«Dann betet, dass Er euch auch weiter beschützt, denn wir haben Gottes Hilfe jetzt bitter nötig.» Der Priester wandte sich zum Altar und verbeugte sich. «Bei Gott, das haben wir», wiederholte er und fügte unheilvoll hinzu: «Die Burgunder haben sich in Marsch gesetzt.»
«Zu unserer Unterstützung?», fragte Hook. Es schien so lange her, dass er das gezackte rote Burgunderkreuz getragen und beobachtet hatte, wie französische Truppen die Bevölkerung einer Stadt niedermetzelten.
«Nein», sagte Pater Christopher. «Zur Unterstützung Frankreichs.»
«Aber...», fing Hook an und beendete den Satz nicht.
«Sie haben ihren Familienzwist beigelegt», sagte Pater Christopher, «und sich gegen uns gewandt.»
«Und dennoch marschieren wir?», fragte Hook.
«Der König besteht darauf», sagte Pater Christopher niedergeschlagen. «Wir sind eine kleine Armee am Rande eines großen Landes», fuhr er dann fort, «aber zumindest seid ihr beide nun für alle Zeit vereinigt. Sogar der Tod kann euch nicht scheiden.»
«Gott sei gedankt», sagte Melisande und bekreuzigte sich.
Am nächsten Tag, dem achten Oktober, dem Tag der heiligen Benedikta, setzte sich die Armee König Henrys V. unter einem wolkenlosen Himmel in Marsch.
Sie wandten sich nordwärts und folgten der Küstenlinie. Hook spürte, wie sich die Stimmimg in der Armee hob, je weiter sie sich von dem Gestank nach Tod und Exkrementen entfernten. Die Männer grinsten grundlos, Freunde riefen sich scherzhafte Sticheleien zu, und einige Reiter gaben ihren Pferden die Sporen, aus der schieren Lust, wieder in der offenen Landschaft unterwegs zu sein.
Sir John Cornewaille befehligte den Vortrupp der Armee, und seine Männer ritten an der Spitze dieser Vorhut. Sir Johns Banner flatterte zwischen dem Sankt-Georgs-Kreuz und der Flagge der Holy Trinity , der Heiligen Dreifaltigkeit. Sir Johns Feldkämpfer flankierten die drei Standarten, vier berittene Trommler folgten ihnen und schlugen unablässig den Takt. Die Bogenschützen ritten als Aufklärer ganz vorne und hielten nach dem Feind Ausschau. Tatsächlich entdeckten sie ihn in einem Hinterhalt. Die Franzosen hatten gewartet, bis die gut bewaffnete und wachsame Vorhut vorbeigeritten war, und dann von der befestigten Stadt Montvilliers aus angegriffen, die nahe an der Straße lag. Plötzlich schossen Armbrustschützen aus dem Wald, und eine Gruppe Feldkämpfer stellte sich dem Zug in den Weg, sodass es zu einem schnellen Kampf kam, bevor die Angreifer, die kaum fünfzig Mann zählten, zurückgeschlagen wurden. Dennoch konnten sie ein halbes Dutzend Gefangene nehmen und zwei Engländer töten.
Dieses Gefecht trug sich schon am ersten Tag zu, doch anschließend schienen die Franzosen wieder in ihren seltsamen Schlaf zu fallen, sodass die englischen Feldkämpfer ihre Rüstungen ablegten und ihre Kettenhemden und Plattenpanzer den Saumtieren aufluden. Die unterschiedlichen Farben der Westen, die die Reiter trugen, verliehen dem Zug den Anstrich eines harmlosen Ausfluges. Die Frauen, Knappen und Diener ritten hinter den Feldkämpfern und hielten die Packpferde am Zaum, die mit Waffen, Verpflegung und großen Pfeilbündeln beladen waren. Sir Johns Kompanie hatte zwei leichte Karren. Auf dem einen lagen Verpflegung und Panzerrüstungen, auf dem anderen türmten sich Pfeile. Als Hook sich im Sattel umdrehte, sah er eine zarte Staubwolke, die sich über die niedrigen Hügel und bis hinauf zum dichten Wald ausbreitete. Diese Wolke zeigte, wo die englische Armee entlangzog, während sie ihren Weg durch gewundene Täler in Richtung des Flusses Somme nahm. Hook erschien es so, als sei es eine große Armee, doch in Wahrheit bestand die kühne Truppe aus weniger als zehntausend Männern und wirkte nur so groß, weil mehr als zwanzigtausend Pferde mitzogen.
