«Kein Vogel hat so einen großen Schwanz!», sagte Hook.
« Le paon aber schon», beharrte sie.
«Dann muss das ein französischer Vogel sein», sagte Hook, «kein englischer.»
Harfleur war nun englisch. Das Sankt-Georgs-Kreuz hing am eingestürzten Turm der Kirche Saint-Martin, und die Bürger der Stadt, die so viel gelitten hatten, mussten noch mehr leiden.
Sie wurden vertrieben. In der Stadt, so erklärte der König, würden Engländer angesiedelt, ebenso wie es in Calais geschehen war, und um Platz für diese neuen Bewohner zu schaffen, wurden über zweitausend Männer, Frauen und Kinder aus der Stadt vertrieben. Die Kranken lagen auf Karren, die anderen gingen zu Fuß, und zweihundert berittene Engländer bewachten diesen traurigen Zug entlang des Nordufers der Seine, um die Flüchtlinge vor ihren eigenen Landsleuten zu schützen, die sie sonst ausgeraubt und geschändet hätten. Feldkämpfer führten die Kolonne, und Bogenschützen flankierten sie.
Auch Hook gehörte zu diesen Bogenschützen. Er hatte nun wieder seinen schwarzen Wallach Raker, der so unruhig war, dass er ständig gezügelt werden musste. Hooks Wappenrock war sauber gewaschen, wenn auch das Rot des Sankt-Georgs-Kreuzes zu einem trüben Rosa verblichen war. Unter dem Wappenrock trug er ein gutes Kettenhemd, das er einem französischen Toten abgenommen, und eine Kettenhaube, die ihm Sir John gegeben hatte, und darüber hatte er jetzt einen Bacinet gestülpt, der ebenfalls von einer Leiche stammte. Das war ein Helm mit breiter Krempe, die abwärtsgerichtete Schwerthiebe ablenken sollte, doch Hook hatte die Krempe an der rechten Seite abgehackt, weil sie ihn beim Spannen der Bogensehne störte. An seiner Seite hing das Schwert, sein Bogen stak in der Hülle über seiner Schulter, und seine Pfeiltasche war am Sattelknopf befestigt. Zu seiner Rechten, jenseits der Flüchtlinge, glitzerte der schmaler werdende Fluss in der Sonne, während sich auf der linken Seite verwaiste Weiden erstreckten. Die Herden waren schon lange von englischen Versorgungstrupps mitgenommen worden. Hinter den Weiden wellten sich sanfte, bewaldete Hügel noch im tiefen Grün des Sommers. Melisande war in Harfleur geblieben, doch Pater Christopher hatte darauf bestanden, die Vertriebenen zu begleiten. Er ritt Sir Johns großen Hengst Lucifer. Sir John wollte, dass das Pferd bewegt wurde, und Pater Christopher erfüllte ihm diesen Wunsch nur allzu gerne. «Ihr hättet nicht mitkommen sollen, Pater», stellte Hook fest.
«Bist du jetzt auch noch unter die Quacksalber gegangen?»
«Ihr solltet Euch Ruhe gönnen, Pater.»
«Ruhe kann ich mir noch mehr als genug im Himmel gönnen», sagte Pater Christopher fröhlich. Zwar war er noch blass, doch er aß wieder richtig. Er trug seit seiner Genesung wieder häufiger eine Priesterkutte. «Diese Krankheit hat mich wirklich etwas erkennen lassen», sagte der Priester in scheinbarem Ernst.
«Ach ja? Und was denn?»
«Im Himmel, Hook, muss man bestimmt nicht scheißen.»
Hook lachte. «Aber Frauen gibt es dort schon, oder nicht, Pater?»
«In Hülle und Fülle, Hook, aber was ist, wenn das alles gute, sittsame Frauen sind?»
«Ihr meint, die schlechten Frauen werden alle zum Teufel hinabfahren, Pater?»
«Das wäre ein Grund zur Sorge», sagte Pater Christopher mit einem verschmitzten Lächeln, «aber ich vertraue darauf, dass Gott passende Vorkehrungen trifft.»Er grinste, froh, am Leben zu sein und unter der Septembersonne neben einer Brombeerhecke entlangzureiten, an der die reifen Früchte schimmerten. Der kratzende Ruf eines Wachtelkönigs hallte von den Hügeln wider. Kurz nach der Morgendämmerung, als die protestierenden Menschen aus Harfleur getrieben worden waren, war ein Hirsch mit prächtigen neuen Geweihenden an der Straße nach Rouen aufgetaucht. Hook hatte das als gutes Omen genommen, doch nun entdeckte Pater Christopher, als er in die dunklen Zweige einer abgestorbenen Ulme hinaufsah, ein unheilverkündendes. «Die Schwalben sammeln sich früh dieses Jahr», sagte er.
