Die König sandte dem Dauphin eine Herausforderung. Er bot ihm einen Kampf Mann gegen Mann an, dessen Gewinner Nachfolger des närrischen Königs Charles auf dem französischen Thron werden sollte. «Darauf wird er nicht eingehen», sagte Sir John Cornewaille. Sir John war gekommen, um zu überwachen, wie die Bogenschützen Pfähle zur Unterstützung der neuen Palisade in den Boden rammten. «Der Dauphin ist ein fetter, fauler Bastard, unser Henry dagegen ist ein Krieger. Es ist, als würde man ein Ferkel gegen einen Wolf kämpfen lassen.»
«Und wenn sich der Dauphin wirklich auf keinen Kampf einlässt, Sir John?», fragte Thomas Evelgold.
«Dann gehen wir nach Hause, vermute ich», sagte Sir John unzufrieden. Das war die herrschende Überzeugung in der englischen Armee. Die Tage wurden kürzer und merklich kühler, bald würden die herbstlichen Regenfälle über das Land ziehen, und all das bedeutete, dass die Zeit der Feldzüge für dieses Jahr vorüber war. Und selbst wenn Henry den Feldzug hätte fortsetzen wollen, war seine Streitmacht zu klein, und die französische Armee war zu groß. Vernünftige Männer, erfahrene Männer, erklärten, dass es nur ein Narr mit all diesen Schwierigkeiten zugleich aufnehmen würde. «Wenn wir noch sechstausend oder siebentausend Mann mehr hätten», sagte Sir John, «dann wagte ich zu behaupten, dass wir ihnen ihre gottverdammten Nasen einschlagen könnten, aber das werden wir nicht. Wir lassen eine Truppe in Harfleur, turn dieses Loch von einer Stadt zu verteidigen, und der Rest von uns segelt heim.»
Zwar kam noch immer Verstärkung an, doch es waren nicht sehr viele Männer, in jedem Fall nicht annähernd genug, um die Zahl der Toten und Kranken auszugleichen. Doch die Schiffe brachten sie in den stinkenden Hafen, und die verunsicherten Neuankömmlinge liefen den Plankengang herunter und starrten mit aufgerissenen Augen die eingestürzten Dächer und die zertrümmerten Kirchen und die verkohlten Ruinen an. «Die meisten von uns werden bald nach Hause gehen», erklärte Sir John seinen Männern, «und die Neuen werden Harfleur verteidigen.»Er war in düsterer Stimmung. Die Besetzung Harfleurs reichte bei weitem nicht aus, um das viele Geld oder die vielen Leben zu rechtfertigen, die der Kampf gekostet hatte. Sir John wollte mehr, und Gerüchte besagten, dass auch der König mehr wollte, doch alle anderen bedeutenden Lords, die königlichen Dukes, die Earls, die Bischöfe, die Militärführer - alle rieten dem König, nach Hause zu gehen.
«Wir haben keine Wahl», erklärte Thomas Evelgold Hook am Abend. Die bedeutendsten Lords hielten mit Henry einen Kriegsrat ab. Sie wollten ihrem König mit den hochfliegenden Plänen Vernunft beibringen, und die Armee wartete auf den Beschluss des Rates. Der Abend war wundervoll, und die untergehende Sonne warf lange Schatten über den Hafen. Hook und Evelgold saßen an einem Tisch vor dem Le Paon und tranken Ale, das man mit dem Schiff aus England gebracht hatte, weil alle Brauereien in Harfleur zerstört worden waren. «Wir müssen nach Hause», sagte Evelgold, der an die hitzigen Auseinandersetzungen dachte, die zweifellos gerade im Zunfthaus neben der Kirche Saint-Martin geführt wurden.
«Könnten wir nicht als Teil der Garnisonsbesatzung bleiben?», sagte Hook.
«Nur das nicht!», erwiderte Evelgold sofort und bekreuzigte sich. «Diese gottverdammte Riesenarmee der Franzosen wird Harfleur problemlos zurückerobern! In drei Tagen haben sie unsere Palisaden niedergerissen, und dann töten sie jeden Mann in der Stadt.»
Hook sagte nichts. Er hielt den Blick auf die enge Hafeneinfahrt gerichtet. Gerade versuchte man, ein Schiff durch die hohen Dünungswellen zu steuern. Der schwache Wind reichte nicht, um die Segel einzusetzen. Möwen kreisten über dem Einmaster und den hohen, reich vergoldeten Kastellen. «Die Holy Ghost », sagte Evelgold und nickte in Richtung des Schiffes.
Die Holy Ghost , die «Heiliger Geist», war ein neues Schiff. Der König hatte es zur Unterstützung seiner Armee bauen lassen, doch nun wurde es hauptsächlich eingesetzt, um kranke Männer nach England zurückzubringen. Es schob sich immer näher an den Kai. Hook sah Männer an Deck, doch es waren nicht annähernd so viele, wie das Schiff auf seiner vorherigen Reise mitgebracht hatte. Vielleicht waren dies überhaupt die letzten Männer, die der König aufbieten konnte.
