»Dann reite ich eben an der Spitze«, erwiderte ich kühn. »Du selbst hast mich für diesen Platz ausersehen, als du mir die Stute gabst.«
Mehrere Reiter waren abgesessen und bildeten einen Kreis um uns. Sie spornten mich an, riefen, ich sei ein tüchtiger Reiter, und bezeugten einstimmig, daß der Stallmeister selbst mir das Pferd durch Ausruf zugeteilt hatte.
»Verstehst du denn nicht, daß das nur ein Scherz war?« sagte der Stallmeister endlich kleinlaut. »Jeder Neuling bekommt zuerst einmal Arminia, sofern er nicht gar zu klein ist. Arminia ist ein richtiges Streitroß und nicht irgendein lahmer Paradegaul. Sie hat sogar schon im Amphitheater gegen wilde Tiere gekämpft. Was glaubst du eigentlich, wer du bist, du Dickschädel!«
»Scherz hin, Scherz her«, wandte ich ein. »Ich habe mich im Sattel gehalten, und du bist in deine eigene Falle gegangen. Es ist eine Schande, ein solches Pferd Tag für Tag im dunklen Verschlag stehen zu lassen und nur dazu zu verwenden, Anfänger abzuschrecken. Einigen wir uns auf halbem Wege. Ich nehme Arminia für mich selbst und reite bei den Übungen ein anderes Pferd, wenn sie wirklich nicht im Glied bleiben kann.«
Der Stallmeister rief laut alle Götter Roms zu Zeugen an, daß ich anstelle eines einzigen Pferdes gleich zwei von ihm verlangte, aber die anderen Reiter stellten sich auf meine Seite und sagten, er habe nun mit Arminia lange genug Schindluder getrieben. Ein jeder von ihnen dachte an die Beulen, Narben oder Knochenbrüche, die er bei seinem ersten Versuch, die Stute zu reiten, davongetragen hatte, obwohl er schon als Kind reiten gelernt hatte. Wenn ich so verrückt sei und mir unbedingt das Genick brechen wolle, meinten sie, so hätte ich ein Recht auf Arminia. Schließlich gehöre sie der Ritterschaft.
Ich wollte jedoch mit dem Stallmeister keinen Streit haben. Deshalb versprach ich ihm tausend Sesterze und erklärte mich bereit, allen zusammen ein paar Krüge Wein zu spendieren, »um meine Ritterstiefel zu begießen«. So wurde ich in die römische Reiterei aufgenommen und machte mir Freunde unter gleichaltrigen und älteren Kameraden. Bald darauf wurde ich als Ersatz für einen Jüngling, der sich ein Bein gebrochen hatte, unter die Kunstreiter gewählt, und wir übten mit großem Ernst, um an den Wettspielen zur Jahrhundertfeier teilnehmen zu können. Diese Reiterspiele waren so gefährlich, daß niemand allein dank seiner vornehmen Herkunft oder seinem Vermögen zugelassen wurde, sondern nur auf Grund seiner Geschicklichkeit und Tauglichkeit.
Ich war daher sehr stolz, einer der Auserwählten zu sein, und brauchte mich meiner Fortschritte bei den Reiterspielen nicht weiter zu rühmen. Wir waren in zwei Parteien eingeteilt und führten bei der Jahrhundertfeier im Großen Zirkus einen regelrechten Reiterkampf vor. Es war, ungeachtet der Bestimmung, daß keine Partei gewinnen oder verlieren sollte, ein hartes Spiel. Ich selbst hielt mich bis zum Schluß auf Arminias Rücken, danach aber mußte ich nach Hause getragen werden und konnte den Vorstellungen im Amphitheater und den Festen im Zirkus nicht mehr beiwohnen, welche die prächtigsten und am großartigsten angelegten gewesen sein sollen, die man in Rom je gesehen hatte. Während die Festlichkeiten noch andauerten, nahmen sich viele meiner Kameraden die Zeit, zu mir an mein Krankenbett zu kommen, und sie versicherten mir, daß sie ohne mich viel weniger Ehre gewonnen hätten. Ich will nicht mehr sagen, als daß ich meine falbe Stute ritt und einige Hunderttausend Menschen vor Spannung keuchen und mein Lob rufen hörte, bevor ich mir ein paar Rippen und den linken Oberschenkel brach. Aber im Sattel blieb ich, wie gesagt, trotz den Schmerzen bis zuletzt.
Das wichtigste politische Ereignis dieser Jahrhundertfeier war, daß das Volk dem Neffen des Kaisers, dem zehnjährigen Lucius Domitius, der schön und unerschrocken die Spiele der Knaben anführte, begeistert zujubelte. Claudius’ einziger eigener Sohn, Britannicus, wurde völlig in den Schatten gestellt. Zwar rief ihn der Kaiser zu sich in seine Loge und zeigte ihn dem Volk, aber das Volk wollte nur Lucius Domitius sehen, und dieser nahm die Huldigungen so höflich und bescheiden entgegen, daß er alle noch mehr für sich einnahm.
