Mein Vater tastete mit steifen Händen unter dem Mantel nach seinem Hals, zog eine mit Edelsteinen in verschiedenen Farben besetzte Goldkette hervor und sagte mit gebrochener Stimme: »Tullia hat mir mit ihren eigenen Händen diese verfluchte Kette umgelegt, und in der Eile vergaß ich, sie wieder abzulegen. Dringende Geschäfte erfordern meine Anwesenheit in Antiochia. Ich gebe ihr die Kette selbstverständlich zurück und stelle jede gewünschte Sicherheit, aber ich muß sofort abreisen.«
Der Ädil schämte sich für meinen Vater und fragte: »War es nicht vielmehr so, daß ihr miteinander die Ketten tauschtet, um euer Treuegelöbnis und das Eheversprechen zu bekräftigen?«
»Ich war betrunken und wußte nicht, was ich tat«, erwiderte mein Vater.
Der Ädil zweifelte an dieser Behauptung und sagte: »Nein, im Gegenteil, du machtest viele Worte und nanntest eine ganze Reihe Beispiele, wonach Philosophen eine rechtsgültige Ehe allein dadurch eingehen können, daß sie in Gegenwart von Zeugen ein Versprechen abgeben. Soll ich dich etwa so verstehen, daß du nur in betrunkenem Zustand deine Scherze triebst, um eine ehrbare Frau ins Bett zu locken? Wenn dem so ist, verdienst du um so schwerere Strafe für deine Tat. Ich gebe dir Gelegenheit, dich mit Tullia Valeria im Guten zu einigen. Solltest du aber durch das Tor gehen, lasse ich dich festnehmen, und deine Angelegenheit wird vor Gericht bereinigt.«
Der Advokat beschwor meinen Vater, nun wenigstens zu schweigen, und versprach ihm, er werde mit ihm zu Tullia Valeria gehen, um mit ihr zu verhandeln. Müde und übernächtigt, wie er war, begann mein Vater zu weinen und sagte: »Überlaßt mich nur meinem Elend. Ich gehe lieber ins Gefängnis, gebe meine Ritterwürde zurück und zahle die Geldbuße, als daß ich dieses falsche Weib noch einmal sehen muß. Bestimmt hat sie mir Gift gegeben und irgend etwas Schändliches in meinen Wein getan, sonst hätte ich nicht so von Sinnen sein können. Ich erinnere mich wirklich nicht mehr, was alles geschehen ist.«
»Man wird es in Erfahrung bringen«, versicherte der Advokat und versprach, meinen Vater vor Gericht zu verteidigen. Da mischte sich Tante Laelia ein, stampfte auf den Boden und rief mit brandroten Flecken auf den Wangen: »Ein zweites Mal wirst du den ehrlichen Namen der Manilier nicht durch einen schimpflichen Prozeß besudeln, Marcus! Sei endlich ein Mann und steh zu deinen Taten!«
Ich schloß mich weinend Tante Laelia an und rief, ein solcher Prozeß könne auch mich in ganz Rom zum Gespött machen und meine Zukunft zerstören. Wir sollten alle zusammen sogleich zu Tullia gehen, sagte ich und versprach, neben meinem Vater vor dieser schönen, vornehmen Dame auf die Knie zu fallen und um Vergebung zu bitten.
Mein Vater vermochte uns nicht zu widerstehen. Zusammen mit dem Ädil und den Ordnungswächtern gingen wir auf den Virinal. Die Sklaven folgten uns mit dem Gepäck meines Vaters, denn in der Aufregung dachte niemand daran, sie nach Hause zu schicken. Tullia Valerias Haus und Garten waren ungeheuer groß und prächtig. Im Säulengang des Atriums trat uns ein hünenhafter, in Grün und Silber gekleideter Türhüter entgegen. Er grüßte meinen Vater ehrerbietig und rief: »Willkommen, Herr, in deinem Haus. Meine Herrin erwartet dich schon voll Ungeduld.«
Nach einem letzten verzweifelten Blick in die Runde bat uns mein Vater mit schwacher Stimme, im Atrium zu warten, und ging allein weiter. Eine ganze Schar Sklaven kam herbei und bot uns Früchte und Wein aus silbernen Gefäßen an. Tante Laelia sah sich erfreut um und bemerkte: »Es gibt offenbar Männer, die sich nicht auf ihren eigenen Vorteil verstehen. Ich begreife nicht, was Marcus an einem Haus wie diesem auszusetzen hat!«
Kurz darauf kam Tullia Valeria selbst, um uns zu begrüßen. Sie trug nur eine durchsichtige Seidentunika, war aber kunstvoll gekämmt und schön geschminkt. Strahlend rief sie: »Ich weiß mich nicht zu fassen vor Freude darüber, daß Marcus so schnell zu mir zurückgekehrt ist und gleich seine Sachen mitgebracht hat. Nun braucht er dieses Haus gar nicht mehr zu verlassen, und wir können hier glücklich zusammen leben bis ans Ende unserer Tage.«