Am Sonntag kamen sie aus den niedrigen, engen Tälern in eine weitere und flachere Landschaft. Sir John hatte vermutet, dass sie an diesem Tag. die Somme erreichen würden, und hinzugefügt, dass die Somme das größte Hindernis auf ihrem Weg bilden würde. Wenn sie erst einmal diesen Fluss überquert hätten, wären sie in kaum drei Tagen in Calais. «Also gibt es keine Schlacht?», hatte Michael Hook seinen Bruder gefragt. Lord Slaytons Männer gehörten ebenfalls zur Vorhut, wenn auch Sir Martin und Thomas Perrill weiten Abstand zu Sir John und seinen Männern hielten.
«Es heißt nein», sagte Hook, «aber wer weiß?»
«Werden uns die Franzosen nicht aufhalten?»
«Offenbar haben sie es nicht vor, oder?», sagte Hook und machte eine Kopfbewegung in Richtung der menschenleeren Gegend. Er und der Rest von Sir Johns Bogenschützen wanderten eine halbe Meile vor der Kolonne und führten sie zum Fluss. «Vielleicht sind die Franzosen ja froh darüber, uns abziehen zu sehen», meinte er. «Kann sein, dass sie uns einfach in Ruhe lassen.»
«Du warst schon einmal in Calais», sagte Michael, beeindruckt davon, dass sein älterer Bruder seit ihrem letzten Treffen schon so weit herumgekommen war und so viel von der Welt gesehen hatte.
«Eine merkwürdiges Städtchen ist das», sagte Hook, «mit einer enormen Ringmauer, einer großen Festung und dicht aneinandergedrängten Häusern. Aber es liegt auf dem Weg nach Hause, Michael, auf dem Weg nach Hause!»
«Ich bin doch gerade erst hier angekommen», erwiderte Michael kläglich.
«Vielleicht kommen wir ja nächstes Jahr zurück», sagte Hook, «um unser Vorhaben zu Ende zu führen. Sieh mal!»
Er deutete nach vorn, wo sich in der braunen, goldenen und gelben Herbstlandschaft ein schimmernder Streifen zeigte. «Das könnte der Fluss sein.»
«Oder ein See», sagte Michael.
«Der Ort, zu dem wir wollen, heißt Blanchetaque», sagte Hook.
«Die haben hier wirklich komische Namen», bemerkte Michael grinsend.
«Bei Blanchetaque gibt es eine Furt», sagte Hook. «Dort gehen wir über den Fluss und sind so gut wie zu Hause.»
Dann wurde hinter ihnen Hufschlag laut, und als Hook sich umdrehte, sah er Sir John mit einem halben Dutzend Feldkämpfer auf sich zugaloppieren. Sir John, barhäuptig und im Kettenhemd, zügelte Lucifer. Er warf einen Blick nach links, wo hinter einer leichten Erhebung das Meer sichtbar war. «Siehst du das, Hook?», fragte er gut gelaunt.
«Sir John?»
Sir John deutete auf einen winzigen weißen Fleck weit vor ihnen am Meer. «Gris-Nez! Die Graue Nase, Hook.»
«Was ist das, Sir John?»
«Eine Landzunge. Sie liegt nur einen halben Tagesritt von Calais entfernt! Siehst du, wie nahe wir schon sind?»
«Drei Tagesritte?», fragte Hook.
«Zwei, auf einem Pferd wie Lucifer», sagte Sir John und fuhr seinem Schlachtross durch die Mähne. Dann richtete er seinen Blick auf die nähere Umgebung. «Ist das dort der Fluss?»
«Ich denke schon, Sir John.»
«Dann kann Blanchetaque nicht mehr weit sein! Dort hat der dritte Edward auf seinem Weg nach Crecy die Somme überquert! Vielleicht war dein Urgroßvater auch dabei, Hook.»
«Er war nur ein Schäfer, Sir John, und hat in seinem ganzen Leben keinen Bogen angefasst.»
«Er hat eine Schlinge benutzt», sagte Michael, der wie üblich im Gespräch mit Sir John etwas unsicher klang.
«Wie bei David und Goliath, was?», gab Sir John zurück und bückte wieder zu der Landspitze weit vor ihnen hinüber. «Wie ich höre, bist du jetzt ein verheirateter Mann, Hook!»
«Ja, Sir John.»
«Die Frauen mögen das eben», sagte Sir John etwas trübselig, «und wir mögen die Frauen!» Er lachte. «Sie ist ein gutes Mädchen, Hook.» Er nahm die Umgebung in Augenschein. «Kein einziger gottverdammter Franzose in Sicht.»
«Da unten ist ein Reiter», wagte Michael leise zu widersprechen.
«Was ist da?», knurrte Sir John.
«Da unten», sagte Michael und deutete auf eine Baumgruppe etwa eine Meile vor ihnen. «Ein Reiter, Sir.»
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