Saša Stanišić
Wie der Soldat das Grammofon repariert
Für meine Eltern | Mojim roditeljima
Widmung
Wie lange ein Herzstillstand für hundert Meter braucht, wie schwer ein Spinnenleben wiegt, warum mein Trauriger an den grausamen Fluss schreibt und was der Chefgenosse des Unfertigen als Zauberer draufhat
Wie süß Dunkelrot ist, wie viele Ochsen man für eine Wand braucht, warum das Pferd von Kraljević Marko mit Superman verwandt ist und wie es sein kann, dass ein Krieg zu einem Fest kommt
Wer gewinnt, wenn Walross pfeift, wonach ein Orchester riecht, ab wann man Nebel nicht mehr schneiden kann und wie eine Geschichte zu einer Abmachung wird
Wann Blumen Blumen sind, wie Mister Hemingway und Genosse Marx zueinander stehen, wer der wahre Tetrismeister ist und wofür Bogoljub Balvans Schal sein Gesicht herhalten muss
Wann etwas ein Ereignis ist, wann ein Erlebnis, wie viele Tode Genosse Tito hat und wie der ehemals gefeierte Dreierschütze hinter das Lenkrad eines Centrotrans-Busses gelangt
Was Milenko Pavlović, genannt Walross, von seiner schönen Reise mitbringt, wie das Bein des Stationsvorstehers zum Leben erwacht, wofür man Franzosen gebrauchen kann und warum die Anführungsstriche überflüssig sind
Wohin schlechter Musikgeschmack führt, was der Dreipunktemann anprangert und wie schnell ein Krieg ist, wenn er einmal Anlauf genommen hat
Was wir im Keller spielen, wie die Erbsen schmecken, warum die Stille ihre Zähne fletscht, wer richtig heißt, was eine Brücke aushält, warum Asija weint, wie Asija strahlt
Wie der Soldat das Grammofon repariert, was Genießer trinken, wie wir schriftlich in Russisch stehen, warum Döbel Spucke essen und wie es sein kann, dass eine Stadt zersplittert
Emina auf den Armen durch ihr Dorf getragen,
26. April 1992
9. Januar 1993
17. Juli 1993
8. Januar 1994
Hallo. Wer? Aleksandar! So was, woher rufst du an? Nicht schlecht! Beschissen, und selbst?
16. Dezember 1995
was ich eigentlich will
1. Mai 1999
Aleksandar, ich möchte das Paket unbedingt — dir — schicken.
Als alles gut war
Eis
Wunsch
Parade
1. Mai 1989 oder Das Küken in der Pionierhand
Es gibt keine Partisanen mehr
Eine schöne Reise
Wie man verschwindet
Warum Čika Doktor jemandem die Wade aufgeschnitten hat
Warum Vukoje Wurm mit der drei Mal gebrochenen Nase meine Nase nicht bricht
Warum Čika Hasan und Čika Sead unzertrennlich sind und womit auch der klügste Welsgelehrte nicht rechnen kann
Wie sich Schachspiel zu Weltpolitik verhält, warum Opa Slavko weiß, dass morgen die Revolutionen kommen und wie es sein kann, dass manchmal etwas so schwer zu sagen ist
Welches Versprechen ein Staudamm halten muss, wie die schönste Sprache der Welt klingt und wie oft ein Herz schlagen muss, um die Scham zu schlagen
Warum Häuser mitfühlend und selbstlos sind, was sie musizieren und warum ich ihnen wünsche, dass sie mitfühlend und selbstlos bleiben, und vor allem fest
Welcher Sieg der schönste ist, was mir Opa Slavko zutraut und warum alle so tun, als würde die Angst kleiner werden, wenn man über sie nicht spricht
Wie es der dreisten Drina geht, wie es der lippenlosen Drina wirklich geht, was sie vom kleinen Herrn Rzav hält und wie wenig man braucht, um glücklich zu sein wie ein Falke
11. Februar 2002
Ich bin Asija. Sie haben Mama und Papa mitgenommen. Mein Name hat eine Bedeutung. Deine Bilder sind gemein
Von dreihundertdreißig zufällig gewählten Nummern in Sarajevo ist bei ungefähr jeder fünfzehnten ein Anrufbeantworter dran
Was die Wise Guys weise macht, wie hoch der Einsatz auf die eigene Erinnerung sein darf, wer gefunden wird und wer erfunden bleibt
Was hinter Gottes Füßen gespielt wird, wofür sich Kiko die Zigarette aufhebt, wo Hollywood liegt und wie Mikimaus zu antworten lernt
Ich habe Listen gemacht
Chefgenosse des Unfertigen
Danksagung
Copyright
Wie lange ein Herzstillstand für hundert Meter braucht, wie schwer ein Spinnenleben wiegt, warum mein Trauriger an den grausamen Fluss schreibt und was der Chefgenosse des Unfertigen als Zauberer draufhat
Opa Slavko maß meinen Kopf mit Omas Wäschestrick aus, ich bekam einen Zauberhut, einen spitzen Zauberhut aus Kartonpapier, und Opa Slavko sagte: eigentlich bin ich noch zu jung für so einen Quatsch und du schon zu alt.
