General Witherington war bereitwillig mit dem Wunsche seines Schwiegervaters einverstanden, daß jede Erinnerung an vergangene Zeiten getilgt sein sollte und daß der Sohn – das Kind ihrer frühen und unglücklichen Liebe für immer fern und in fremden Händen, obwohl von ihnen mit allem nötigen versehen, bleiben sollte.
Die Mutter freilich dachte anders. Sie sehnte sich nach ihrem ersten Kinde, aber sie wagte nicht, sich dem Willen ihres Vaters und der Entscheidung ihres Mannes zu widersetzen. Die vielen Jahre lang schrie ihr Herz nach ihrem Kinde.
Und diese so lange unterdrückten Gefühle, mit Innigkeit gehegt, brachen nun bei der unvermuteten Entdeckung ihres Sohnes im vollen Strome hervor, als sie ihn, aus größter Not und dringendster Lebensgefahr errettet, plötzlich vor sich sah.
Vergeblich versicherte ihr Gemahl, er werde sich des jungen Mannes annehmen und mit Geldmitteln und seinem Einfluß für sein Wohlergehen sorgen, sie war nicht eher beruhigt, als bis sie selber etwas getan hatte, das Los der Verbannung zu mildern, zu dem ihr Erstgeborener verurteilt war. Sie war dazu um so fester entschlossen, als sie sich durch die langen Jahre geheimen Leidens völlig gebrochen fühlte.
Es lag nahe, daß sie sich an Hartley, den Kameraden ihres Sohnes wandte, dem sie ohnehin die Rettung ihrer jüngeren Kinder verdankte. Sie übergab ihm die Summe von 2000 Pfd. – ihr unangefochtenes Privateigentum – und bat ihn mit den zärtlichsten und liebevollsten Worten, er möchte das Geld in derjenigen Weise, die er für die förderlichste halte, zum besten ihres armen Sohnes verwenden.
Sie gab ihm die Versicherung, daß sie ihn weiterhin unterstützen werde, sobald das erforderlich sein werde, und gab Hartley ein Schreiben, das er ihrem Sohne überreichen sollte, wenn er es für angebracht hielte.
Das Schreiben hatte folgenden Inhalt:
»O Benoni, Kind meines Kummers! Warum soll Deine unglückliche Mutter Dich mit Augen schauen dürfen, während es doch ihren Armen versagt bleibt, Dich an den Busen zu drücken? Möge der Gott der Juden und Heiden Dich beschützen! Daß er doch zu seiner Zeit die Finsternis aufhöbe, die zwischen mir und dem Geliebten meines Herzens besteht – der ersten Frucht meiner unglücklichen und ach! unheiligen Liebe! Denke nicht, mein geliebtes Kind, Du seist ein einsamer Verbannter, denn Deiner Mutter Gebet steigt auf für Dich bei Sonnenaufgang und Untergang, und fleht Segen herab auf Dein Haupt. Trachte aber nicht danach, mich zu sehen – ach! weshalb muß ich doch so etwas schreiben! – aber ich will mich neigen in den Staub und meine Sünde und Torheit anklagen! – trachte nicht danach, mich zu sehen oder mich zu sprechen – es könnte der Tod sein von uns beiden! Vertraue Deine Gedanken dem ausgezeichneten Hartley, der der Schutzengel von uns allen war, und was er Dir rät, das soll geschehen, soweit es in Deiner Mutter Macht liegt. Und die Liebe einer Mutter – können Meere sie einschließen, oder kommt je eine Wüste oder eine weite Welt ihr an Ausdehnung gleich! O Kind meines Kummers, o Benoni, sei im Geiste bei mir, wie ich bei Dir bin!
Z.M.«
»Sicherlich,« dachte Hartley, als er seinen Bericht beendet hatte, »werden bei einem solchen Zauber die Teufel des Ehrgeizes und der Habsucht ihre Klauen von dem Manne lassen, den sie jetzt als ihre Beute festgehalten haben.«
Wirklich hätte Richards Herz von Stein sein müssen, wenn ihn nicht dieses erste und letzte Zeugnis von der Liebe seiner Mutter hätte rühren sollen. Er legte den Kopf auf den Tisch, und seine Tränen flossen reichlich.
»Und nun,« schloß Hartley, »habe ich nur noch die Pflicht, Euch die Summe zu überreichen, die Eure Mutter mir anvertraut hat.«
Middlemas nahm die Banknoten und zählte sie mit kaufmännischer Genauigkeit, und obgleich er mit einer Miene tiefster Niedergeschlagenheit nach der Feder griff, faßte er doch den Empfangsschein, den er jetzt schrieb, in gut gewählten Ausdrücken ab, die wohl bezeugten, daß er seine Verstandeskräfte völlig beisammen hatte.
