»Während ich hier so lag, dachte ich mir selbst oft, daß es vielleicht nicht dafürsteht, sich um der Ehre eines Augenblicks willen die Glieder zerschlagen zu lassen«, räumte ich ein. »Aber was willst du eigentlich tun?«
»Rom herrscht bereits über die ganze Welt und sucht keine neuen Eroberungen mehr«, sagte Lucius. »Schon der Gott Augustus beschränkte vernünftigerweise die Anzahl der Legionen auf die unbedingt nötigen fünfundzwanzig. Jetzt geht es vor allem darum, Roms derbe Sitten nach griechischem Vorbild zu veredeln. Bücher, Gedichte, Theater, Musik, Tanz und Schönheit der Bewegungen tun uns mehr not als die blutigen Vorstellungen im Amphitheater.«
»Laß mir aber die Wagenrennen«, bat ich im Scherz. »Da bekommt man wenigstens edle Pferde zu sehen.«
»Wetten abschließen, Unzucht treiben und sich betrinken sind kein Beweis echter Bildung«, sagte Lucius finster. »Wenn ich versuche, ein Symposion zustande zu bringen, um nach der Weise der alten Philosophen auf griechisch zu diskutieren, endet es unweigerlich mit unanständigen Geschichten und schwerer Trunkenheit. Es ist offenbar unmöglich, in Rom eine Gesellschaft zu finden, die sich von Gesang und schöner Musik bezaubern läßt oder die Dramen der Alten höher schätzt als Räubergeschichten und Zoten. Ich möchte am liebsten nach Athen oder Rhodos reisen, um dort zu studieren, aber das läßt mein Vater nicht zu. Er ist der Ansicht, die griechische Bildung untergrabe nur die männlichen Tugenden der römischen Jugend. Als ob von den alten römischen Tugenden noch anderes übrig wäre als ein matter Abglanz und hohle Worte.«
Ich konnte aber auch viel von Lucius lernen, denn er berichtete gern über die Verwaltung Roms und ihre Schlüsselämter. Er versicherte mir treuherzig, der Senat könne, wann immer er wolle, einen Gesetzesvorschlag des Kaisers abweisen, so wie andrerseits der Kaiser in seiner Eigenschaft als Volkstribun auf Lebenszeit imstande sei, eine Beschlußfassung des Senats durch sein Veto zu unterbinden. Der größte Teil der römischen Provinzen wurde mit Hilfe von Prokonsuln durch den Senat verwaltet, der Rest war sozusagen Privateigentum des Kaisers, der selbst die Art der Verwaltung bestimmte. Die wichtigste Provinz des Kaisers war Ägypten. Dazu gab es mit Rom verbündete Länder und mehrere Königreiche, deren Herrscher von Kind an in der Schule des Palatiums erzogen wurden und römische Sitten annahmen. Ich hatte bis dahin nicht erkannt, wie klar und vernünftig diese scheinbar so verwickelte Verwaltungsform im Grunde war.
Meinem Freund Lucius sagte ich, daß ich selbst am liebsten Reiteroffizier werden wollte, und wir dachten gemeinsam darüber nach, welche Möglichkeiten mir offenstanden. Zur kaiserlichen Leibwache hatte ich keinen Zutritt, denn dort wurden alle Kriegstribunenstellen mit den Söhnen von Senatoren besetzt. In Mauretanien konnte man Löwen jagen. In Britannien gab es fortwährend neuen Aufruhr. Die Germanen stritten mit den Römern um Weideland.
»Kriegsruhm wirst du so oder so keinen gewinnen, auch wenn du an dem einen oder anderen Kampf teilnimmst«, versicherte Lucius. »Über kleine Grenzscharmützel werden nicht einmal mehr Berichte geschrieben, da es die vornehmlichste Aufgabe der Legionen ist, den Frieden an den Grenzen zu wahren. Ein allzu einfallsreicher und streitlustiger Legat verliert seinen Posten, noch ehe er weiß, was ihm geschieht. Die besten Beförderungsmöglichkeiten hat ein ehrgeiziger Mann noch bei der Flotte, und ein Seeoffizier braucht nicht einmal ritterbürtig zu sein. Es gibt ja in Rom nicht einmal einen Neptuntempel. Du bekommst einen guten Sold und führst ein bequemes Leben und kannst gleich von Anfang an damit rechnen, das Kommando über ein Schiff zu erhalten. Für die Navigation ist selbstverständlich ein geschickter Steuermann zur Hand. Aber kein vornehmer Römer drängt sich zur Flotte.«
Ich antwortete Lucius, so viel Römer sei ich immerhin, daß ich es als keine lohnende Aufgabe für einen Mann erachte, sich von einem Ort zum andern rudern zu lassen, vor allem da man seit Menschengedenken nichts mehr von Seeräubern gehört habe. Von größtem Nutzen für Rom konnte ich meiner Meinung nach im Osten sein, da ich wie jeder, der in Antiochia aufgewachsen ist, fließend Aramäisch sprach, aber ich verspürte keine Lust, Straßen zu bauen und in einer Garnisonsstadt zu leben, wo die Legionäre heiraten und ein Handwerk betreiben durften und die Zenturionen erfolgreiche Geschäftsleute werden konnten. Nein, ich wollte nicht in den Osten.
