»Ich denke, das wird nicht nötig sein. Ich habe auf dem Weg hierher kurz bei ihm vorgesprochen. Wenn ich mich nicht irre, ist er bereits aus der Stadt geflohen und hat sein ganzes Vermögen zurückgelassen, das Eure Truhen füllen wird.«
Als Leonora ihren Mann erspähte, der den Hang zum Haus hinaufgeritten kam, rannte sie ihm entgegen. Er sprang vom Pferd und warf sich in ihre Arme, ungeachtet der neugierigen Blicke, die er auf sich spürte. Fieberhaft ließ sie die Hände über sein Gesicht und seine Schultern wandern, über seinen Rücken, wollte sich verzweifelt versichern, daß ihm kein Unheil geschehen war.
»Ich wußte, daß ich mich auf dich verlassen kann«, flüsterte Amram und barg seinen Kopf im seidigen Wasserfall ihres Haares, das sie heute offen trug. »Wir sind verwandte Seelen, du und ich, beide Kämpfer für das, was wir wollen. Wir werden noch viel zusammen erreichen, meine gescheite, mutige und entschlossene kleine Rehfrau.«
In jener Nacht liebten sie einander mit einer Hingabe, die sie nicht einmal in den ersten Tagen ihrer Liebe gekannt hatten. Ihre Leidenschaft war um so stärker, als sie einander wiedergefunden hatten, nachdem sie schon gefürchtet hatten, sich verloren zu haben.
39
Von jenem Tag an hörte das Gerede der Juden über Amram auf. Sie waren ängstlich darum bemüht, das Unrecht wiedergutzumachen, das einer der Ihren Amram angetan hatte, und nun stand die Gemeinde wie ein Mann zu ihm, erkannte in ihm nicht nur ihren Anführer, sondern auch eine wertvolle Informationsquelle – wenn nicht gar einen Fürsprecher beim Herrscher, sollte je ein Einschreiten dieser Art notwendig werden. Die Frauen folgten dem Beispiel ihrer Ehemänner und behandelten Leonora mit neuem Respekt, erkannten sie als die erste Dame in ihren Kreisen an. Sie sonnte sich in dieser Ehre, die man ihr zukommen ließ, spielte ihre Rolle mit Selbstvertrauen und Stil – als Vorbereitung für jene größeren Dinge, die Amram ihr versprochen hatte …
Wie Abu Ali es vorausgesehen hatte, machte sich kurz darauf Zawa ibn Ziri in sein Heimatland auf. Sein Neffe Habbus ibn Maksan ibn Ziri al-Sinhaji brachte sich unverzüglich in eine Machtstellung, und sobald ihn die Kunde vom Tod seines Onkels erreichte, beanspruchte er den Rang eines Königs und legte sich den zusätzlichen Herrschernamen Saif ad-daula – ›Schwert des Königtums‹ – zu. Von Kopf bis Fuß ein Krieger, ein Mann von großer Autorität und schnellen Entscheidungen, machte sich Granadas selbsternannter Herrscher an die Durchführung der Pläne, die er schon so lange erwogen hatte. Er setzte unverzüglich eine Verwaltung nach dem Muster des Omaijadenreiches ein, deren Ränge er mit gebildeten Andalusiern füllte. Abu Ali wurde zum Wesir ernannt, der sich um die Finanzen des Reiches zu kümmern hatte, erhielt den Befehl, das Geld aufzutreiben, mit dem man Söldner aus anderen Berberstämmen bezahlen konnte, die Habbus' Sinhaji-Truppen verstärken sollten. Abu Ali nahm Amram mit auf seinem Weg nach oben, überließ ihm seinen eigenen vormaligen Posten als obersten Steuereintreiber. Amram wiederum versammelte bei seinem eigenen Aufstieg eine Gruppe jüdischer Kollegen um sich, die treu zu ihm standen. So schnell sie das Geld in die königlichen Truhen schütten konnten, so schnell gab Habbus es wieder aus, unternahm Feldzüge, die sein Reich im Norden bis an den Guadalquivir und im Westen bis Cabra ausdehnten. All seine Wesire waren überzeugt davon, daß es nicht mehr lange dauern würde, bis er sich endlich entschloß, im Kampf um die Vorherrschaft in al-Andalus auch seine Erzrivalen, die arabischen Abbaditen in Sevilla, herauszufordern.
