In einer Woge des Jubels stieg er mit erhobenen Armen von der Rednerbühne. Das wilde, verzerrte Grinsen auf seinem Gesicht paßte zum Abschiednehmen mit seiner guten und seiner schlechten Seite.
Catulus Caesar stand da wie angewurzelt. »Hast du das gehört, Scaurus?« stieß er hervor. »Er hat gerade neunzehn Tagesrationen Korn verschenkt - in seinem Namen! Das kostet die Staatskasse Tausende von Talenten! Wie kann er es wagen!«
»Willst du dich vielleicht auf die rostra stellen und ihm widersprechen, Quintus Lutatius?« grinste Sulla. »Wo doch deine jungen Getreuen dort drüben ihre Freiheit behalten haben?«
»Verflucht sei er!« Catulus Caesar war den Tränen nahe.
Scaurus brach in schallendes Gelächter aus. »Er hat es uns wieder gegeben, Quintus Lutatius!« sagte er, sobald er wieder sprechen konnte. »Ein Mann wie ein Erdbeben. Er hat es uns gezeigt, und wir müssen die Rechnung bezahlen. Ich verabscheue ihn - aber, bei allen Göttern, ich liebe ihn auch!« Und er schüttelte sich wieder vor Lachen.
»Es gibt Zeiten, Marcus Aemilius Scaurus, da verstehe ich nicht im mindesten, was für ein Mensch du bist!« Catulus Caesar stolzierte in seinem besten Kamelgang davon.
»Wohingegen ich, Marcus Aemilius Scaurus, euch alle nur zu gut verstehe«, sagte Sulla, der noch heftiger als Scaurus lachen mußte.

Glaucia stürzte sich in sein Schwert, Marius weitete die Amnestie auf Gaius Claudius und seine Anhänger aus, und Rom atmete auf. Der Kampf auf dem Forum schien endgültig vorüber. Aber dem war nicht so. Die beiden Söhne von Lucullus klagten Gaius Servilius Augur des Hochverrats an, und erneut kam es zu Gewalttätigkeiten. Unter den Senatoren ging es hoch her, denn der Fall spaltete die Konservativen. Catulus Caesar, der Senatsvorsitzende Scaurus und ihre Anhänger standen unverrückbar auf der Seite der Brüder Lucullus, der pontifex maximus Ahenobarbus und Crassus Orator waren durch Freundschaftsbande und Protektion mit Servilius Augur verbunden.
Die Menschen, die während der Ereignisse um Saturninus so unerwartet auf dem Forum aufgetaucht waren, blieben verschwunden, aber die üblichen Besucher des Forums erschienen wieder so zahlreich wie früher und beobachteten den Prozeß. Die Jugend und die Leidenschaft der beiden Lucullus-Brüder zogen sie an. Das wußten die beiden, und sie waren fest entschlossen, die Sympathie der Zuschauer auf jede mögliche Weise für sich auszunutzen. Varro Lucullus, der jüngere Bruder, hatte erst wenige Tage vor dem Prozeß die Toga des Mannesalters angelegt. Weder er noch Lucius Lucullus, der achtzehn Jahre alt war, mußten sich schon rasieren. Ihre Agenten, die sie klug in der Menge verteilt hatten, wisperten überall herum, die beiden armen Knaben hätten soeben die Nachricht erhalten, daß ihr Vater im Exil gestorben sei - und nun liege es ganz allein an ihnen, diesen beiden bemitleidenswerten Knaben, die Ehre, die dignitas , die edle Abkunft der Familie der Licinus Lucullus zu verteidigen.
Die Geschworenen, alle aus dem Ritterstand, hatten schon im voraus beschlossen, sich auf die Seite von Servilius Augur zu stellen, denn er war ein Ritter wie sie, dank der Unterstützung seines Gönners Ahenobarbus saß er im Senat. Schon bei der Wahl der Richter war es zu Gewalttätigkeiten gekommen, denn Servilius Augur hatte ehemalige Gladiatoren angeheuert, die den Prozeß verhindern sollten. Aber die schnelle, kleine Truppe junger Adliger unter der Führung von Caepio und Metellus, dem braven Ferkel, trieb die Muskelmänner vom Platz, einer wurde dabei getötet. Die Richter verstanden die Botschaft und entdeckten ihr Mitgefühl für die Brüder Lucullus.
»Sie werden Servilius verurteilen«, sagte Marius, der mit Sulla dabeistand und die Geschehnisse genau beobachtete.
»Das werden sie, in der Tat«, sagte Sulla, der von dem älteren der beiden Brüder, Lucius Lucullus, fasziniert war. »Großartig!« rief er aus, als der junge Lucullus seine Rede beendet hatte. »Er gefällt mir, Gaius Marius!«
Aber Marius war unbeeindruckt. »Er ist genauso hochnäsig und überheblich wie sein Vater.«
»Es ist bekannt, daß du Servilius Augur unterstützt«, sagte Sulla steif.
