»Bruder meiner Seele,« sagte er »sofern du je in der Lage sein solltest, daß du einer Sache bedürftest, die der gewaltige Haidar Ali Chan Bahadur dir gewähren könnte, so wende dich nicht an die, so in Palästen wohnen und in deren Turbanen Juwelen blitzen, sondern suche die Zelle deines Bruders in der großen Stadt auf, die Seringapatam heißt, und der arme Fakir im zerschlissenen Gewande wird dein Gesuch besser bei dem Nawwab anbringen, als die, so den Ehrenplatz im Diwan innehaben.«
Mit solchen Worten lud er Hartley ein, nach Maisur zu kommen und das Antlitz des großen Fürsten zu schauen. Er erbot sich zum Danke für die ihm erwiesenen Dienste dem Arzte alles zu zeigen, was in Maisur für einen Gelehrten sehenswert sei.
Die beiden Männer schieden so im besten Einvernehmen, nachdem sie Geschenke ausgetauscht hatten, wie sie weisen Männern geziemten, denen Kenntnisse mehr wert waren als Geld. Barak el Hadschi gab Hartley eine Büchse Mekka-Balsam, der unverfälscht sehr schwer zu erhalten war, und Hartley gab dem Fakir einige im Orient noch wenig bekannte Arzeneien, die seiner Meinung nach bei passender Anleitung einem so verständigen Manne ohne Bedenken anvertraut werden durften.
Zum Schluße gab der Fakir dem Arzte noch einen Paß, der, wie er versicherte, von jedem Beamten des Nawwab geachtet würde, falls der Doktor seinen Plan, nach Maisur zu reisen, ausführen wollte.
»Der Kopf dessen, der diesem Geleitsbrief die Achtung versagt,« setzte er hinzu, »wird nicht fester sitzen als die Ähre des Gerstenhalmes, die der Schnitter mit der Hand ergreift.«
Wenige Monate, nachdem Barak el Hadschi ins Innere des Landes zurückgekehrt war, geschah ein unerwartetes Zusammentreffen, das Hartleys Verwunderung aufs höchste erregte.
Sechzehntes Kapitel
Vier Jahre waren verflossen. Aus Europa waren Schiffe im Hafen von Madras angelangt und hatten ihre gewohnte Ladung von jungen Herren, die Offiziere werden wollten, und von jungen Damen, die nach Indien herüber kamen, um bei einem Bruder oder Oheim oder sonst einem Verwandten die Wirtschaft zu führen, bis sich einmal Gelegenheit zu einer Heirat bieten würde, unter dem gewohnten Zulauf von Zuschauern abgesetzt, Doktor Hartley war gerade mit einigen bekannten Herren im Hafen und sah das bunte Treiben mit an.
Plötzlich hörte er, wie ein Herr leise zu einem andern sagte:
»Engel und Boten Gottes, da ist ja unsre alte Bekannte, die Königin von Saba, als unveräußerliche Ware wird sie uns wohl wieder zurückgeschickt.«
Hartley blickte in derselben Richtung wie die beiden Herren und sah ein Weib, das wie eine Semiramis aussah. Sie war ungewöhnlich groß und fett und trug eine mit Tressen und Schnüren besetzte Reittaille aus karmoisinroter Seide und hellblaue Pluderhosen. Um die riesigen Hüften hatte sie einen scharlachroten Shawl geschlungen, in dem ein reichverzierter Dolch steckte. Hals und Arme waren mit Ketten und Spangen überladen und den roten Turban schmückten eine blaue und eine rote Straußenfeder.
Die Stirn hatte die europäische Färbung und war zu hoch, um schön zu sein, machte aber einen gebieterischen Eindruck, eine energische Adlernase erhöhte den charakteristischen Ausdruck des Gesichtes, das auffallend rot geschminkt war.
Der Kapitän eines eben aus England eingelaufenen Ostindienfahrers machte sich in eifriger Liebenswürdigkeit um sie zu schaffen, und ein paar Hartley bekannte Kaufleute benahmen sich gleichfalls auffallend zuvorkommend gegen sie. »Was ist das für ein Weib?« fragte Hartley.
Aber im selben Augenblick verstummte er und saß wie versteinert. Dann raffte er sich auf, erhob sich von seinem Platze und ging schnurstracks auf die Dame zu, zum nicht geringen Erstaunen seiner Gefährten.
