Ich kam immer mehr zu der Überzeugung, daß Vespasian keineswegs so ungebildet war, wie er selbst gern vorgab. Ich glaube, er spielte den groben Klotz, um andere dazu zu verleiten, ihre ganze Überheblichkeit und Eitelkeit zu verraten. Daß Lugunda zur Priesterin auserkoren war, hatte ich nicht geahnt. Ich hatte zwar bemerkt, daß sie kein Hasenfleisch essen konnte, ohne sich zu erbrechen, und sie duldete auch nicht, daß ich Hasen mit der Schlinge fing, aber ich hatte das nur für eine Barbarenlaune gehalten, da ich wußte, daß die vielen Sippen und Stämme der Briten die verschiedensten Tiere heilig hielten, ähnlich wie der Dianapriester bei uns in Nemi kein Pferd berühren oder auch nur ansehen durfte.
Vespasian sprach noch einmal mit Lugunda, und plötzlich lachte er laut auf und rief: »Sie will nicht zu den Ihren zurückkehren, sondern bei dir bleiben, und sie behauptet, du lehrst sie Zauberkunststücke, die nicht einmal ihre Priester kennen. Beim Herkules, sie glaubt, du seist ein Heiliger, weil du nie versucht hast, sie zu nehmen!«
Ich sagte zornig, daß ich kein Heiliger, sondern nur durch ein gewisses Gelübde gebunden und daß Lugunda ja noch ein Kind sei. Vespasian sah mich pfiffig an, rieb sich die breiten Backenknochen und meinte, keine Frau sei ganz und gar ein Kind. Dann dachte er eine Weile nach und sagte schließlich: »Ich kann sie nicht zwingen, zu ihrem Stamm zurückzukehren. Ich glaube, ich muß sie ihr Hasenorakel befragen lassen.«
Tags darauf hielt Vespasian die übliche Musterung im Lager ab. Er sprach zu den Soldaten auf seine grobe Art und erklärte ihnen, sie müßten sich hinfort damit begnügen, sich gegenseitig die Schädel einzuschlagen, und die Briten in Ruhe lassen. »Habt ihr das begriffen, ihr Tölpel?« brüllte er. »Jeder Brite ist euer Vater oder Bruder, jedes alte Britenweib ist eure Mutter, jedes noch so leckere Jüngferlein eure liebe Schwester. Behandelt sie danach. Wedelt freundlich mit grünen Zweigen, wenn ihr sie seht, macht ihnen Geschenke und gebt ihnen zu essen und zu trinken. Ihr wißt, daß das Kriegsgesetz eigenmächtige Plünderung mit dem Scheiterhaufen ahndet. Darum gebt acht, daß ich euch nicht die Schwarte ansengen muß! Aber wartet nur, wie ich euch einheize, wenn ihr euch auch nur ein einziges Pferd, ein einziges Schwert von einem Briten stehlen laßt! Denkt daran, daß die Briten Barbaren sind. Gütig und voll Nachsicht müßt ihr sie eure Sitten lehren. Bringt ihnen also bei, zu würfeln, Wein zu saufen und bei den römischen Göttern zu fluchen. Das ist der erste Schritt zur höheren Bildung. Wenn euch ein Brite auf die eine Backe schlägt, dann haltet ihm auch die andere hin. Meiner Treu, ich habe mir sagen lassen, es gibt da jetzt so einen neuen, gefährlichen Aberglauben, der verlangt, daß man’s so macht, ob ihr es glauben wollt oder nicht. Aber haltet die andere Backe jedenfalls nicht zu oft hin, sondern tragt eure Meinungsverschiedenheiten lieber auf britische Art durch Ringkämpfe, Hindernisläufe oder Ballspiele aus.«
Selten habe ich die Legionäre so herzlich lachen gehört wie bei Vespasians Ansprache. Die Glieder wankten vor Gelächter, und einer ließ sogar seinen Schild in den Schlamm fallen. Zur Strafe prügelte ihn Vespasian eigenhändig mit einem Befehlsstab, den er sich von einem Zenturio ausborgte, was noch mehr Heiterkeit auslöste. Zuletzt aber opferte Vespasian auf dem Legionsaltar nach dem vorgeschriebenen Ritual so feierlich und fromm, daß keiner mehr zu lachen wagte. Er opferte so viele Kälber, Schafe und Schweine, daß alle wußten, daß sie sich einmal umsonst mit geröstetem Fleisch mästen konnten, und wir verwunderten uns alle laut über die günstigen Vorzeichen.