Dieser Pfeil hatte getroffen, aber Marius grinste nur. »Ich würde einen tingitanischen Affen unterstützen, wenn er den Gefolgsleuten unseres abwesenden Metellus Schweinebacke das Leben schwermachte, Lucius Cornelius.«
»Der Augur Servilius ist ein tingitanischer Affe«, sagte Sulla.
»Ich stimme dir zu. Er wird verlieren.«
Marius behielt recht. Die Richter verurteilten Servilius nach einem Seitenblick auf Caepios Bande einstimmig, obwohl die leidenschaftlichen Plädoyers seiner Verteidiger Crassus Orator und Mucius Scaevola sie zu Tränen gerührt hatten.
Es war keine Überraschung, daß der Prozeß in einem Kampf endete. Marius und Sulla schauten aus gebührender Entfernung zu und hatten ihren Spaß daran, als Ahenobarbus dem frohlockenden Catulus Caesar einen Schlag auf den Mund verpaßte.
»Pollux und Lynkeus!« sagte Marius. Erfreut beobachteten sie, wie die beiden eine ernsthafte Schlägerei begannen. »Oh, gib’s ihm, Quintus Lutatius Pollux!« röhrte er.
»Keine schlechte Anspielung auf die Klassiker, wo die Ahenobarber doch immer behaupten, Pollux habe ihnen rote Tinte in ihre Bärte gegossen«, sagte Sulla. In diesem Moment landete Catulus Caesar einen gut gezielten Schlag, und Blut strömte aus Ahenobarbus’ Nase und Mund.
»Hoffentlich ist das die letzte Prügelei auf dem Forum«, sagte Marius und wandte sich ab, denn es war offensichtlich, daß Ahenobarbus den kürzeren ziehen würde. »Zumindest für dieses schreckliche Jahr.«
»Hm, ich weiß nicht, Gaius Marius. Uns steht noch die Wahl der Konsuln bevor.«
»Zum Glück findet die nicht auf dem Forum statt.«
Zwei Tage später feierte Marcus Antonius seinen Triumph, und wiederum zwei Tage später wurde er für das kommende Jahr zum ersten Konsul gewählt. Sein Mitkonsul war niemand anderer als Aulus Postumius Albinus, dessen Einmarsch in Numidien vor zehn Jahren den Krieg gegen Jugurtha ausgelöst hatte.
»Die Wähler sind solche Arschlöcher!« sagte Marius erregt zu Sulla. »Als zweiten Konsul haben sie einen Mann gewählt, der geradezu ein Paradebeispiel ist für großen Ehrgeiz, gepaart mit absoluter Unfähigkeit in jeder Beziehung. Was soll’s! Ihr Gedächtnis ist so kurz wie ihre Schwänze!«
»Tja, es ist schon was dran an dem Satz, daß Verstopfung zu geistiger Verblödung führt.« Sulla grinste, obwohl ihm gar nicht zum Lächeln zumute war. Er wollte im nächsten Jahr für das Amt des Prätors kandidieren, aber heute spürte er in der Zenturienversammlung eine Stimmung, die marianischen Kandidaten für die Zukunft nichts Gutes verhieß. Doch wie soll ich mich von diesem Mann trennen, der so viel für mich getan hat? fragte er sich unglücklich.
»Wenigstens wird es ein eintöniges Jahr, und Aulus Albinus kann nicht viel kaputtmachen, glücklicherweise«, fuhr Marius fort, von Sullas geheimen Gedanken hatte er keine Ahnung. »Zum ersten Mal seit einer langer Zeit hat Rom keine nennenswerten Feinde. Wir können uns ausruhen. Und Rom kann sich ausruhen.«
Sulla riß sich zusammen. Er wollte nicht mehr an das Amt des Prätors denken, denn das war, wie er wußte, eine Illusion. »Was ist mit der Prophezeiung?« fragte er unvermittelt. »Martha hat ausdrücklich gesagt, du würdest siebenmal Konsul von Rom sein.«
»Ich werde siebenmal Konsul sein, Lucius Cornelius.«
»Du glaubst daran.«
»Ja.«
Sulla seufzte. »Ich wäre schon froh, wenn ich nur Prätor würde.«
Mit einer Gesichtslähmung lassen sich wunderbar spöttische Laute erzeugen, und einen solchen Laut gab Marius nun von sich. »Quatsch!« sagte er energisch. »Du bist der geborene Konsul, Lucius Cornelius. Und eines Tages wirst du der Erste Mann in Rom sein.«
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