»Mein Geschick ist grausam,« sagte er dann mit einer Pose des Grames. »Ich freute mich schon, daß ich endlich meine Eltern gefunden hatte, ich war schon entschlossen, meine Rechte geltend zu machen und mir zu erzwingen, was mir zusteht. Meine Eltern mochten ja wohl auch selber willens gewesen sein, mich zum Erben einzusetzen. Nun hat ein Zufall alles zu nichte gemacht. – Verflucht! Wieder ist mir der Becher von den Lippen weggerissen worden!«
»Ihr müßt bedenken,« antwortete Hartley, »daß diese Mitteilungen, die freilich Eure allerdings ganz unbegründeten Hoffnungen vernichtet haben, denn Ihr seid ja vor der rechtmäßig geschlossenen Ehe geboren worden – gleichzeitig doch eine Verdreifachung Euers bisherigen Vermögens mit sich bringen, und daß viele Millionen nicht halb soviel besitzen wie Ihr, wenn auch ein paar tausende auf der Welt reicher sind. Hebt Euch also mutig über Euern Unstern hinweg und verzweifelt nicht daran, daß auch Ihr es im Leben noch zu etwas bringen könnt.«
Fünfzehntes Kapitel
Am andern Tage trat Middlemas auf dem Ostindienfahrer seine Reise an. In der ersten Zeit fühlte er sich sehr unglücklich, da er aber von Kindheit an gewöhnt war, seine innern Gedanken zu verbergen, so gab er nach Verlauf einer Woche den heitersten und artigsten Passagier ab, der je die ermüdende Reise von England nach Indien gemacht hat.
In Madras, wo die Geselligkeit zwischen den ansässigen Engländern ausartete, wurde er mit all der der britischen Welt im Osten charakteristischen Gastfreundschaft aufgenommen.
Middlemas war im besten Zuge, in dem Orte ein unentbehrlicher Gast jedes Festes zu sein, als der Zufall es fügte, daß auch Hartley in derselben Kolonie die Stelle eines Unterarztes erhielt.
Er hätte zwar bei einem solchen Posten keinen erheblichen Anspruch auf große Höflichkeit und Aufmerksamkeit gehabt, allein er brachte wichtige Empfehlungsbriefe vom General Witherington mit, die an die vornehmsten Einwohner der Kolonie gerichtet waren. Middlemas mußte daher sich wieder in denselben Kreisen wie er bewegen, und es blieb ihm nichts weiter übrig, als in seinen Beziehungen zu ihm die Höflichkeit nach außen hin zu wahren oder gänzlich mit ihm zu brechen.
Die erstere Weise wäre vielleicht die klügere gewesen, die letztere aber war dem geraden derben Charakter Hartleys mehr angemessen, und dieser erachtete es weder für zweckmäßig noch für behaglich, den Anschein eines freundlichen Verkehrs aufrecht zu erhalten, um Haß, Verachtung und gegenseitigen Widerwillen zu verbergen.
Der gesellschaftliche Umgang in der Kolonie war damals noch auf einen engen Kreis beschränkt, und so mußte die Kälte der beiden jungen Leute gegeneinander auffallen. Es wurde ruchbar, daß sie früher intime Freunde und Studiengenossen gewesen waren, und das Gerücht gab für ihre Feindschaft verschiedene Gründe an. Hartley kümmerte sich wenig darum, Leutnant Middlemas aber trug Sorge, daß ein Gerede im Gange blieb, das die Ursache ihres gespannten Verhältnisses in einem für ihn vorteilhaften Lichte darstellte.
»Wir waren einmal so etwas wie Nebenbuhler,« sagte er, wenn er danach gefragt wurde, »ich habe nur das Glück gehabt, daß eine schöne Dame sich aus mir mehr machte als aus meinem Freunde Hartley. Darüber hat er sich mit mir entzweit, und er hat es auch jetzt noch nicht vergessen, wie man sieht. Ich halte es für höchst albern, daß er mir das jetzt noch nachträgt, wo doch schon soviel Zeit darüber vergangen ist und wir soweit weg von jenem Orte sind. Aber im übrigen ist mein Freund ein ganz guter Kerl.«
Während dieses Geflüster seine Wirkung nicht verfehlte, erhielt Hartley doch von der Regierung die schmeichelhaftesten Versicherungen baldiger Beförderung, und nach kurzer Zeit wurde ihm der gewinnreiche Posten eines Arztes in einer entfernteren Kolonie übertragen. Er kam infolgedessen auf einige Zeit von Madras weg.
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