Arthur Achleitner - Aus Kroatien - Skizzen und Erzählungen

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Arthur Achleitner

Aus Kroatien: Skizzen und Erzählungen

Zum Geleit

Ein Vierteljahrhundert hindurch hatte ich Kopf, Herz, Hand und – Füße der Schilderung der Alpenwelt und ihrer Bewohner gewidmet mit dem erfreulichen Erfolg, daß die deutsche Leserwelt es gewöhnt geworden war, beim Anblick meines Namens auf Büchern sofort an die – Alpen zu denken. Freundschaftliche Beziehungen führten dann über die Grenzen des bisherigen Arbeitsgebietes der deutschen Berge; es kam zum Studium von Land und Volk der interessanten Bergslovenen in der südlichen Steiermark; eine Studienreise durch Dalmatien usw. erweckte den Wunsch, den Südosten kennen zu lernen. Sehnsucht und noch viel mehr: Trotz, weil man mich schon in jungen Jahren vor – Kroatien und Slavonien „gewarnt,“ diese Länder höhnisch als – „Halbasien“ bezeichnet hatte.

Der Gewissenhaftigkeit wegen war für die Studienreise durch Dalmatien und Montenegro usw. die kroatische Sprache erlernt worden. Mit der zur Verständigungsmöglichkeit ausreichenden Kenntnis dieses auf heimatlichem Boden verspotteten, aber gar nicht übel klingenden Idioms ausgerüstet, kam es zunächst zu einer Automobilreise durch Kroatien bis zum südlichsten Zipfel dieses in manchen Bezirken märchenschönen Landes, der Küste entlang wieder herauf nach Fiume, worauf der Entschluß zu einem längeren Aufenthalt auf kroatischem Boden gefaßt wurde. Gütige Einladungen seitens des gastfreundlichen Adels führten von Schloß zu Schloß; es begann ein Wandern von einer curia nobilis zur andern, von Dorf zu Dorf mit geschultem Blick für landschaftliche Schönheit und Wildbestand, mit rasch erweiterten Kenntnissen in der Geschichte des Landes, mit der sozusagen Spürnase für echtes Volksleben. Der beste Begleiter war jedoch das – Fundglück.

Die südslavische Gastfreundschaft mutet märchenhaft an; das Schönste an ihr ist für den Forscher und Schriftsteller, daß sie willig gibt, was sie hat: die Chronik des Hauses. Wo das Geschriebene nicht hinreichte, half liebenswürdige Aussprache, das Erzählen alter Familienglieder in Schlössern, Edelsitzen, Dörfern.

Monatelang ein Schöpfen, ein Sammeln fesselnder „Stoffe“ mit verjüngender Schaffensfreude.

Als mit der Ausarbeitung begonnen wurde, vernichtete der Krieg alles.

Mittlerweile hat der Federfuchser die Grenze des Greisenalters überschritten. Und Kroatien gehört jetzt nicht mehr zu Ungarn, sondern zur Država S H S, d. h. zum Staate Srbska (serbisch) Hrvatska (kroatisch) Slovenska (slovenisch).

Ob und wie lange die Verbindung dieser bedeutungsvollen drei Buchstaben währen wird, das zu untersuchen, ist nicht meine Aufgabe. „Zärtliche Liebe“ hat die drei – nicht vereinigt. Auch das gegenseitige Sprachverständnis ist nicht so innig, als man den Fernstehenden glauben machen will. Es hat das hintere S Mühe, sich mit dem vorderen S zu verständigen, weil der Dialekt ausschlaggebend und zu sehr abweichend ist; das H vergeht das vordere S gut, das hintere aber nur dann, wenn der Slovene nach der Schrift sehr rein spricht. Wobei politisch dem H nicht das vordere, sondern das hintere S sympathischer ist aus Gründen, die in der Vergangenheit wurzeln.

Aus Kroatien haben Briefe den Weg in meine Arbeitsstube gefunden, allen Hindernden zum Trotz. Den Bitten lieber Freunde, wenigstens einen Teil des gesammelten „Stoffes“ aus dem Kroatenlande verarbeitet der deutschen Leserwelt zu unterbreiten, komme ich umso lieber nach, als das treue Gedenken Freude bereitete, der Wunsch auf kroatischer Seite, dem Deutschen einen Blick in die alten und neuen Verhältnisse Kroatiens zu gewähren, Beachtung verdient.

Die „Stoffe“ sind zu Skizzen und Erzählungen verarbeitet; ehrlich, gewissenhaft, ohne jede „Schönfärberei“.

München, im März 1920.

Arthur Achleitner.

Drei Regimentsbefehle

Im Süden Kroatiens, Lika (d. h. Abgrenzung, Grenzland), herrscht die Melancholie des Karstes. Das Gebiet ist zwar noch begrünt, doch die wenigen schmalen Flußtäler mit Wasserläufen, die plötzlich im Boden verschwinden, unterirdisch weiterlaufen und unvermittelt wieder zutage treten, sind tief eingerissen. Düster und völlig kahl ragen aus diesem Karstlande Felsberge auf, die den Eindruck der Traurigkeit noch steigern. Nur wenige Täler und Mulden, Dolinen genannt, erweisen sich in der Lika als fruchtbringendes Ackerland.