Ich für mein Teil würde zeit meines Lebens ein Krüppel geblieben sein, wenn der Arzt aus dem Tempel des Castor und des Pollux nicht so geschickt gewesen wäre. Er behandelte mich ohne Schonung, und ich mußte grausame Schmerzen erdulden. Ganze zwei Monate lag ich geschient. Danach mußte ich lernen, auf Krücken zu gehen, und lange konnte ich das Haus nicht verlassen.
Die Schmerzen, meine Angst, zum Krüppel geworden zu sein, und die Erkenntnis, wie flüchtig die Gunst des Volkes ist und wie wenig der Erfolg bedeutet, machten sicherlich einen besseren Menschen aus mir. Zumindest war ich nicht mit in die zahllosen Raufhändel verwickelt, die die wildesten meiner Kameraden auf Roms nächtlichen Straßen anstifteten. Ich glaube zu verstehen, daß das Schicksal durch die Bettlägerigkeit und die unausstehlichen Schmerzen meinen Charakter formen wollte. Ich war allein, von meinem Vater um seiner neuen Ehe willen verstoßen. Ich mußte mir selbst darüber klarwerden, was ich vom Leben erwartete.
Als ich bis in den heißen Sommer hinein in meinem Bett lag, befiel mich eine so tiefe Mutlosigkeit, daß mir alles, was bisher in meinem Leben geschehen war, eitel erschien. Tante Laelias gute, nahrhafte Kost schmeckte mir nicht. In den Nächten fand ich keinen Schlaf. Ich dachte an den mürrischen Timaios, der sich meinetwegen das Leben genommen hatte. Zum erstenmal sah ich ein, daß ein gutes Pferd vielleicht doch nicht das einzig Erstrebenswerte im Leben war. Ich mußte selbst herausfinden, was für mich besser taugte: Pflichttreue und Tugend oder Bequemlichkeit und Genuß. Die Schriften der Philosophen, die mich früher gelangweilt hatten, gewannen plötzlich Bedeutung für mich, und ich brauchte nicht lange nachzugrübeln, um zu erkennen, daß Selbstbeherrschung mir größere Zufriedenheit schenkte als kindische Zügellosigkeit.
Als der treueste unter meinen Freunden erwies sich Lucius Pollio, der Sohn eines Senators. Er war nur ein Jahr älter als ich, aber er war schmächtig und kränklich und hatte die Reiterübungen nur mit Müh und Not durchgestanden. Er fühlte sich zu mir hingezogen, weil ich sein genauer Widerpart war, aufbrausend, selbstsicher und rücksichtslos, und ihm doch nie ein böses Wort gegeben hatte. So viel hatte ich offenbar doch unbewußt von meinem Vater gelernt, daß ich zu Schwächeren höflicher und freundlicher war als zu meinesgleichen. Ich fand es, zum Beispiel, abscheulich, einen Sklaven zu schlagen, selbst wenn er frech war.
In der Familie Pollio hatte man sich immer mit Büchern und den Wissenschaften beschäftigt. Auch Lucius selbst war eher ein Bücherwurm als ein Ritter. In den Reiterübungen sah er nicht mehr als eine lästige Pflicht, deren er sich um seiner Laufbahn willen zu entledigen hatte, und die Ertüchtigung seines Körpers verschaffte ihm keinen Genuß. Er brachte mir Bücher aus der Bibliothek seines Vaters, aus deren Lektüre ich seiner Meinung nach Nutzen ziehen konnte, und er beneidete mich um mein vorzügliches Griechisch. Sein heimlicher Wunsch war es, Schriftsteller zu werden, obwohl sein Vater, der Senator Mummius Pollio, es als selbstverständlich ansah, daß er die Beamtenlaufbahn einschlug.
»Was nützt es mir, mehrere Jahre mit den Reiterübungen zu vergeuden und mir Prozesse anzuhören?« sagte Lucius empört. »Zu gegebener Zeit erhalte ich den Befehl über eine Manipel, mit einem erfahrenen Zenturio unter mir, dann kommandiere ich eine Abteilung Reiterei irgendwo in den Provinzen, und zuletzt bin ich Kriegstribun im Stab irgendeiner Legion, die am Ende der Welt Straßen baut. Erst wenn ich dreißig Jahre alt geworden bin, kann ich mich um das Amt eines Quästors bewerben, obwohl man jetzt auch schon früher zugelassen werden kann, wenn man entsprechende Verdienste nachzuweisen hat. Ich weiß nur zu gut, daß ich ein schlechter Offizier und ein untüchtiger Beamter sein werde, weil mich weder das eine noch das andere befriedigen kann.«
Читать дальше