Während er auf die absonderliche Frau geblickt hatte, war ihm eine zierliche Mädchengestalt aufgefallen, die sich so gesetzt hatte, daß sie hinter der massigen Gestalt und den wallenden Gewändern der Frau fast unsichtbar war. Zu seinem unbeschreiblichen Erstaunen erkannte er in ihr die Freundin seiner Kindheit, die Geliebte seiner Jugend – Marie Gray in eigener Person.
Allein schon, daß er sie hier in Indien sah, mußte ihn in Verwunderung setzen. Aber seine Überraschung wuchs, als er sie in der Begleitung einer so seltsamen Erscheinung erblickte. Nichts war im Drang der auf ihn einstürmenden Empfindungen natürlicher, als daß er aufsprang und auf sie zueilte.
Seinem Ungestüm wurde aber Einhalt geboten. Er sah, wie Marie ihn, der so unmittelbar auf sie zugeschritten kam, ansah ohne das geringste Zeichen, daß sie ihn wiedererkenne. Aber ohne daß ein anderer es hätte merken können, legte sie den Zeigefinger auf die Oberlippe, wie wenn sie sagen wollte: »Ihr dürft jetzt nicht mit mir reden.«
Hartley verstand diesen Wink, nahm ihn an und blieb stehen. Im nächsten Moment hatte er sich wieder zu seinen Bekannten zurückgezogen und setzte das Gespräch mit ihnen fort.
»Wer ist denn die stattliche Dame?« fragte er den einen der Herren.
»Ist es möglich, daß Ihr noch nie von der Königin von Saba, von der Mama Montreville gehört habt?«
»Ihr wißt, ich war lange von Madras weg.«
»Nun denn,« fuhr der Gefragte fort, »diese Dame ist die Witwe eines schweizerischen Offiziers in der französischen Armee, der nach der Einnahme von Pondichery ins Innere flüchtete und auf eigene Faust Soldat wurde. Er wußte sich in den Besitz eines Forts zu setzen, indem er einem Pinsel von einem Radschah vorschwindelte, er wolle es in seinem Dienste befehligen. Dann sammelte er eine Horde verzweifelter Landstreicher von jeder Farbe des Regenbogens, die nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatten, und erklärte sich für unabhängig. Aber Haidar Ali verstand keinen Spaß, zog mit seinem Heer herbei und eroberte das Fort. Es wird aber auch behauptet, die Frau des Schweizers, eben dieses Weib da, habe es an den Indier verraten. Sei dem, wie ihm wolle, der arme Schweizer fand den Tod auf den Wällen. Das Weib dort, das den Haidar Ali gewöhnlich den Salomo des Orients nennt, führt infolgedessen den Titel Königin von Saba. Sie verläßt ihren Hof, wann es ihr paßt, treibt überhaupt, wozu sie gerade Lust hat.« »Eine seltsame Geschichte«, erwiderte Hartley, während er bei sich selber die Frage erwog, auf welche Weise wohl die schlichte herzensgute Marie in die Gesellschaft einer solchen Abenteurerin geraten sei.
»Das beste aber hat mein Freund ganz vergessen«, setzte ein anderer Herr hinzu. »Es geht nämlich die Rede, daß Euer alter Bekannter, Richard Middlemas, sehr hoch in Gunst bei dieser Amazone stände. Er ist vor einiger Zeit aus Madras ins Innere geflüchtet und in die Dienste Haidar Alis getreten. Er hat dort ein Kommando über einen größeren Truppenteil bekommen, das er wohl auch jetzt noch inne hat. Ihm sind auch die englischen Gefangenen anvertraut worden, und ich spreche aus eigener Erfahrung, wenn ich sage, daß der Teufel selber von ihm noch lernen kann, was Grausamkeit heißt. Er soll dann mit diesem Weibe in intime Beziehungen getreten sein.«
Hartley vermochte nicht länger zuzuhören. Die plötzliche Erkenntnis, daß Marie Gray sich in der Gewalt eines solchen Mannes und einer solchen Frau befinde, drang sich seinem Geiste in der Gestalt einer furchtbaren Gefahr auf. Eben wollte er aus dem Gedränge heraus, um sich an einen einsamen Ort zu begeben, wo er sich in Ruhe sammeln und zu gefaßter Überlegung gelangen konnte, da berührte ein farbiger Diener seinen Arm und reichte ihm eine Karte, auf der geschrieben stand:
Miß Gray bei Madame Montreville im Hause des Ram Sing Cottah in der schwarzen Stadt.
Sein Herz schlug hoch bei dem Gedanken, daß er seine Geliebte noch einmal wiedersehen solle. Und noch höher schlug es, als er sich sagte, daß er ihr vielleicht doch noch einmal eine Hilfe erweisen sollte.
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