Er konnte dies jedoch nicht ganz ernst meinen, denn ich sah, daß er ein Triumphzeichen trug. Ich beglückwünschte ihn dazu, aber seine Miene verdüsterte sich, und er berichtete mir als Neuestes aus Rom, daß Kaiser Claudius seine junge Gemahlin Messalina hatte ermorden lassen und dann vor den Prätorianern weinend und schreiend geschworen hatte, er werde sich nie mehr vermählen.
»Ich weiß aus zuverlässigem Munde, daß Messalina sich von Claudius trennte, um den Konsul Silius zu heiraten, mit dem sie es schon lange getrieben hatte«, berichtete Vespasian. »Sie gingen die Ehe ein, als Claudius sich einmal aus der Stadt entfernt hatte. Ihr Plan war, entweder die Republik wiedereinzuführen oder Silius mit der Zustimmung des Senats zum Kaiser zu machen. Was wirklich geschah, ist schwer in Erfahrung zu bringen. Jedenfalls ließen Claudius’ Freigelassene, Narcissus, Pallas und die übrigen Schmarotzer, Messalina im Stich und redeten Claudius ein, sein Leben sei in Gefahr, was vermutlich auch stimmte. Beim Hochzeitsgelage begingen die Verschwörer in ihrer Siegesfreude jedoch den Fehler, sich zu betrinken. Claudius, der in die Stadt zurückgekehrt war, bekam die Prätorianer auf seine Seite. Darauf wurde eine beträchtliche Anzahl Senatoren und Ritter hingerichtet, und nur wenigen wurde die Gnade gewährt, Selbstmord zu begehen. Die Verschwörung hatte weite – Kreise gezogen und war offensichtlich gründlich vorbereitet worden.«
»Was für eine wahnsinnige Geschichte!« rief ich. »Ich hörte zwar schon, kurz bevor ich Rom verließ, daß es die Freigelassenen des Kaisers mit der Angst bekamen, als Polybius auf Messalinas Befehl verurteilt wurde, aber ich habe nie recht glauben können, was über Messalina erzählt wurde. Ich hatte vielmehr den Verdacht, daß man absichtlich boshafte Gerüchte in Umlauf setzte, um ihren Ruf zu untergraben.«
Vespasian kratzte sich seinen großen Schädel, zwinkerte mir listig zu und sagte: »Ich bin nur ein einfacher Unterfeldherr und lebe hier draußen wie in einem Ledersack. Ich sehe und weiß nicht, was wirklich vorgeht. Was soll ich dir also sagen? Es heißt jedenfalls, daß fünfzig Senatoren und einige Hundert Ritter im Zusammenhang mit der Verschwörung hingerichtet wurden. Am meisten sorge ich mich um meinen Sohn Titus, der sich in Messalinas Obhut befand, um zusammen mit Britannicus zu einem römischen Edlen erzogen zu werden. Wenn Claudius gegen die Mutter seiner Kinder so übel gesinnt war, daß er sie beiseite schaffen ließ, kann der launische Alte sich eines Tages auch gegen die Kinder wenden.«
Danach sprachen wir nur noch über die Stämme und Könige Britanniens, die ich dank Petro kennengelernt hatte. Vespasian befahl mir, einen genauen Bericht zu verfassen, gab mir aber weder für ägyptisches Papier, Tinte und Rohrfedern noch für meinen Aufenthalt in Londinium Geld. Sold bezog ich auch keinen und war nicht einmal mehr in der Rolle meiner Legion geführt weshalb ich mir während des ganzen bitter kalten und nebligen Winters wie ein Ausgestoßener vorkam.
