Stimmte der Abstand nicht, klappte ein Manöver nicht wie gewünscht oder wurde es nur zu langsam ausgeführt, fielen die Ausbilder mit Verwünschungen und Beschimpfungen über die Rekruten her. Carvus, Mellonius und Lucius wurden mit Argusaugen beobachtet. Jeder ihrer Fehler wurde sofort bestraft. Zunächst wurden sie nur angebrüllt oder bekamen die Vitis zu spüren. Aber als eine Einheit in Unordnung geriet, machte Vulso sie als die Schuldigen aus und setzte sie für eine Woche auf Gerste.
Der harte Drill sorgte dafür, dass Lucius sein Zeitgefühl völlig verlor – ein Monat? Oder bereits fünf? Immer wieder war Lucius dankbar für das harte Training und die Vorbereitung, die sein Vater ihm hatte angedeihen lassen. Ihm machten die Märsche und das Exerzieren nicht viel aus, und er erduldete die Schikanen mit stoischer Ruhe. Nach einem Jahr mit Saxums weinlaunigen Temperamentsausbrüchen hatte er gelernt, einiges zu ertragen, ohne weiter darüber nachzudenken. Er musste grinsen, als er an Saxum dachte. Er war schon eine echte Plage gewesen!
Lucius verließ die Baracke mit Mellonius und Carvus. Die Rekruten versammelten sich auf dem Exerzierplatz. Als Lucius die aufgestellten Pfähle und die vier Markierungen in Kopf-, Brust- und Magenhöhe sah, wusste er schon, was auf sie zukam. Holzschwerter wurden an die Rekruten verteilt.
Dann begann Antinius mit seinen Instruktionen: „Ihr könnt den Feind auf zweierlei Arten töten: durch einen Schlag oder durch einen Stoß. Der Schlag ist der vermeintlich leichtere Weg, aber dies ist ein Trugschluss. Erstens raubt euch der Schlag mehr von eurer Kraft und zweitens beschädigt ihr nur gute Waffen, wenn ihr euer Schwert an einem Helm oder Schild schartig schlagt. Der Gladius könnte außerdem im Schild des Barbaren stecken bleiben. Das wäre ausgesprochen schlecht für euch, denn wenn der Barbar mit seinem Schild und eurem Schwert abhaut, werde ich mich genötigt sehen, euch aufzufordern, euer Schwert zurückzuholen. Schließlich kosten Schwerter Geld. Also stoßt nach Möglichkeit mit dem Schwert zu!“ Er machte eine Pause und zeigte auf den Pfahl. „Trotzdem werden wir beides trainieren. Die Übung ist ganz einfach. Ein Schlag links an den Kopf, ein Schlag rechts an den Kopf, ein Stoß in die Brust und ein Stoß in den Leib – und wieder von vorne. Ihr müsst die Markierungen treffen. Die sind deswegen so klein, weil eure Feinde selten mit entblößter Brust vorbeikommen und sagen: Bitte töte mich! Merkt euch: Der Sieg liebt die Sorgfalt!“
Er zeigte auf Lucius, Mellonius und Carvus. „Los, unsere drei Edelrekruten machen euch mal vor, wie es geht!“
Sie traten vor und begannen mit der Übung. Lucius fand schnell seinen Rhythmus und bearbeitete den Pfahl gleichmäßig. Links, rechts, Stoß, Stoß. Links, rechts, Stoß, Stoß. Wie er es bei Pertinax gelernt hatte, benutzte er den Schwung für elegante Schläge und Stöße, um Kraft zu sparen. Mellonius und Carvus hatten offensichtlich auch schon Schwertkampftraining gehabt, aber ihre Bewegungen waren nicht so flüssig wie die von Lucius. Antinius sah ihnen eine Weile zu und ließ dann die anderen auch beginnen.
Vulso beobachtete das Schwerttraining vom Rande des Platzes. Antinius ging von Pfahl zu Pfahl und gab Anweisungen oder korrigierte falsche Techniken. Je vier Mann teilten sich einen Pfahl, auf ein Hornsignal wurde gewechselt. Lucius beobachtete die anderen Rekruten. Einige hackten wie besessen auf den Pfahl ein. Es dauerte nicht lange, da ließ der Erste das Schwert fallen. Ein harter Schlag gegen den Pfahl hatte ihm das Schwert aus der Hand geprellt. Viele der Rekruten rieben sich bereits die Oberarme. Lucius dankte im Stillen Pertinax dafür, dass ihm zumindest nun die Schmerzen erspart blieben, die die anderen am nächsten Morgen haben würden. Die hatte er bereits oft genug durchlitten! Titus Valens gesellte sich zu Vulso und musterte mit durchdringendem Blick die Rekruten.