Nach der Musterung befahl mir Vespasian, von einem Veteranen, der zu seinem Vergnügen nach Art der Briten in einem Käfig Hasen züchtete, einen lebenden Hasen zu kaufen. Vespasian nahm den Hasen unter den Arm, und dann gingen wir drei, er, Lugunda und ich, aus dem Lager und tief in den Wald hinein. Er nahm keine Leibwache mit, denn er war ein furchtloser Mann, und außerdem trugen wir beide nach der Musterung noch unsere Rüstungen und Waffen. Drinnen im Wald packte er den Hasen bei den Löffeln und reichte ihn Lugunda, die ihn geschickt unter ihren Mantel steckte und sich nach einem geeigneten Ort umsah. Ohne ersichtlichen Grund führte sie uns so lange in die Kreuz und in die Quere, daß ich schon an einen Hinterhalt der Briten zu glauben begann. Ein Rabe flog krächzend vor uns auf, wandte sich aber zum Glück nach rechts.
Bei einer mächtigen Eiche blieb Lugunda endlich stehen, blickte sich um, zeichnete mit einer Hand die vier Himmelsrichtungen in die Luft, warf eine Faustvoll fauler Eicheln in die Höhe, beobachtete, wie sie fielen, und begann dann mit eintöniger Stimme eine Beschwörung herzusagen. Sie sprach und sang so lange, daß ich schon schläfrig wurde, dann aber zog sie plötzlich den Hasen unter ihrem Mantel hervor, warf ihn in die Höhe und starrte ihm vornübergebeugt und mit vor Erregung dunklen Augen nach. Der Hase floh in langen Sätzen genau nach Nordwesten und verschwand im Gehölz. Lugunda begann zu weinen, schlang mir die Arme um den Hals und drückte sich schluchzend an mich.
Vespasian sagte bedauernd: »Du hast den Hasen selbst ausgewählt, Minutus. Ich habe mit der Sache nichts zu tun. Wenn ich aber den Hasen recht verstanden habe, will er, daß sie unverzüglich zu ihrem Stamm zurückkehrt. Wäre er sitzen geblieben und hätte er den Kopf in einen Busch gesteckt, so würde das ein ungünstiges Vorzeichen gewesen sein und bedeutet haben, daß sie bleiben soll. So viel glaube ich vom Hasenorakel der Briten zu verstehen.«
Er klopfte Lugunda freundlich auf die Schulter und redete mit ihr in der Sprache der Icener, indem er auf mich zeigte. Lugunda beruhigte sich, lächelte, ergriff meine Hand und küßte sie mehrere Male.
»Ich habe ihr nur versprochen, daß du sie sicher ins Land der Icener geleiten wirst«, sagte Vespasian ungerührt. »Aber nun wollen wir noch einige andere Orakel befragen, um zu erfahren, ob es nicht genügt, wenn ihr erst ein wenig später aufbrecht, damit du noch Gelegenheit hast, den Druiden kennenzulernen, den ich gefangenhalte. Ich habe den Eindruck, du bist verrückt genug, um als umherziehender Sophist auftreten zu können, der in den verschiedensten Ländern Wissen und Weisheit sammelt. Ich schlage vor, du kleidest dich in Ziegenhäute. Das Mädchen kann bezeugen, daß du ein Heiliger bist, und der Druide wird dein Leben beschützen. Sie halten ihr Versprechen, wenn sie sie auf eine bestimmte Art beim Namen einer ihrer unterirdischen Götter abgelegt haben, und sollten sie sie nicht halten, dann müssen wir uns etwas anderes ausdenken, um ein friedliches Zusammenleben zu sichern.«
So begleiteten Lugunda und ich Vespasian, als er von seiner Musterungsreise wieder ins Hauptlager der Legion zurückkehrte. Als wir aufbrachen, bemerkte ich zu meiner Verwunderung, daß viele Männer der Garnison mich während des langen Winters ins Herz geschlossen hatten, so spöttisch sie mir anfangs auch entgegengetreten waren. Sie gaben mir kleine Abschiedsgeschenke, sagten, ich dürfe nie die Brust beißen, die mich gesäugt habe, und versicherten mir, daß in meinen Adern echtes Wolfsblut rinne, wenn ich auch Griechisch könne. Es tat mir weh, sie zu verlassen.
Als wir im Hauptlager ankamen, vergaß ich, den Legionsadler nach Vorschrift zu grüßen. Vespasian brüllte vor Zorn, befahl mir, die Waffen abzulegen, und schickte mich in den Kerker. Diese Strenge verwirrte mich, bis ich erkannte, daß er mich auf diese Weise nur mit dem gefangenen Druiden zusammenbringen wollte. Dieser Mann war noch keine dreißig, aber in jeder Hinsicht bemerkenswert. Er gestand offen, daß er auf der Heimreise aus Westgallien gefangengenommen worden war, als ein Sturm sein Schiff an einen von den Römern bewachten Küstenstrich trieb.
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