Um die Zeit zu Ende der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts mußten die Bauern als Soldaten der Likaner Militärgrenze von den Offizieren geradezu gezwungen werden, den Boden zu bearbeiten, wobei Ackergeräte aus uralter Zeit benutzt wurden. Die Bevölkerung, besonders jene der serbisch-orthodoxen Konfession, verhielt sich trotz Androhung schwerer Strafen gegen jede Verbesserung im Ackerbau ablehnend. Besonders „bockbeinig“ zeigten sich die Menschen im Gebiet der stahlblauen Korana, in der Umgebung des Kompagnie-Städtchens S. Mager der Boden, dafür blutgetränkt infolge der vielfachen räuberischen Einfälle der bosnischen Türken. Freudlos die Gegend, öd das Städtchen in türkischer Bauart und mit vielen Mühlen einfachster Art und verfallenen Getreideschuppen aus napoleonischer Zeit. Die märchenhaftblaue Korana prahlt just hier mit hinreißender Schönheit in überraschenden Wasserstürzen; doch kommt dieser Wasserzauber inmitten tiefer Melancholie nur bei hellem Sonnenlichte zur Geltung. Grauer Himmel und Regenschauer verwandeln diese Gegend in eine abschreckende Öde und Wildnis, die auf das Gemüt erschütternd wirkt.

Des schlechten Ertrages aus dem Ackerbau wegen hatten die Offiziere des Likaner Grenzregimentes ihre stetige Not mit der männlichen Bevölkerung der oberen Lika; schön und hochgewachsen waren (und sind heute noch) die Männer, prächtige Gestalten und brauchbare, mutige Soldaten, aber für die Bodenbearbeitung hatten sie keinen Sinn, und nur unter Zwang ließen sie sich, stets je acht Mann, vor einen Pflug spannen, um an Stelle der fehlenden Ochsen die Feldbearbeitung vorzunehmen. Auf Schritt und Tritt mußten den Likanern der Profos und Unteroffiziere folgen.

Zufolge Regimentsbefehles bauten die Kompagnie-Offiziere und Stationskommandanten auf den militäreigenen Grundstücken um jene Zeit Kartoffeln zum Zwecke, die bäuerlichen Grenzsoldaten mit dieser Frucht bekannt zu machen, die Leute zu veranlassen, den Kartoffelanbau in der Lika allgemein einzuführen. Auch die Kompagnie im Städtchen S. hatte im Frühjahre den Regimentsbefehl zugemittelt erhalten, verschärft mit der „gepfefferten“ Bemerkung des zu Karlstadt residierenden Obersten K., daß die Offiziere zu S. „alles und mit Beschleunigung aufzubieten haben, den Kartoffelbau erfolgreich einzuführen“. Gehorsam hatte der dienstälteste Hauptmann Attilius Tonidandel, ein sehr bärbeißig aussehender, doch gutmütiger und witzig veranlagter Herr, im Küchengarten bei seinem Wohnhause „Krompir“ (Grundbirne, Erdapfel) anbauen lassen, im Dienstwege aber schriftlich beim Regimentskommando angefragt, „wie mit Beschleunigung erfolgreich“ die Kartoffel bei den Grenzsoldaten „beliebt“ gemacht werden solle.

Diese „gehorsamste“, in Wahrheit etwas boshafte Anfrage war ohne Antwort geblieben. Deshalb kümmerte sich Hauptmann Tonidandel nicht weiter um den Befehl, noch weniger um die „gepfefferte“ Bemerkung des Regimentskommandanten, und Herr Attilius ließ die „Krompir“ Stauden wachsen, wie sie wollten.

In der Stabskanzlei des todlangweiligen Garnisonstädtchens „mopste“ sich eines melancholischen Herbsttages Tonidandel wieder ganz erschrecklich, als unerwartet und sehr aufgeregt sein Freund, der jüngere Hauptmann Adolar Pegan, ein kleiner, dicker Mann, eintrat, atemringend grüßte und fürchterlich in einem Gemisch von deutschen und serbischen Worten über die verdammten Grenzer fluchte. Und stöhnend erstattete Pegan Kapport, daß in den Ackern nicht eine einzige Grundbirne vorgefunden werden konnte; daher der größte Teil der Kompagnie Stockprügel erhalten habe. Pfeifend und rasselnd holte Pegan, der einen Satthals hatte, Atem. Herr Attilius Tonidandel blieb ruhig auf dem zerrissenen Ledersessel sitzen, lachte vergnügt und fragte, was denn die Teufelskerle mit dem gratis verabreichten „Kartoffelsamen“ getan hatten.

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