«Wir Engländer haben so viele Kampfhengste, Sire», gab Pater Christopher zurück, «dass wir auch für die Männer Gottes welche entbehren können.»
Der Marschall blickte Lucifer bewundernd an. «Ein gutes Pferd», sagte er. «Wem gehört es?»
«Sir John Cornewaille», antwortete der Priester.
«Aah!», der Marschall war erfreut. «Richtet dem guten Sir John mein Kompliment aus! Sagt ihm, ich sei sehr glücklich darüber, dass er sich Zeit für einen Besuch in Frankreich genommen hat. Ich hoffe, er wird schöne Erinnerungen mit zurück nach England nehmen. Und zwar soll er sie sehr bald mit zurück nach England nehmen!»Der Marschall lächelte Pater Christopher an und wandte seinen aufmerksamen Blick dann Hook zu. Er sah sich genau an, mit welchen Waffen und welcher Rüstung der Bogenschütze ausgerüstet war, und streckte dann seine Hand im Stahlhandschuh aus. «Erweise mir die Ehre», sagte er, «und leihe mir deinen Bogen.»
Pater Christopher übersetzte für Hook, der den Marschall zwar verstanden, aber nicht geantwortet hatte, weil er nicht recht wusste, wie er reagieren sollte. «Lass ihm deinen Bogen, Hook», sagte Pater Christopher, «und bespann ihn vorher.»
Hook zog den großen Bogenschaft aus der Hülle, stemmte das untere Ende in seinen linken Steigbügel und zog die Schlinge über die obere Nocke. Er spürte die schiere Spannungskraft in dem Eibenholz. Der Bogen schien vor Erwartung zu zittern. Der Marschall hielt weiter die Hand ausgestreckt, und Hook reichte ihm den Bogen hinüber.
«Das ist ein großer Bogen.»Boucicaut hatte, die Worte suchend, englisch gesprochen.
«Einer der größten, die ich je gesehen habe», sagte Pater Christopher, «und er gehört einem sehr starken jungen Bogenschützen.»
Ein Dutzend französischer Feldkämpfer waren dem Marschall gefolgt, und die Männer betrachteten aus ein paar Schritten Entfernung, wie er den Bogen in die Linke nahm und versuchsweise mit der Rechten an der Sehne zog. Seine Augenbrauen hoben sich vor Überraschung, als er bemerkte, welche Kraft dieser Bogen erforderte, und er warf Hook einen anerkennenden Blick zu. Anschließend untersuchte er den Bogen, zögerte und hob ihn dann an, als läge ein Pfeil auf der Sehne. Er atmete tief ein. Dann zog er an der Sehne.
Die englischen Bogenschützen sahen ihm mit einem unterdrückten Lächeln zu, denn sie wussten, dass nur ein geübter Bogenschütze solch eine Sehne voll ausziehen konnte. Die Sehne nahm den halben Weg und blieb stehen, dann zog Boucicaut erneut, und die Sehne wanderte weiter zurück, bis sie neben seinem Mund angekommen war. Hook sah die Anstrengung im Gesicht des Franzosen, doch Boucicaut war noch nicht fertig. Er schnitt eine kleine Grimasse, zog erneut und holte die Sehne zurück bis zu seinem rechten Ohr. Er hielt sie dort in voller Spannung, richtete seinen Blick auf Hook und zog eine Augenbraue empor.
Hook konnte nicht anders. Er lachte, und mit einem Mal jubelten die englischen Bogenschützen dem französischen Marschall zu, dessen Gesicht reines Entzücken ausstrahlte, während er dem Gegenzug der Bogensehne langsam nachgab und Hook anschließend den Bogen zurückreichte. Hook nahm ihn grinsend und verbeugte sich halb in seinem Sattel. «Engländer!», rief Boucicaut. «Hier!»Er warf Hook eine Münze zu, und immer noch entzückt lächelnd, ritt er die Linie der Beifall klatschenden Bogenschützen zu Ende ab.
«Ich habe es dir ja gesagt», meinte Pater Christopher, «er ist ein Mann.»