«Fünfzehnhundert Schiffe waren nötig, um unsere Armee hierherzubringen», sagte Evelgold, «aber um uns zurückzubringen, brauchen wir lange nicht so viele.»Er lachte bitter auf. «Wir haben diesen gottverdammten Sommer vollkommen verschwendet.»Die Sonne spiegelte sich glitzernd in den beiden vergoldeten Kastellen auf der Holy Ghost . Die Männer auf Deck starrten zum Land herüber. «Willkommen in der Normandie», sagte Evelgold. «Geht deine Frau wieder mit dir nach England?»
«Ja, das tut sie.»
«Ich habe gedacht, ihr wollt heiraten.»
«Das tun wir wahrscheinlich auch.»
«Aber macht es in England, Hook.»
«Warum in England?»
«Weil es Gottes Land ist, nicht wie diese verfluchte Gegend hier.»
Centenare und Feldkämpfer waren an den Kai gekommen, um festzustellen, ob einer der Neuankömmlinge zu ihrer Kompanie gehörte. Lord Slaytons Centenar, William Snoball, war ebenfalls dabei, und er grüßte Hook höflich. «Es hat mich überrascht, Euch hier zu sehen, Master Snoball», sagte Hook.
«Weshalb?»
«Wer verwaltet das Gut, während Ihr hier seid?»
«John Willetts. Er kommt ganz gut ohne mich zurecht. Und Seine Lordschaft wollte, dass ich nach Frankreich gehe.»
«Weil Ihr ein erfahrener Mann seid», warf Evelgold ein.
«Ja, deshalb auch», stimmte Snoball zu. «Und Seine Lordschaft wollte, dass ich ein Auge auf», er zögerte, «Ihr wisst schon wen habe.»
«Sir Martin?», fragte Hook. «Und warum in Gottes Namen hat er ihn hierhergeschickt?»
«Was denkst du wohl?», sagte Snoball schroff.
Hook tat mit einer Geste so, als zöge er sich ein Messer durch die Kehle. «Das hofft er also?»
«Er hofft, dass sich Sir Martin um unser Seelenheil kümmert», erwiderte Snoball zurückhaltend, und dann, vielleicht weil er glaubte, schon zu viel gesagt zu haben, ging er ein paar Schritte den Kai hinunter.
Hook sah zu, wie die Holy Ghost immer näher kam. «Erwarten wir neue Männer?», fragte er.
«Nicht dass ich wüsste. Sir John hat jedenfalls nichts davon gesagt.»
«Er ist unzufrieden.»
«Weil er toll ist, so toll wie ein mondsüchtiger Hund.»Thomas Evelgold brütete einen Moment lang vor sich hin. «Er will einfach immer weiter ins Land eindringen! Der Mann ist toll! Er will, dass wir alle sterben. Aber für ihn wäre trotzdem alles in Ordnung, oder etwa nicht?»
«Alles in Ordnung?»
«Er würde ja nicht draufgehen, oder? Was geschieht denn, wenn wir weiter ins Inland ziehen und es zur Schlacht kommt? Die Adligen werden nicht getötet, Hook, sie werden nur gefangen genommen! Aber für dich und mich zahlt niemand Lösegeld. Deswegen werden wir abgeschlachtet, Hook, während Ihre Lordschaften auf ein behagliches Schloss gebracht werden, wo man sie mit Essen, Trinken und Huren versorgt. Sir John will einfach nur kämpfen. Aber er weiß, dass er eine Schlacht wahrscheinlich überleben würde. Doch er sollte auch an uns denken.»Evelgold leerte seinen Ale-Krug. «Allerdings passiert es ja nicht. Am Sankt-Martins-Tag sind wir alle wieder zu Hause.»
«Der König will auch weiterkämpfen», sagte Hook.
«Der König kann ebenso gut zählen wie du und ich», sagte Evelgold herablassend, «und er wird nicht weiterkämpfen.»
Vom Deck der Holy Ghost aus wurden den Männern auf dem Kai Taue zugeschleudert, und dann zogen sie das große Schiff langsam und vorsichtig an die Kaimauer. Plankengänge wurden herabgelassen, und die Neuankömmlinge, die geradezu unnatürlich sauber wirkten, wurden an Land geschickt. Es waren etwa sechzig Bogenschützen, alle trugen ihre eingehüllten Bögen, Pfeiltaschen und Kleiderbündel bei sich. Die roten Sankt-Georgs-Kreuze auf ihren Wappenröcken strahlten. Ein Priester kam den nächsten Plankengang herunter, fiel am Kai auf die Knie und bekreuzigte sich. Ihm folgten vier Bogenschützen mit dem Mond und den Sternen Lord Slaytons, und einer von ihnen hatte lockiges goldfarbenes Haar, das unter dem Rand seines Helmes hervorlugte. Einen Moment lang traute Hook seinen Augen nicht, dann stand er auf und rief: «Michael! Michael!»
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