen die pochenden Rhythmen eines klagenden, mit sinnlicher Trägheit gespielten andalusischen Liebesliedes. Obwohl er sich diesem schönen Schein auf jeden Fall entziehen wollte, regte sich Amrams Blut, als sich Rasmia von ihrem Diwan erhob und mit einem Rascheln der Robe aus Seidenmusselin, in den ihre winzige Gestalt gehüllt war, mit ausgestreckten Armen auf ihn zukam.
»Endlich!« rief sie, und ihre großen goldenen Augen strahlten vor Bewunderung, als sie den Kopf hob und ihn ansah. »Man sagt, Ihr seid der klügste Stratege, der beste Dichter und der größte Geldeintreiber in ganz al-Andalus. Aber niemand spricht von der gewaltigen Kraft, die Ihr ausstrahlt, von der unerschrockenen Zielstrebigkeit, auf die Euer festes Kinn deutet, von dem wachen Blick, der unter Eurer klaren, breiten Stirn leuchtet. Eure Lippen sind vielleicht ein wenig schmal«, flüsterte sie, während sie mit dem Finger darüber strich, »aber wenn sie erst einmal andere Lippen berührt haben, werden sie sich sicherlich entspannen.«
Galant nahm Amram die Hand, die so leicht und verführerisch über seinen Mund streichelte, küßte die Handfläche, umfaßte sie dann mit seinen beiden starken Händen. »Ich fühle mich von der Ehre, die Ihr mir erweist, außerordentlich geschmeichelt. Aber es ziemt sich nicht, daß eine Frau von Eurem hohen Stand ihre Gunst einem Mann meines bescheidenen Ranges schenkt.«
Rasmia begann silberhell zu lachen, und ihre kleine, wohlgerundete Gestalt, die ihm kaum bis zur Schulter reichte, streifte ihn verführerisch. »Laßt das nur meine Sorge sein.«
»Nein, geehrte Dame, ich, ein Mann mit Erfahrung, muß es beurteilen. Ihr gehört der königlichen Familie der Hammudiden an, einem Zweiggeschlecht der Omaijaden, dem der Titel, wenn auch nicht die Macht der Kalifen vererbt wurde. Aber sie bleibt eine muslimische Dynastie, ob sie sich nun entscheidet, diesen Glauben zu achten oder zu verachten. Ich bin nur ein einfacher Mann, kein Sprößling einer Dynastie, kein Prinz mit Ländereien, sondern ein Mitglied der jüdischen Glaubensgemeinschaft. Wenn Ihr es mit dem Lob, das Ihr auf mein Haupt häuft, ernst meint, so müßt Ihr Euch von dem einzigen Gut leiten lassen, das ich mein eigen nennen kann, von meiner Weisheit und meiner Menschenkenntnis. So wie Öl und Wasser sich nicht vermischen, so wäre eine intime Verbindung zwischen Euch und mir eine fatale mésalliance, dazu verdammt, uns beiden Unglück zu bringen. Ihr seid ein zu wunderbares Geschöpf, als daß ich es mir erlauben dürfte, Euch Schmerzen und Leid zuzufügen.«
»Aber meine Sehnsucht nach Euch, jetzt, da ich Euch zu Gesicht bekommen habe und habe reden hören, wird mir auch eine Quelle unendlichen Schmerzes sein.«
»Wenn Eure Gefühle aufrichtig sind, so werdet Ihr Trost im Verzicht finden. Stellt Euch vor, wieviel größer Euer Leiden wäre, wenn Ihr mir durch die Befriedigung dieser Sehnsucht Schaden zugefügt hättet.«
»Ich werde Euch beschützen.«
»Wenn ich heute den Titel eines Wesirs trage, so nur deshalb, weil ich mich stets nur auf mich selbst verlassen habe, was meinen Schutz angeht.«
»Wie streng und unnachgiebig Ihr doch gegen mich – und Euch selbst – seid.«
»Es ist eine Einstellung, die sich bewährt hat. Wie sonst könnte ich heute bei Euch sein?«
Dieses Argument konnte Rasmia nicht entkräften. Still senkte sie den Kopf und wußte, daß sie geschlagen war – zumindest für den Augenblick.
