«Das war alles schon einmal da», erklärte Pater Christopher Hook am nächsten Morgen.
«Schon einmal?»
«Kennst du deine eigene Geschichte nicht, Hook?»
«Ich weiß, dass mein Großvater ermordet wurde und mein Vater auch.»
«Ach ja, das traute Leben in einer glücklichen Familie», sagte der Priester, «aber denke einmal zurück an die Zeit deines Urgroßvaters. Damals war Edward König. Der dritte Edward. Er war hier in der Normandie und hatte einen schnellen Marsch auf Calais beschlossen - nur dass man ihn auf halbem Weg einkesselte.»
«Und er ist umgekommen?»
«Guter Gott, nein! Er hat die Franzosen geschlagen! Du hast doch bestimmt von Crecy gehört, oder?»
«Natürlich habe ich von Crecy gehört!», sagte Hook. Jeder Bogenschütze wusste über Crecy Bescheid, über die Schlacht, bei der die englischen Bogenschützen den französischen Adel niedergemacht hatten.
«Also weißt du auch, dass es eine glorreiche Schlacht war, Hook, in der Gott die Engländer begünstigte, doch Gottes Gunst ist ein unstetes Ding.»
«Wollt Ihr mir sagen, dass Er nicht auf unserer Seite ist?»
«Ich sage dir, dass Gott auf der Seite desjenigen ist, der gewinnt, Hook.»
Hook dachte einen Moment über diese Worte nach. Er schärfte Pfeilspitzen, wetzte die Ahlspitzen und Breitköpfe an einem Stein. Er dachte an all die Erzählungen, die er als Kind gehört hatte, wenn die alten Männer über die Pfeilgewitter von Crecy und Poitiers geredet hatten. Er wedelte mit einem Breitkopf in Pater Christophers Richtung. «Wenn es zu einer Begegnung mit den Franzosen kommt», sagte er voll Überzeugung, «dann gewinnen wir. Wir durchlöchern ihnen damit ihre Rüstungen, Pater.»
«Ich hege den schmerzlichen Verdacht, dass der König mit dir einer Meinung ist», sagte der Priester sanftmütig. «Er glaubt wirklich, Gott sei auf seiner Seite. Sein Bruder ist offenkundig anderer Überzeugung.»
«Welcher Bruder?», fragte Hook. Der Duke of Clarence und der Duke of Gloucester waren beide in der Armee.
«Clarence», sagte Pater Christopher. «Er segelt heim.»
Hook runzelte bei dieser Neuigkeit die Stirn. Der Duke war, wenn man den Aussagen mancher Männer glauben durfte, sogar ein noch besserer Soldat als sein älterer Bruder. Hook begutachtete eine Ahlspitze. Die meisten der langen, schmalen Pfeilspitzen waren schwarz vor Rost. Diese Spitze schimmerte wieder metallisch und war höllisch scharf. Er stach damit probehalber leicht gegen seinen Handballen, dann feuchtete er seine Hände an, um die Befiederung des Pfeils zu glätten. «Warum zieht er ab?»
«Ich vermute, weil er mit der Entscheidiung seines Bruders nicht einverstanden ist», sagte Pater Christopher vage. «Öffentlich wird selbstverständlich nur gesagt, dass der Duke krank sei, doch für einen leidenden Mann hat er bemerkenswert gut ausgesehen. Natürlich darf man ebenfalls nicht vergessen, dass, wenn Henry getötet wird, was Gott verhüten möge, Clarence zu König Thomas wird.»
«Unser Henry wird nicht sterben», sagte Hook wild.
«Er könnte sogar sehr leicht sterben, wenn uns die Franzosen einholen», gab der Priester scharf zurück. «Aber sogar unser Henry ist in der Lage, sich einen Rat anzuhören. Es wurde ihm gesagt, er solle nach Hause gehen, obwohl er eigentlich auf Paris marschieren wollte, und schließlich hat er sich für Calais umentschieden. Und mit Gottes Hilfe, Hook, werden wir Calais erreichen, lange bevor uns die Franzosen einholen können.»
«Ihr lasst es klingen, als würden wir vor ihnen davonlaufen.»
«Nicht ganz», sagte der Priester, «aber beinahe. Stell dir einmal unsere liebliche Melisande vor.»
Hook runzelte überrascht die Stirn. «Melisande?»
«Die Franzosen sammeln sich an ihrem Nabel, Hook, und wir sitzen auf ihrem rechten Nippel. Was wir vorhaben, ist, zu ihrem linken Nippel hinüberzurennen, und dabei beten wir zum lieben Gott, dass es die Franzosen nicht vor uns bis in das Tal zwischen ihren Brüsten schaffen.»