Aber die Sevillaner kamen ihm darin zuvor, unternahmen blutige Überfälle auf das reiche, Seide produzierende Fürstentum Almeria, dessen riesige Gebiete im Norden, Osten und Süden an Granada grenzten. Obwohl er nur höchst ungern dem Eunuchen Zuhair, dem slawischen Herrscher von Almeria, zu Hilfe eilte, hatte Habbus keine andere Wahl, als sich mit ihm gegen den gemeinsamen Feind zu verbünden. Erst nachdem die Sevillaner völlig zurückgedrängt waren, konnte man sich wieder an die Vorbereitungen für einen massiven Gegenangriff machen. Doch während Amram seine Bemühungen verdoppelte, um die notwendigen Geldmittel zu beschaffen, mit denen man noch mehr Berbersöldner anwerben wollte, war er von tiefer Unruhe über den Ausgang des bevorstehenden Feldzuges erfüllt. An dem Tag, als ihm Abu Ali übermittelte, wieviel Geld man schätzungsweise für die notwendigsten Bedürfnisse des Heeres benötigen würde, lenkte er allmählich das Gespräch in die gewünschte Richtung.
»Mir scheint«, begann er, »daß wir keine Vorkehrungen für eine Verstärkung unserer Verteidigung im Osten getroffen haben.«
»Warum sollte das notwendig sein?«
»Wenn die meisten Truppen gegen Sevilla gerichtet sind, droht uns möglicherweise ein Angriff durch Zuhair.«
»Aber Almeria und Granada sind Verbündete im Kampf gegen Sevilla.«
»Das waren wir gestern und sind es heute. Aber wenn wir morgen nicht auf der Hut sind, kommt Zuhair vielleicht wirklich in Versuchung, uns an der östlichen Flanke anzugreifen. Wir müssen mehr tun, um sicher zu sein, daß Almeria unerschütterlich hinter uns steht.«
»Und unseren Sieg mit diesem Eunuchen teilen?«
»Eunuch oder nicht, er hat sich ein schönes Königreich geschaffen. Es ist besser, ihn auf unserer Seite als gegen uns zu haben. Wir sind zwar stark, haben aber nicht die Kraft, gleichzeitig an zwei Fronten zu kämpfen. Wenn wir nun auch noch Málaga in unser Bündnis einladen, wären wir in der Lage, einen vernichtenden Schlag gegen die Abbaditen zu führen und all ihre Hoffnungen zu zerschmettern, je die uneingeschränkten Herrscher von ganz al-Andalus zu werden.«
Abu Ali schaute seinen jüdischen Mitarbeiter lange und durchdringend an, wog in Gedanken die Logik seiner Argumente gegen das ab, was seiner Meinung nach der Herrscher dazu sagen würde. Amram, der gewußt hatte, daß sein Vorgesetzter zurückhaltend reagieren würde, fuhr unbeirrt fort. »Ich hätte das Gefühl, mich meinem Herrscher gegenüber nicht loyal zu verhalten, täte ich nicht mein Möglichstes, um sicherzustellen, daß ihm solche Erwägungen vorgetragen werden.«
»Von wem?«
»Von Euch, als dem Wesir und geehrten Mitglied seines Gefolges.«
»Mir fehlt die Überredungsgabe«, antwortete Abu Ali schlau, unwillig, die Verantwortung – und das Risiko – auf sich zu nehmen, seinem König eine so weitreichende Strategie vorzuschlagen. »Aber wenn Ihr darauf besteht, könnte ich vielleicht eine Audienz für Euch erwirken.«
»Ich sehe es als meine Pflicht an, König Habbus auf meine Gedanken aufmerksam zu machen«, antwortete Amram gleichmütig, entzückt, wie leicht er sein Ziel erreicht hatte: eine Gelegenheit, seine Talente vor dem König selbst unter Beweis zu stellen.
Abu Ali ließ ihm keine Zeit, lange über die Folgen seiner Initiative nachzudenken oder seine Meinung zu ändern. Beinahe unverzüglich wurde er vor Habbus zitiert, zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht. Im Gegensatz zu den meisten seiner Stammesgenossen war der Berberkönig von Granada weder groß noch hager. Seine ungeheure Körperkraft war in den schwellenden Muskeln seines Rückens, seiner Schultern und Arme konzentriert, und wenn er wie jetzt stand und seinem Gesprächspartner geradewegs in die Augen schaute, strahlte er absolute Autorität aus.
Nach den üblichen Floskeln und Segenssprüchen gab Habbus Amram einen Wink, er solle sprechen, und hörte mit äußerster Konzentration zu. Amram brachte seine Argumente so knapp und präzise vor, daß der König ihre Logik einfach einsehen mußte. Aber er zögerte nicht, seine eigenen Argumente dagegen zu stellen.
»Man braucht zwei, um ein Bündnis zu schließen, mein gelehrter Freund. Zuhair wird für seine Teilnahme an diesem Feldzug einen hohen Preis fordern.«
Читать дальше