Den Freigelassenen war die Ankunft dieser beiden Männer lästig, aber sie konnten sich nun nicht mehr entfernen, ohne meinen Vater zu kränken. Barnabas und Paulus traten bescheiden auf. Sie sprachen abwechselnd und berichteten, daß die Ältesten ihrer Versammlung eine Offenbarung gehabt hatten, in der ihnen geheißen worden war, sich auf Reisen zu begeben, um die gute Botschaft zu verkünden, zuerst den Juden, dann den Heiden. Auch in Jerusalem waren sie gewesen und hatten den Heiligen dort Geld gebracht, und deren Älteste hatten ihre Vollmacht durch Handschlag bekräftigt. Danach hatten sie Gottes Wunder mit solcher Kraft verkündet, daß sogar Kranke geheilt wurden. In einer der Städte im Landesinnern war Barnabas für Jupiter in Menschengestalt gehalten worden und Paulus für Merkur, so daß der Priester der Stadt bekränzte Ochsen als Opfer für sie hatte herbeitreiben lassen. Sie hatten alle Mühe gehabt, eine so gottlose Ehrung abzuweisen. Darauf hatten die Juden Paulus vor die Stadt geführt und gesteinigt, waren dann aber aus Angst vor den Behörden geflohen und hatten Paulus in dem Glauben, er habe seinen Geist aufgegeben, auf dem Feld liegengelassen. Er war jedoch wieder zum Leben erwacht.
Die Freigelassenen fragten verwundert: »Wovon seid ihr besessen, daß es euch nicht genug ist, zu leben wie andere Menschen und euer tägliches Werk zu verrichten, sondern daß ihr euer Leben aufs Spiel setzen müßt, um von Gottes Sohn und der Vergebung der Sünden Zeugnis abzulegen?«
Barbus brach bei der Vorstellung, daß jemand diese beiden Juden für Götter halten konnte, in lautes Gelächter aus, aber mein Vater verwies es ihm. Er stützte den Kopf in beide Hände und klagte: »Ich habe euern Weg kennengelernt und in meiner Eigenschaft als einer der Väter der Stadt oft und oft versucht, Jude mit Jude zu versöhnen. Ich möchte gern glauben, daß ihr die Wahrheit sprecht, aber noch scheint euch der Geist nicht versöhnlich gestimmt zu haben. Im Gegenteil, ihr habt fortwährend Streit miteinander, und der eine sagt dies, der andere das. Die Heiligen in Jerusalem verkauften ihre Habe und warteten tagtäglich auf die Wiederkunft eures Königs. Sie warten nun schon mehr als sechzehn Jahre. Ihr Geld ist aufgebraucht, und sie leben nur noch von Almosen. Was habt ihr dazu zu sagen?«
Paulus versicherte, daß er für sein Teil niemanden gelehrt habe, sich ehrlicher Arbeit zu enthalten und seinen Besitz an die Armen auszuteilen. Barnabas wiederum sagte, ein jeder müsse tun, wie der Geist ihm zu tun befehle. Nachdem man in Jerusalem begonnen hatte, die Heiligen zu verfolgen und zu töten, seien viele in fremde Länder gezogen, auch nach Antiochia, und hätten sich als Händler und Handwerker niedergelassen und auch Erfolg gehabt, der eine mehr, der andere weniger.
Barnabas und Paulus sprachen noch lange weiter, bis die Freigelassenen ihrer müde wurden und sagten: »Nun haben wir genug von Gott gehört. Wir wünschen euch nichts Böses, aber sagt nun, was ihr von unserem Herrn wollt, da ihr spät am Abend bei ihm eindringt und ihn stört. Er hat ohnedies Sorgen genug.«
Darauf berichteten sie, daß ihre Tätigkeit viel böses Blut unter den Juden Antiochias gemacht hatte, so daß sich zuletzt sogar die Parteien der Pharisäer und Sadduzäer gegen sie und die Christen verbündeten. Die Juden betrieben eine eifrige Bekehrungsarbeit zugunsten des Tempels in Jerusalem und hatten von den Gottesfürchtigen reiche Gaben eingesammelt. Aber die Sekte der christlichen Juden lockte die Neubekehrten auf ihre Seite, indem sie ihnen Vergebung der Sünden versprach und behauptete, sie brauchten das jüdische Gesetz nicht mehr zu befolgen. Aus diesem Grunde wollten nun die Juden vor dem Rat der Stadt Anklage gegen die Christen erheben. Barnabas und Paulus versicherten, sie hätten zwar ohnehin die Absicht, Antiochia vorher zu verlassen, aber sie fürchteten, der Rat könnte sie verfolgen und vor Gericht stellen.