Ich bekam einen Zauberhut mit gelben und blauen Sternen, sie zogen gelbe und blaue Schweife, dazu schnippelte ich eine kleine Mondsichel und zwei Dreiecksraketen aus, eine flog Gagarin, die andere Opa Slavko.
Opa, mit dem Hut lasse ich mich nirgendwo blicken!
Das will ich hoffen!
Am Morgen des Tages, an dessen Abend er starb, schnitzte mir Opa Slavko aus einem Ast den Zauberstab und sagte: im Hut und im Stab steckt eine Zauberkraft, trägst du den Hut und schwingst du den Stab, wirst du der mächtigste Fähigkeitenzauberer der blockfreien Staaten sein. Vieles wirst du revolutionieren können, solange es mit den Ideen von Tito konform geht und in Übereinstimmung mit den Statuten des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens steht.
Ich zweifelte an der Zauberei, aber ich hatte keine Zweifel an meinem Opa. Die wertvollste Gabe ist die Erfindung, der größte Reichtum die Fantasie. Merk dir das, Aleksandar, sagte Opa ernst, als er mir den Hut aufsetzte, merk dir das und denk dir die Welt schöner aus. Er übergab mir den Stab. Ich zweifelte an nichts mehr.
Es ist üblich, dass man hin und wieder wegen der Verstorbenen traurig wird. Bei uns findet das statt, wenn Sonntag, Regen, Kaffee und Oma Katarina zusammenkommen. Oma schlürft dann aus ihrer Lieblingstasse, der weißen mit dem Sprung im Griff, weint und erinnert sich an alle Toten und an die guten Dinge, die sie gemacht haben, bevor ihnen das Sterben dazwischenkam. Heute sind Familie und Freunde bei Oma, weil wir uns an Opa Slavko erinnern, der seit zwei Tagen vorläufig tot ist, so lange, bis ich meinen Zauberstab und meinen Hut wiederfinde.
Noch nicht gestorben in meiner Familie sind Mutter, Vater und Vaters Brüder — Onkel Bora und Onkel Miki. Nena Fatima, die Mutter meiner Mutter, hält sich noch gut, bei ihr sind nur die Ohren und die Zunge gestorben — sie ist taub wie eine Kanone und stumm wie Schneefall. Sagt man. Tante Gordana ist auch noch nicht gestorben, sie ist Onkel Boras Frau und schwanger. Tante Gordana, eine blonde Insel im dunklen Haarmeer unserer Familie, wird von allen Taifun genannt, weil sie viermal lebendiger lebt als normale Menschen und achtmal schneller läuft und vierzehnmal hektischer redet. Sie legt selbst die Strecke von der Kloschüssel zum Waschbecken im Sprint zurück und hat an der Ladenkasse alles ausgerechnet, bevor es die Kassiererin eintippen kann.
Alle sind wegen Opa Slavkos Tod zu Oma gekommen, reden aber über das Leben in Tante Taifuns Bauch. Niemand zweifelt daran, dass Tante ihr Baby spätestens am Sonntag, maximal am Montag bekommen wird, Monate zu früh, aber schon fertig wie im neunten. Ich schlage vor, das Baby Speedy Gonzales zu nennen. Tante Taifun schüttelt ihre blonden Locken: sindwirmexikaner? Wirdnmädchenkeinemaus! Emawirdsieheißen.
Und Slavko, fügt Onkel Bora leise hinzu, Slavko, wenn es ein Junge wird.
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