»Es war ein seltenes Vergnügen, einige wenige Augenblicke in Eurer Gesellschaft zu verbringen«, sagte Amram, und ein kaum merklicher Hauch des Bedauerns blitzte in seinen Augen auf, als er auf ihre kleine, zarte Gestalt schaute. »Wäre ich nicht in das Haus Ibn Yatom geboren und Ihr nicht in das der Hammudiden, unser Schicksal hätte anders verlaufen können.«
Rasmia stiegen Tränen in die Augen, als sie ihm nachsah, Tränen der Enttäuschung, des Bedauerns, der Enttäuschung und des Selbstmitleids. Und doch, dachte sie, als sie traurig auf das schöne Gewand blickte, in das sie sich gehüllt hatte, und doch fühlte sie sich nicht in ihrem Stolz verletzt. Seine letzten Worte hatten etwas angedeutet, unter anderen Umständen hätte er sehr wohl auf ihre Liebe eingehen können. Mit der Zeit, vielleicht mit der Zeit …
Nachdenklich ritt Amram die Flanke des Albaicin hinab und über den Fluß in das schlummernde Judenviertel, vor den Augen das Bild von Rasmias kleiner, zarter Gestalt, die sich in seine Armbeuge schmiegte, die er streichelte und schützte wie ein verletzliches Kätzchen. Wie ungeheuer begehrenswert sie in ihrer kindlichen Art war, wie anders als seine zielstrebige, ehrgeizige Leonora, auf die er nun zuritt. Entschlossen vertrieb er das quälende Bild aus seinem Kopf und wandte seine Gedanken wieder der Freude zu, die er in den großen Augen seiner Frau würde aufleuchten sehen, wenn er die Säle der Mächtigen beschrieb, durch die er geschritten war, in getreuer Erfüllung des Versprechens, das er ihr gegeben hatte: ihr Ruhm und Herrlichkeit zu bringen. Zusammen würden sie über die Veränderungen reden, die seiner Erhebung in diesen hohen Stand folgen mußten. Man würde den Salon üppig mit goldenen und silbernen Gegenständen ausstatten, die Wände mit schimmernden Seidenteppichen behängen, damit er der erhabenen Besucher würdig wäre, die ihn nun mit ihrer Anwesenheit beehren würden. Der längst versprochene Balkon würde endlich gebaut werden. Und er würde seiner Frau kostbare Kleider kaufen, als Symbol ihres hohen Ranges. Als erster Jude, der in den Stand eines Wesirs erhoben wurde, mußte er trotz aller Familientradition diese Würde mit dem gebührenden Glanz und Pomp tragen. Wie glücklich würde Leonora darüber sein, wie verzückt würde sie in ihrer Leidenschaft sein, wenn sie sich liebten und sich ihr langer, schmaler Körper wollüstig um ihn schlang.
40
Ein Jahr war vergangen, und äußerst widerwillig verließ Amram Leonora, die inzwischen hochschwanger war. Er mußte an einer Versammlung der Würdenträger Granadas teilnehmen, die im Hause des Abu Ali stattfand. Viel lieber wollte er die kühlen, stillen Abende nur noch mit seiner Frau verbringen, sie dann, wenn sie müde war, zu Bett bringen, sich versichern, daß ihr Rücken gut abgestützt war, und die fruchtbare Wölbung ihres Leibes streicheln, ehe er sie zärtlich zur guten Nacht küßte.
Seit er in den Rang eines Wesirs erhoben war, hatte er viele solche Einladungen von den Berberprinzen und den andalusischen Beamten bekommen, die wie er eine gewisse Macht im wachsenden Königreich hatten. Zunächst war er ungeheuer stolz gewesen, daß ihm Gleichgestellte ihn akzeptierten, aber schon bald war der Reiz des Neuen verflogen. Obwohl sein Einfluß bei Hofe täglich wuchs und ihn seinen ehrgeizigen Zielen immer näher brachte, überfiel ihn doch, wenn er sich in diesen Kreisen bewegte, wieder das gleiche ungute Gefühl, das ihn beschlichen hatte, als Habbus ihm den Umhang des Wesirs um die Schultern legte. »Übe dich in Bescheidenheit, mein Sohn, übe dich in Bescheidenheit. Das ist der Preis für das Überleben.« Immer wieder erinnerte er sich an diese letzten Worte seines Vaters, immer wieder machten sie ihm deutlich, daß er mit der Tradition des Hauses Ibn Yatom gebrochen hatte. Zu Leonora sagte er davon kein Wort. Sie konnte ihm nicht helfen, denn es gab keinen Weg zurück. Als Wesir konnte er es sich nicht leisten, die Salons und Säulengänge der großen Häuser Granadas zu meiden, denn in deren Schatten wurden Intrigen geschmiedet, vertrauliche Gespräche belauscht. Auch das war ein Preis, den er zahlen mußte, um zu überleben.
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