Mellonius stieß Carvus an: „Sieh mal, Valens ist wieder auf seinem Kontrollgang. Der Kerl verursacht mir eine Gänsehaut.“
Carvus nickte und spuckte aus: „Wenn der mich ansieht, habe ich das Gefühl, nackt dazustehen!“ – „Seine Augen sind ohne jede Gefühlsregung, wenn ich dem nachts auf der Straße begegnen würde, würde ich mir vor Angst in die Hose scheißen!“
„Du trägst Hosen?“, bemerkte Lucius grinsend, ergriff sein Holzschwert und trat wieder an den Pfahl.
„Das ist eine gallische Redensart!“, erklärte Mellonius ernst. Als er Lucius’ Grinsen bemerkte, fügte er nur noch ein „Scheißkerl!“ hinzu und trat zurück, um ihm Platz zu machen.
Lucius setzte seine Übungen fort und bearbeitete den Pfahl. Plötzlich zischte Carvus und stieß Mellonius an. Lucius warf einen schnellen Blick über die Schulter und stellte zu seinem Erschrecken fest, dass Valens jetzt genau hinter ihnen stand und ihm zusah. Lucius wurde nervös und seine beiden nächsten Stöße gingen fehl. Ruhig Blut, mahnte er sich und glaubte, Pertinax’ Stimme zu hören, der ihm oft genug eingeschärft hatte, unter keinen Umständen die Ruhe zu verlieren. Er merkte, wie er sich verkrampft hatte, und schüttelte kurz den Arm, um ihn zu lockern. Dann setzte er seine Übungen fort. Die nächsten Hiebe und Stöße saßen wieder und das Aufatmen seiner beiden Kameraden verriet ihm, dass Valens weitergegangen war.
Im Lager wurde es leerer, da die Gallica abrückte und die Kohorten der XIX regelmäßig zu Übungen auszogen. Die Ausbildung der neuen Rekruten ging unverändert weiter.
„Das ist ein Pilum!“, erklärte Vulso und zeigte den schweren römischen Wurfspeer herum. „Das Pilum hat als schwerer Wurfspeer die Hasta, die Lanze, abgelöst. Legionäre eröffnen das Gefecht mit einer Pilumsalve auf eine Entfernung von ungefähr vierzehn Doppelschritten.“ Er machte eine Pause und schleuderte das Pilum auf die Zielscheibe. Die lange, schmale Metallspitze durchschlug das Brett und blieb zitternd stecken. Die Rekruten waren beeindruckt und nickten anerkennend.
„Das Pilum kann Schilde und Panzer glatt durchschlagen“, fuhr Vulso fort und zeigte auf das Brett. „Wenn der Barbar Pech hat, wird er mitsamt seinem Schild aufgespießt. Wenn er Glück hat, wird nur der Schild durchbohrt.“ Antinius ging zum Brett und zerrte an dem Pilum. „Bohrt sich ein Pilum in einen Schild, verbiegt sich die Spitze und kann nicht mehr herausgezogen werden. Der Barbar muss seinen Schild wegwerfen und kann von euch mit dem Gladius erledigt werden. Eine richtige Pilumsalve bringt jeden anstürmenden Feind zum Stoppen. Antreten!“
Die Rekruten stellten sich auf und nahmen ihre Pila auf. Antinius schritt ihre Reihen ab.
„Prüft, ob eure caligae richtig sitzen. Falls nicht, besteht die Gefahr, dass ihr stolpert und euren eigenen Fuß am Boden festnagelt – und das wäre ausgesprochen schlecht!“
Die Rekruten sahen verunsichert auf ihre Füße. Einige schüttelten ihre Füße, um den Sitz der Sandalen zu überprüfen, andere bückten sich und banden die Sandalen enger. Lucius konnte das Feixen auf den Gesichtern von Antinius und Vulso sehen. Ich darf mich von denen niemals einschüchtern oder verunsichern lassen, dachte er bei sich.
Die ersten Pilumwürfe der Rekruten landeten nahe beim Ziel, aber schon im dritten oder vierten Durchgang begann die Weite der Würfe und die Zielgenauigkeit abzunehmen.
„HALT!“ Vulsos Stimme übertönte die Rufe der Männer und das Training stoppte.
„Wem gehört dieses Pilum?“
Carvus meldete sich. „Mir, Centurio Vulso!“
„Dir?“, fragte Vulso gedehnt. „Was hast du gemacht? Ihn geworfen oder ihm einen kleinen Schubs versetzt? Meine alte Mutter, Iuno beschütze sie, ist in der Lage, weiter zu werfen als du, deswegen hoffe ich für dich, du hast dein Pilum geschubst! Los, noch einmal!“
Carvus nahm Anlauf und schleuderte das Pilum. Er verfehlte das Ziel deutlich. Viel zu kurz und viel zu weit links.
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