Ich mietete einen Raum im Hause eines gallischen Kornhändlers und begann zu schreiben, mußte mir aber bald eingestehen, daß es mir schwerer von der Hand ging, als ich geglaubt hatte. Ich sollte ja nicht ein bereits geschriebenes Werk kommentieren oder bearbeiten, sondern meine eigenen Erlebnisse aufzeichnen. Ich verdarb viel kostbares Binsenpapier und wanderte oft, durch Pelze und Wollkleider gegen den eisigen Wind geschützt, am Ufer des großen Flusses Tamesa auf und ab. Als Vespasian von einer Musterungsreise zurückkehrte, ließ er mich rufen und sich vorlesen, was ich geschrieben hatte. Nach der Vorlesung schien er ein wenig verwirrt zu sein und sagte: »Ich bin nicht fähig, über Literatur zu urteilen, und hege auch zuviel Achtung vor gelehrten Männern, um mich zu ihrem Richter aufzuwerfen, aber mir scheint, du hast da einen größeren Bissen in den Mund genommen, als du schlucken kannst. Du schreibst sehr schön, nur meine ich, du solltest dir zuerst einmal darüber klarwerden, ob du ein Gedicht schreiben willst oder einen sachlichen Bericht über Britannien. Es ist zwar angenehm zu lesen, wie die Wiesen so grün sind, wie der Weißdorn blüht und wie die Vögel zwitschern, wenn der Sommer naht, aber ich frage dich: was nützt es einem Krieger oder Handelsmann, dergleichen zu erfahren? Außerdem ist mir aufgefallen, daß du dich zu sehr auf die Erzählungen der Druiden und vornehmen Briten verläßt, wenn du von der Geschichte der Stämme und der göttlichen Abstammung der Könige berichtest. Du beschreibst ihre Taten und Tugenden so begeistert, als hättest du vergessen, daß du Römer bist. Ich würde an deiner Stelle lieber nicht mit britischer Zunge den Gott Julius Caesar lästern und behaupten, er habe Britannien nie erobern können, sondern sei unverrichteter Dinge von den Küsten dieses Landes geflohen. Diese an und für sich nicht ganz unbegründete Behauptung ist zwar sehr schmeichelhaft für Claudius, dem es dann dank den Fehden unter den britischen Stämmen gelang, einen so großen Teil des Landes zu befrieden, aber du mußt einsehen, daß es nicht angeht, den Gott Julius Caesar öffentlich zu beleidigen.«
Als er so väterlich mit mir redete, begann mein Herz lauter zu klopfen, und ich begriff, daß ich mich während des Schreibens aus dem dunklen Winter und meiner eigenen finsteren Einsamkeit in einen traumhaften Sommer geflüchtet, daß ich alle Mühsal und Gefahr vergessen und mich nur des Schönen erinnert hatte. Ich hatte mich beim Schreiben nach Lugunda gesehnt und mich eingedenk der Blutsbrüderschaft, die ich bei den Briganten geschlossen hatte, mehr als Brite denn als Römer gefühlt. Gleichwohl nahm ich Vespasians Tadel nach der Weise aller Schriftsteller übel und antwortete gekränkt: »Schade, daß ich deine Hoffnungen enttäuscht habe. Es ist wohl das beste, ich packe meine Sachen und kehre nach Rom zurück, sofern es bei den Winterstürmen möglich ist, nach Gallien überzusetzen.«
Vespasian legte mir seine große Hand auf die Schulter und sagte begütigend: »Du bist noch jung, und deshalb verzeihe ich dir deine Empfindlichkeit. Es wird dir guttun, mich auf einer Musterungsreise in die Veteranenstadt Comulodunum zu begleiten. Dann gebe ich dir eine Kohorte, damit du dir die nötige militärische Erfahrung erwirbst. Deine britischen Blutsbrüder werden dich darum nur um so höher achten, wenn du im Sommer zu ihnen zurückkehrst. Im Herbst kannst du dann dein Buch neu schreiben.«
Auf diese Weise erhielt ich noch in demselben Jahr den Rang eines Kriegstribuns, obwohl ich erst achtzehn war. Dies schmeichelte meiner Eitelkeit, und ich tat mein Bestes, mich meiner Aufgabe würdig zu erweisen, obwohl sich während des Winters der Dienst auf Musterungen in der Garnison, Bauarbeiten und Übungsmärsche beschränkte. Ein wenig später erhielt ich von meinem Vater eine ansehnliche Summe Geldes und folgenden Brief: »Marcus Mecentius Manilianus grüßt seinen Sohn Minutus Lausus. Du wirst gehört haben, daß sich in Rom mancherlei verändert hat. Um Tullias Verdienste um die Aufdeckung der Verschwörung zu belohnen, und nicht so sehr um meiner eigenen Verdienste willen, hat Kaiser Claudius mir als besonderes Privileg den Purpurstreifen gewährt. Ich habe nun also einen Sitz in der Kurie. Benimm dich danach. Ich schicke dir eine Zahlungsanweisung nach Londinium. Hier wird berichtet, die Briten hätten Claudius zum Gott erhöht und ihm einen Tempel mit spitzem Dach errichtet. Du handelst klug, wenn du diesem Tempel ein passendes Geschenk machst. Tante Laelia geht es, soviel ich weiß, gut. Dein Freigelassener Minutius wohnt bei ihr. Er stellt eine gallische Seife her, die er gut verkauft. Meine Gattin Tullia läßt dich grüßen. Trink auf mein Andenken aus dem Holzbecher deiner Mutter.«
Mein Vater war also tatsächlich Senator geworden, woran ich nie geglaubt hatte, und ich brauchte mich nun nicht mehr darüber zu wundern, daß Vespasian mich so schnell zum Kriegstribun befördert hatte. Er erfuhr immer viel rascher als ich, was in Rom vorging. Ich empfand eine gewisse Bitterkeit und konnte den Senat nicht mehr so hoch achten wie zuvor.
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