»Warum mußt du dich überhaupt irgendwo am Ende der Welt vergraben?« fragte Lucius. »Unvergleichlich besser ist es doch, in Rom zu bleiben, wo man sich früher oder später auszeichnen kann. Mit deinen Reitkünsten, deiner stattlichen Gestalt und deinen schönen Augen kannst du es hier in einem Jahr weiter bringen denn in zwanzig Jahren als Führer einer Kohorte unter den Barbaren.«
Durch meine lange Bettlägerigkeit reizbar geworden und aus reinem Widerspruch sagte ich: »Rom ist in der Sommerhitze eine schwitzende, stinkende Stadt voll ekelhafter Fliegen. Sogar in Antiochia war die Luft reiner.«
Lucius sah mich prüfend an, da er hinter meinen Worten eine versteckte Bedeutung suchte. »Ohne Zweifel ist Rom voll ekelhafter Fliegen«, erwiderte er. »Voll richtiger Aasfliegen. Es wäre vielleicht besser, wenn ich den Mund hielte, denn ich weiß sehr wohl, daß dein Vater dank einem aufgeblasenen Freigelassenen des Kaisers seine Ritterwürde zurückbekam. Es ist dir gewiß bekannt, daß die Gesandten von Städten und Königen vor Narcissus katzbuckeln und daß er sich durch den Verkauf von Bürgerrechten und Ämtern ein Vermögen von mehreren Zehnmillionen Sesterze gemacht hat. Und noch habsüchtiger ist Valeria Messalina. Sie ließ einen der edelsten Männer Roms ermorden, um sich in den Besitz der Gärten des Lucullus auf dem Pincius zu bringen. Aus ihren Gemächern im Palatium hat sie ein Freudenhaus gemacht, und damit nicht genug, verbringt sie so manche Nacht verkleidet und unter falschem Namen in den Hurenhäusern Suburras, wo sie sich aus reinem Vergnügen für ein paar schäbige Kupfermünzen jedem Dahergelaufenen hingibt.«
Ich hielt mir die Ohren zu und erklärte, daß Narcissus ein Grieche von untadeligem Benehmen sei und daß ich all das Schlechte, das über die schöne Gemahlin des Kaisers mit ihrem hell klingenden Lachen berichtet werde, nicht glauben könne. »Messalina ist nur sieben Jahre älter als wir«, sagte ich. »Sie hat außerdem zwei schöne Kinder und durfte bei den Festaufführungen unter den unbefleckten Jungfrauen der Vesta sitzen.«
»Kaiser Claudius’ Schmach und Schande im Ehebett ist sogar in den Ländern unserer Feinde, in Parthien und Germanien, bekannt«, behauptete Lucius. »Man darf zwar nicht alles glauben, aber ich kenne selbst einige junge Ritter, die sich damit brüsten, daß sie auf Geheiß des Kaisers bei ihr gelegen sind. Claudius befiehlt einem jeden, Messalina in allem zu Willen zu sein.«
Ich dachte nach und antwortete: »Du weißt selbst von deinen Symposien her, womit junge Männer prahlen, Lucius. Je schüchterner einer in Frauengesellschaft ist, desto lauter brüstet er sich mit seinen angeblichen Eroberungen, sobald er ein wenig Wein getrunken hat. Daß man derlei Gerüchte auch im Ausland kennt, scheint mir nur ein Beweis dafür zu sein, daß sie von irgend jemandem mit Absicht in Umlauf gesetzt werden. Je gröber eine Lüge ist, desto leichter wird sie geglaubt. Der Mensch ist von Natur leichtgläubig, und gerade solche Lügen, die ein verderbtes Gemüt erregen, glaubt das Volk am liebsten.«
Lucius errötete. »Ich habe eine andere Erklärung«, flüsterte er mit einer Stimme, die beinahe zitterte. »Vielleicht war Messalina wirklich unschuldig, als sie im Alter von vierzehn Jahren mit dem fünfzigjährigen verkommenen Säufer Claudius vermählt wurde, den sogar seine eigene Familie verachtete. Claudius selbst verdarb Messalina, indem er ihr Myrrhe zu trinken gab, so daß sie mannstoll wurde. Er ist jedoch ein verlebter Greis, und es wäre nicht unmöglich, daß er absichtlich beide Augen zudrückt. Er verlangt jedenfalls von Messalina, daß sie ihm ständig neue Sklavenmädchen in sein Bett schickt, je kindlicher, desto besser. Was er mit denen treibt, ist eine Sache für sich. All das hat Messalina selbst einer Person, die ich nicht nennen will, der ich aber vorbehaltlos Glauben schenke, weinend gestanden.«
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