Mein Vater freute sich, sie beruhigen zu können. »Ich habe durch zahllose Vermittlungen und Vergleiche erreicht, daß der Rat der Stadt sich nicht mehr in die inneren Glaubensangelegenheiten der Juden einmischt«, sagte er. »Die Juden müssen die Streitigkeiten zwischen ihren verschiedenen Sekten selbst schlichten. Wir betrachten die Christen vom juristischen Standpunkt aus als eine der vielen jüdischen Sekten, obwohl sie weder die Beschneidung noch die buchstabengetreue Befolgung des Gesetzes Mose fordern. Deshalb sind die Ordnungshüter der Stadt verpflichtet, die Christen zu schützen, wenn andere Juden ihnen Gewalt antun wollen. Ebenso ist es aber auch unsere Pflicht, die anderen Juden in Schutz zu nehmen, wenn sie von den Christen behelligt werden.«
»Wir sind beide Juden«, sagte Barnabas tief bekümmert, »aber erst die Beschneidung macht einen zum rechtgläubigen Juden. Daher behaupten nun die Juden Antiochias, daß unbeschnittene Judenchristen rechtlich gesehen keine Juden seien und somit wegen Schmähung des jüdischen Glaubens verurteilt werden könnten.«
Aber mein Vater war sehr starrsinnig, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, und wandte dagegen ein: »Soviel ich weiß, ist der einzige Unterschied zwischen Christen und Juden der, daß die Christen, die beschnittenen wie die unbeschnittenen, glauben, der Messias der Juden, der Gesalbte, habe bereits in Jesus von Nazareth menschliche Gestalt angenommen, sei von den Toten auferstanden und werde früher oder später zurückkehren, um das Tausendjährige Reich zu gründen, während die Juden dies nicht glauben und weiter auf ihren Messias warten. Juristisch gesehen ist es jedoch völlig gleichgültig, ob einer glaubte, daß der Messias schon gekommen sei oder daß er erst kommen werde. Es genügt, daß er an einen Messias glaubt. Die Stadt Antiochia ist weder willens noch befugt, zu entscheiden, ob der Messias gekommen ist oder nicht. Deshalb müssen Juden und Christen die Sache friedlich untereinander ausmachen, anstatt sich gegenseitig zu verfolgen.«
Paulus fuhr auf. »So haben wir es bisher gehalten, und so könnte es auch bleiben, wenn nicht manche beschnittene Christen so feige wären, wie zum Beispiel Kephas, der zuerst mit den unbeschnittenen zusammen aß und sich dann von ihnen zurückzog, weil er die Heiligen in Jerusalem mehr fürchtet als Gott. Ich habe ihm ins Gesicht gesagt, was ich von seiner Feigheit halte, aber der Schaden war schon geschehen, und immer öfter nehmen nun die beschnittenen Christen ihr Liebesmahl getrennt von den unbeschnittenen ein. Deshalb können letztere nicht einmal mehr juristisch als Juden betrachtet werden. Nein, es gibt unter uns weder Juden noch Griechen, weder Sklaven noch Freie, sondern wir sind alle nur noch Glieder Christi.«
Mein Vater bemerkte, daß es unklug wäre, dergleichen vor Gericht zu bezeugen, denn die Christen würden dadurch einen unersetzlichen Vorteil und allen Schutz verlieren. Viel vernünftiger wäre es, wenn sie sich als Juden zu erkennen gäben und alle politischen Vorteile der Juden für sich in Anspruch nähmen, auch wenn sie die Beschneidung und das jüdische Gesetz gering achteten.
Es gelang ihm jedoch nicht, die beiden Juden zu überzeugen. Sie hatten ihre eigene unumstößliche Anschauung, daß ein Jude ein Jude sei und ein Heide ein Heide. Doch könne ein Heide Christ werden, und auf die gleiche Weise könne ein Jude Christ werden, so daß es zwischen ihnen keinen Unterschied mehr gebe, sondern sie eins seien in Christus. Darum bleibe ein Jude doch auch als Christ ein Jude, ein zum Christentum bekehrter Heide müsse sich aber erst beschneiden lassen, um Jude zu werden, und dies sei nun nicht mehr nötig, ja nicht einmal wünschenswert, da alle Welt begreifen müsse, daß ein Christ kein Jude zu sein brauche.
Mein Vater sagte bitter, diese Philosophie übersteige sein Fassungsvermögen. Er sei seinerzeit in aller Demut bereit gewesen, Untertan im Reiche jenes Jesus von Nazareth zu werden, aber man habe ihn nicht aufgenommen, weil er kein Jude war. Der Führer der nazarenischen Sekte habe ihm sogar verboten, über ihren König zu sprechen. Er halte es nach allem für das klügste, weiterhin zu warten, bis die Angelegenheiten dieses Reiches endlich geklärt und auch für einen schlichteren Verstand faßbar wären. Es zeige sich nun, daß die Vorsehung selbst ihn nach Rom schicke, da ihn in Antiochia nur Verdruß erwarte, und zwar von den Juden wie von den Christen, denn nun wisse selbst der beste Mittler keinen Rat mehr.
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