«Und wenn sie es doch tun?»
«Dann wird in diesem Tal der Tod über uns die Schwingen ausbreiten», sagte Pater Christopher. «Also bete, dass wir schnell sind und die Franzosen weiterschlafen.»
«Ihr dürft euch nicht zu viel aufladen!», hatte Sir John seinen Bogenschützen im Schankraum erklärt. «Wir können die Pfeile nicht in Fässern mitnehmen, weil wir keine Wagen für die Fässer haben! Und wir können keine Haltescheiben für die Pfeile verwenden. Also bündelt die Pfeile, bündelt sie einfach!»
In den Bündeln wurden die Befiederungen zerdrückt, und zerdrückte Befiederungen ließen die Pfeilbahn ungenau werden, doch sie hatten keine andere Wahl, als die Pfeile eng zusammenzubinden, um die Bündel an den Sattel zu hängen oder einem Packpferd aufzuladen. Es dauerte zwei Tage, bis alle Bündel geschnürt waren, denn der König forderte, jeden entbehrlichen Pfeil mitzunehmen, und das bedeutete, dass Hunderttausende Pfeile zu transportieren waren. So viele wie möglich wurden auf leichte Bauernkarren getürmt, die den Zug begleiten würden, doch es waren nicht genügend von diesen Vehikeln aufzutreiben, sodass schließlich sogar Feldkämpfer den Befehl erhielten, Pfeilbündel hinter ihre Sättel zu binden. Es waren etwa fünftausend Bogenschützen, die auf Calais marschierten. Diese Männer waren imstande, innerhalb einer Minute sechzigtausend oder siebzigtausend Pfeile abzuschießen, und keine Schlacht war jemals in einer Minute gewonnen worden. «Auch wenn wir jeden Pfeil mitnehmen, den wir haben, reicht es immer noch nicht aus», murrte Thomas Evelgold. «Und wenn wir keine mehr haben, sollen wir wohl mit Steinen auf die Bastarde werfen.»
Eine Garnisonsbesatzung wurde in Harfleur zurückgelassen. Es war ein starker Verband aus über dreitausend Feldkämpfern und nahezu eintausend Bogenschützen, wenn ihnen auch Pferde fehlten, weil Henry der Garnison bis auf die erfahrenen Kampfhengste der Ritter alle Pferde abgefordert hatte, denn sie wurden gebraucht, um Pfeile zu tragen. Die neuen Verteidiger Harfleurs selbst verfügten nur über gefährlich wenige Pfeile, doch es wurde Nachschub aus England erwartet, wo Forstmänner unablässig Eschenschäfte schnitten, Schmiede Ahlspitzen und Breitköpfe herstellten und Befiederer die Gänsefedern befestigten.
«Wir werden schnell marschieren!», rief ein Priester mit dröhnender Stimme. Es war der Tag, bevor sich die Armee in Bewegung setzen sollte, und der Priester ging mit einem Pergament, auf dem die königlichen Ordres standen, durch jede einzelne Straße Harfleurs. Der Priester hatte die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass jeder Mann die Anordnungen des Königs verstand. «Es werden keine Umwege und Ausflüge von der Truppe gemacht! Und vor allem ist das Eigentum der Kirche zu achten. Jeder Mann, der Kirchengut plündert, wird gehängt! Gott ist mit uns, und unser Marsch soll allen zeigen, dass wir durch Seine Gnade die Herren Frankreichs sind!»
«Ihr habt ihn gehört!», rief Sir John, während der Priester weiterging. «Haltet eure Diebsfinger vom Kirchengut fern! Schändet keine Nonnen! Das gefällt Gott nicht und mir ebenso wenig!»
An diesem Abend machte Pater Christopher Hook und Melisande in der Kirche Saint-Martin zu Mann und Frau. Melisande weinte und Hook wünschte sich, während er vor dem Altar kniete und in die flackernden Kerzen sah, Sankt Crispinian würde zu ihm sprechen, doch der Heilige schwieg. Außerdem wünschte Hook, er hätte seinen Bruder zur Kirche bestellt, doch dafür war keine Zeit gewesen. Pater Christopher hatte plötzlich darauf bestanden, dass Hook Melisande sofort zu seiner Ehefrau machen musste, und die beiden einfach zu der Kirche mit dem eingestürzten Turm gebracht. «Gott schütze euch», sagte der Priester, als die kurze Zeremonie vorüber war.
«Das hat er schon getan», sagte Melisande.
Читать дальше