Ich begegnete grölenden, lallenden Betrunkenen, die ihren Durst in Ermangelung von Wasser in irgendeinem verlassenen Weinkeller gestillt hatten und nicht minder betrunkene Weiber mitschleppten. In dichten Haufen standen die Juden beisammen und sangen Hymnen an ihren Gott. An einer Straßenecke stieß ich mit einem verstörten Mann zusammen, dessen Bart versengt war und der mich umarmte, das geheime Zeichen der Christen machte und mich aufforderte, Buße zu tun, denn der Tag des Gerichts sei gekommen.
Am Turm des Maecenas stand Nero und erwartete ungeduldig seine Freunde. Zu meiner Verwunderung trug er den langen gelben Mantel der Sänger und einen Kranz auf dem Kopf. Tigellinus stand mit der Zither neben ihm.
Nero brauchte Zuhörer und hatte allen hochgestellten Römern, von denen er wußte, daß sie sich in der Stadt aufhielten, Boten geschickt. Überdies hatte er an die tausend Prätorianer kommen lassen, die unter den mit Wasser berieselten Bäumen im Grase lagen und gierig aßen und tranken. Unter uns glühten die brennenden, schwelenden Stadtteile wie tiefrote Inseln in der Dunkelheit, und gewaltige Rauchsäulen stiegen zum Himmel empor.
Nero vermochte sich nicht länger zu gedulden. »Vor uns liegt ein Anblick, wie er seit der Zerstörung Trojas keinem Sterblichen mehr zuteil wurde!« rief er mit weithin hallender Stimme. »Apoll selbst ist im Traum zu mir herabgestiegen, und als ich erwachte, quollen die Strophen aus meinem Herzen wie in göttlichem Wahnsinn. Ich werde euch Verse vorsingen, die ich über den Brand Trojas gedichtet habe, und mir ahnt, daß es Verse sind, die durch alle künftigen Zeiten klingen und Nero als Dichter unsterblich machen werden!«
Ein Herold wiederholte seine Worte, während Nero auf den Turm stieg. Dort war nicht für viele Platz, aber wir drängten uns alle in seine Nähe. Er begann zu singen und begleitete sich selbst. Seine kraftvolle Stimme klang laut über das Prasseln und Brausen des Brandes hinaus und erreichte die Zuhörer in den Gärten ringsumher. Er sang wie in einem Rausch, und sein Sekretär reichte ihm ständig neue Strophen, die er im Laufe des Tages diktiert hatte. Und während er sang, dichtete Nero neue dazu, die ein anderer Schreiber in Kurzschrift festhielt.
Ich war oft genug im Theater gewesen, um zu erkennen, daß er bekannte Verse frei wiedergab oder abänderte, entweder unbewußt seiner Eingebung gehorchend oder indem er bewußt von der Freiheit Gebrauch machte, die man dem Künstler in diesen Dingen zugesteht. Er sang mehrere Stunden ohne Unterbrechung. Die Zenturionen hatten alle Mühe, die erschöpften Prätorianer im Grase mit ihren Stäben wachzuhalten.
Die Sachverständigen aber konnten ihm nicht oft genug versichern, sie hätten noch nie einen so strahlenden Gesang vor einem so erhabenen Hintergrund gehört. Sie brachen in Beifallsrufe aus und sagten, was wir nun erlebten, würden wir unseren Kindern und Kindeskindern erzählen, und die Erinnerung daran werde in aller Zukunft nicht erlöschen.
Ich selbst fragte mich im stillen, ob Nero nicht am Ende wahnsinnig geworden sei. Doch ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß ihn, empfindlich wie er war, die unsinnigen Anklagen gewiß tief gekränkt hatten und daß er in diesen Stunden die Last des Herrschens abwarf, um sich durch seine Kunst zu erleichtern und zu trösten.
Er brach seine Vorstellung erst ab, als er von dem immer dichter heranwallenden Rauch husten und sich in den Mantelsaum schneuzen mußte. Wir riefen rasch wie aus einem Munde, er möge doch seine göttliche Stimme schonen. Er war hochrot im Gesicht und schwitzte, aber er strahlte vor Triumph und versprach, am nächsten Abend weiterzusingen. Von den Rändern der Brandherde unter uns in der Stadt erhoben sich dichte Dampfwolken, als das Wasser aus den geöffneten Aquädukten zwischen den schwelenden Ruinen ausströmte.
Tullias Haus auf dem Virinal lag ziemlich nahe. Ich beschloß, mich dorthin zu begeben, um während der Morgenstunden noch ein wenig zu schlafen. Um meinen Vater hatte ich mir noch keine Sorgen gemacht, da das Haus vorerst noch sicher war. Ich wußte nicht einmal, ob er überhaupt von seinem Landaufenthalt zurück war. Unter den Senatoren, die Neros Gesang lauschten, hatte ich ihn nicht entdeckt.