«Dann wird es ein harter Winter», gab Hook zurück.
«Es bedeutet, dass der Sommer zu Ende ist, Hook, und mit ihm gehen unsere Hoffnungen dahin. Ebenso wie diese Schwalben werden wir von hier verschwinden.»
«Zurück nach England?»
«Und zur Enttäuschung», sagte der Priester niedergeschlagen. «Der König hat Schulden zu begleichen, und das kann er nicht. Wenn er siegreich heimgekehrt wäre, würde das keine Rolle spielen.»
«Wir haben gewonnen, Pater», sagte Hook. «Wir haben Harfleur erobert.»
«Wir haben eine Meute Wolfshunde gebraucht, um ein Häschen zu töten», sagte Pater Christopher, «und dort draußen», er nickte in Richtung Osten, «rottet sich gerade eine viel größere Hundemeute zusammen.»
Ein paar dieser Hunde zeigten sich gegen Mittag. An einer Flussaue stockte die Spitze der langen Kolonne plötzlich, und der übrige Flüchtlingszug staute sich dahinter auf. Eine Gruppe feindlicher Reiter hinderte sie am Weiterkommen. Sie versperrte ihnen die Straße an einer Stelle, an der sie durch ein Tor in eine ummauerte Stadt führte. Die Leute aus der Stadt beobachteten das Geschehen von der Ringmauer aus. Der Feind hatte ein einziges Banner: Es war eine große weiße Flagge, auf der ein Adler seine gewaltigen Krallen spreizte. Die französischen Feldkämpfer waren zur Schlacht gerüstet, ihre Panzerrüstungen glänzten unter den hellen Wappenröcken, doch nur wenige von ihnen trugen Helme, und diese wenigen hatten die Visiere hochgeklappt, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie keinen Kampf erwarteten. Hook schätzte die Zahl der Gegner auf etwa hundert, und sie waren unter den Bedingungen des Waffenstillstands da, um die Flüchtlinge zu empfangen, die mit den Schuten, die am Nordufer des Flusses ankerten, nach Rouen gebracht werden sollten. «Gütiger Gott», sagte Pater Christopher und starrte das Adlerbanner an, das sich in dem gleichen Wind hob und senkte, der langgezogene Wellen über den Fluss trieb. «Das ist der Marschall», erklärte Pater Christopher und bekreuzigte sich.
«Der Marschall ?»
«Jean de Maingre, Herr von Boucicaut, Marschall von Frankreich.»Pater Christopher sprach die Namen und Titel langsam aus. Seine Stimme verriet Bewunderung für den Mann mit dem Adler im Wappen.
«Nie von ihm gehört, Pater», sagte Hook leichthin.
«Frankreich wird von einem Geisteskranken regiert», sagte der Priester, «und die königlichen Herzöge sind jung und eigenwillig, doch unsere Feinde haben ihren Marschall, und diesen Marschall gilt es zu fürchten.»
Sir William Porter, Sir John Cornewailles Waffenbruder, führte das englische Kontingent an, und nun ritt er barhäuptig zur Begrüßung des Marschalls. Der gab seinem Pferd die Sporen, um Sir William entgegenzureiten. Der Franzose war großgewachsen und saß auf einem Pferd mit sehr hohem Stockmaß, sodass er den Engländer bei der Unterhaltung überragte. Hook erschien es aus der Entfernung so, als würden sie miteinander lachen. Dann lud Sir William den Marschall mit einer höflichen Geste ein, die englischen Truppen abzureiten. Ohne einen weiteren Blick auf die französischen Zivilisten ritt er an der Reihe aus Feldkämpfern und Bogenschützen entlang.
Der Marschall trug keinen Helm. Sein Haar war dunkelbraun, achtlos kurz geschnitten und begann an den Schläfen zu ergrauen. Es umrahmte ein Gesicht von solcher Grausamkeit, dass Hook zusammenzuckte. Es war kantig, roh, vernarbt, und die Nase musste schon einmal gebrochen gewesen sein. Der Marschall war von den Spuren des Lebens und vieler Schlachten gezeichnet, doch er hatte sich nicht besiegen lassen. Es war ein hartes Gesicht, das Gesicht eines Mannes, eines Kriegers, mit scharfen dunklen Augen, die er über Männer und Pferde gleiten ließ, um ihre Verfassung einzuschätzen. Sein Mund bildete eine grimmige Linie, doch als er Pater Christopher sah, lächelte er plötzlich, und in diesem Lächeln erkannte Hook einen Mann, der andere zu großer Treue und großen Siegen bewegen konnte. «Ein Priester auf einem Kampfhengst!», sagte der Marschall erheitert. «Wir lassen unsere Priester auf altersschwachen Stuten reiten, nicht auf Kampfhengsten!»
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