Sie bat ihren Schatzmeister, dem Ädilen als Entgelt für seine Mühe einen Beutel aus weichem rotem Leder zu geben, und sagte reuevoll: »Natürlich habe ich Marcus in meinem Herzen nicht einen Augenblick mißtraut, aber eine alleinstehende Witwe kann nicht vorsichtig genug sein, und in seinen jungen Jahren war Marcus recht wankelmütig. Ich sehe zu meiner Freude, daß er einen Advokaten mitgebracht hat, so daß wir gleich den Ehevertrag aufsetzen können. Ich hätte nicht geglaubt, daß du so bedachtsam sein würdest, Marcus, so unbedacht warst du heut nacht in meinem Bett.«
Mein Vater räusperte sich und schluckte, brachte aber kein Wort hervor. Tullia führte uns in ihre großen Säle und ließ uns die Mosaikfußböden, die schön eingeteilten Wandfelder und die Wandmalereien bewundern. Auch in ihr Schlafzimmer ließ sie uns einen kurzen Blick werfen, tat dabei jedoch so, als schämte sie sich, hob einen Arm vors Gesicht und rief: »Nein, tretet lieber nicht ein. Es ist von der Nacht her noch alles in Unordnung!«
Mein Vater fand endlich die Sprache wieder und rief: »Beim einzigen allmächtigen Gott, du hast gewonnen, Tullia, und ich füge mich in mein Schicksal! Aber schick nun endlich den Ädilen fort, damit er meine Erniedrigung nicht länger mit anzusehen braucht.«
Prachtvoll gekleidete Sklaven bemühten sich um uns und sorgten nach bestem Vermögen für unser Wohlbehagen. Sogar zwei kleine Knaben sprangen nackt im Haus umher und stellten Liebesgötter dar. Ich fürchtete zuerst, sie könnten sich erkälten, aber dann entdeckte ich, daß die Steinböden in diesem verschwenderisch eingerichteten Haus durch Warmwasserleitungen erwärmt wurden. Der Ädil und der Advokat meines Vaters berieten sich noch eine Weile und kamen zu dem Schluß, daß ein in Gegenwart von Zeugen abgelegtes Ehegelöbnis auch ohne öffentliche Trauung rechtskräftig sei. Der Ädil entfernte sich mit seinen Begleitern, nachdem er sich vergewissert hatte, daß mein Vater bereit war, den Ehevertrag ohne Einwände zu unterzeichnen. Der Advokat beschwor ihn, über die Sache zu schweigen, aber sogar ich mit meinem geringen Verstand begriff, daß ein Mann in seiner Stellung es sich unmöglich versagen konnte, eine so leckere Skandalgeschichte weiterzuverbreiten.
Aber war es denn wirklich ein Skandal? War es nicht eher schmeichelhaft für meinen Vater, daß eine so vornehme und offensichtlich ungeheuer reiche Dame sich um jeden Preis mit ihm vermählen wollte? Bei all seiner Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit mußte mein Vater verborgene Eigenschaften besitzen, die ich nicht kannte und die in ganz Rom Neugier erwecken konnten, und ein wenig von dieser Neugier galt dann gewiß auch mir. Zudem konnte sich diese Heirat selbst auch für mich sehr vorteilhaft auswirken. Sie zwang jedenfalls meinen Vater, in Rom zu bleiben, so daß ich in dieser großen Stadt, in der ich mich noch verloren fühlte, nicht allein meinem Schicksal ausgeliefert war.
Was aber fand die schöne, verwöhnte Tullia an meinem Vater? Einen Augenblick dachte ich argwöhnisch, daß sie vielleicht ein leichtsinniges Leben führte und bis über die Ohren in Schulden steckte, so daß sie ihn des Geldes wegen nahm. Doch dann bedachte ich, daß mein Vater für römische Verhältnisse gar keine so großen Reichtümer besaß, wenngleich seine Freigelassenen in Antiochia und anderen Städten des Ostens vermögend waren. Völlig zerstreut wurde mein Mißtrauen, als mein Vater und Tullia beschlossen, den Ehevertrag so abzufassen, daß auch in Zukunft ein jeder für sich über sein Eigentum verfügte.
»Wenn du aber Zeit und Lust hast, lieber Marcus«, sagte Tullia sanft, »dann möchte ich dich bitten, daß du mit meinem Schatzmeister sprichst, meine Eigentumsverzeichnisse durchsiehst und mich bei meinen Geschäften berätst. Was versteht schon eine einfache Witwe von diesen Dingen! Ich habe mir sagen lassen, daß du ein sehr tüchtiger Geschäftsmann geworden bist, was wohl keiner je für möglich gehalten hätte, der dich als jungen Mann kannte.«
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