Ich fand ihn einsam wachend und mit rotgeränderten Augen in Tullias beinahe völlig verlassenem und ausgeräumten Haus. Er sagte mir, daß Tullia schon am ersten Tag der Feuersbrunst mit Hilfe von tausend Sklaven alle wertvollen Gegenstände auf eines ihrer Landgüter gebracht hatte.
Jucundus, der seit dem Frühjahr einen schmalen roten Streifen auf seinem Untergewand trug, war mit einigen Kameraden aus der Palatiumschule in der Stadt umhergestreift, um das Feuer zu beobachten, und hatte sich beide Füße verbrannt, als plötzlich aus einem der brennenden Tempel ein Strom von geschmolzenem Silber und Gold auf die Straßen geronnen war. Man hatte ihn nach Hause getragen, und Tullia hatte ihn aufs Land mitgenommen. Mein Vater meinte, er werde vielleicht fürs Leben ein Krüppel bleiben, und fügte hinzu: »So braucht dein Sohn wenigstens nicht Kriegsdienst zu tun und sein Blut in den Wüsten jenseits des Euphrat zu vergießen.«
Ich bemerkte zu meiner Verwunderung, daß er zuviel Wein getrunken hatte, und nahm an, Jucundus Unglück habe ihn so erschüttert. Er erriet meine Gedanken und sagte übellaunig: »Warum sollte ich nicht ab und zu trinken! Ich fühlte, daß mein Todestag nahe ist. Wegen Jucundus mache ich mir keine Sorgen. Er hatte allzu flinke Füße, und sie haben ihn schon auf gefährliche Wege geführt. Es ist besser, als Krüppel Gottes Reich zu finden, als im Herzen verdorben zu werden. Ich selbst war ein Krüppel im Geiste, seit deine Mutter starb, Minutus.«
Mein Vater war schon weit über sechzig und kehrte in der Erinnerung gern in vergangene Zeiten zurück. Man denkt in seinem Alter mehr an den Tod als in meinem, weshalb ich seine Ahnungen nicht ernst nahm. Ich fragte vielmehr neugierig: »Was sagtest du da über die Wüsten jenseits des Euphrat?«
Mein Vater nahm einen gierigen Schluck aus seinem goldenen Becher und erzählte: »Unter Jucundus’ Schulkameraden gibt es Königssöhne aus dem Osten. Deren romfreundliche Väter betrachteten die Niederwerfung Parthiens als eine Lebensnotwendigkeit, und diese jungen Männer sind römischer als die Römer selbst, was sich auch von Jucundus sagen läßt. Die Frage ist im Senat schon oft besprochen worden. Sobald es Corbulos gelingt, Armenien zu befrieden, hat Rom dort eine Stütze, und Parthien gerät in die Zange.«
»Wie kannst du an Krieg denken, da Rom von einem so großen Unglück heimgesucht wird!« rief ich. »Drei ganze Stadtbezirke sind zerstört und sechs weitere stehen noch in Flammen. Uralte Mahnmale sind vernichtet worden, der Vestatempel ist niedergebrannt, ebenso das Tabularium mit allen Gesetzestafeln. Wieviel Zeit und Geld wird es kosten, Rom wiederaufzubauen, und wie kannst du unter solchen Umständen einen Krieg überhaupt für möglich halten?«
»Gerade jetzt halte ich einen Krieg für möglich«, sagte mein Vater nachdenklich. »Ich habe weder Gesichte noch Offenbarungen, wenngleich ich in letzter Zeit Dinge träume, die mich nachdenklich stimmen. Doch reden wir nicht von Träumen. Der Wiederaufbau Roms wird eine schwere Besteuerung der Provinzen mit sich bringen, und das wird Unzufriedenheit wecken, da die Reichen und die Kaufleute die Steuern zuletzt auf das Volk abwälzen. Wenn die Unzufriedenheit um sich greift, wird man die Regierung tadeln, und nach den Regeln der Staatskunst ist ein Krieg das beste Mittel, der Unzufriedenheit im Innern des Reiches einen Auslauf zu verschaffen. Und wenn der Krieg einmal begonnen wurde, finden sich auch immer die Mittel, ihn fortzusetzen. Du weißt selbst, daß man allgemein über die Verweichlichung Roms und den Verfall seiner kriegerischen Tugenden klagt. Es ist wahr, daß die Jungen die Tugenden der Väter verspotten und Parodien auf die Werke des Livius aufführen. Deshalb haben sie aber doch Wolfsblut in den Adern.«
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