«Und ein großzügiger Mann», sagte Hook und starrte auf die Münze in seiner Hand. Sie war aus Gold, so groß wie ein Schilling, und er schätzte, dass sie ein Jahreseinkommen wert war. Er schob sie in seinen Beutel, in dem er zusätzliche Pfeilspitzen und drei zusätzliche Bogensehnen aufbewahrte.
«Ein guter und großzügiger Mann», stimmte Pater Christopher zu, «aber kein Mann, den man zum Feind haben will.»
«Ebenso wenig wie mich», unterbrach ihn eine Stimme. Hook wandte sich im Sattel um und erkannte in einem der Feldkämpfer, die dem Marschall gefolgt waren, Seigneur de Lanferelle, der sich nun auf seinen Sattelknopf lehnte, um Hook anzustarren. Er warf einen Blick auf Hooks Rechte, deren kleiner Finger fehlte, und die Andeutung eines Lächelns zeigte sich auf seinem Gesicht. «Bist du schon mein Schwiegersohn ?»
«Nein, Sire», sagte Hook und nannte Pater Christopher Lanferelles Namen.
Der Franzose sah den Priester abschätzend an. «Ihr wart krank, Pater.»
«Das war ich», pflichtete ihm Pater Christopher bei.
«Lautet so der Richterspruch Gottes? Hat Er in Seiner Gnade Eure Armee für die Sündhaftigkeit Eures Königs mit der Krankheit geschlagen?»
«Sündhaftigkeit?», fragte Pater Christopher sanft.
«Indem er nach Frankreich gekommen ist», sagte Lanferelle und straffte sich in seinem Sattel. Sein geöltes Haar hing glatt und rabenschwarz bis zu seiner Mitte herab, um die sich ein silberbeschlagener Schwertgürtel schloss. Sein auffallend schönes Gesicht war nach dem Sommer noch tiefer gebräunt, sodass seine Augen unnatürlich hell wirkten. «Doch Ihr, so hoffe ich, bleibt in Frankreich, Pater.»
«Ist das eine Einladung?»
«Allerdings!»Lanferelle lächelte und zeigte dabei sehr weiße Zähne. «Wie viele Männer habt Ihr jetzt?»
«Wir sind so zahlreich wie die Sandkörner am Meeresstrand», antwortete der Priester fröhlich, «und so unüberschaubar wie die Sterne am Firmament und so unzählbar viele, wie bissige Flöhe im Schritt einer französischen Hure hausen.»
«Und ebenso gefährlich», sagte Lanferelle, ohne sich von den herausfordernden Worten des Priesters beeindrucken zu lassen. «Also, wie viele seid ihr jetzt? Weniger als zehntausend? Und wie ich höre, schickt Eurer König die kranken Männer nach Hause.»
«Er schickt Männer nach Hause», sagte Pater Christopher, «weil wir genügend haben, um alles zu tun, was auch immer getan werden muss.»
Hook überlegte, woher Lanferelle wusste, dass die Kranken nach Hause geschickt wurden, dann wurde ihm klar, dass französische Kundschafter Harfleur von den Hügeln aus beobachten mussten. Sie hatten gesehen, dass Bahren mit Kranken zu den englischen Schiffen getragen worden waren, die mittlerweile in dem Hafen mit der Ringmauer ankerten.
«Und Euer König bringt Verstärkung her», sagte Lanferelle, «aber wie viele einer Männer muss er in Harfleur zur Bewachung der Ruinen abstellen? Eintausend?»Erneut lächelte er. «Ihr habt wirklich nur eine sehr kleine Streitmacht, Pater.»
«Zumindest aber kämpft sie», sagte Pater Christopher, «während Eure Armee in Rouen liegt und schläft.»
«Aber die Männer unserer Armee», sagte Lanferelle, und seine Stimme klang mit einem Mal schroff, «sind tatsächlich so zahlreich wie die Flöhe im Schritt einer Pariser Hure.»Er raffte die Zügel zusammen. «Ich hoffe, dass Ihr bleibt, Pater, und auch einmal dorthin kommt, wo sich die französischen Flöhe von englischem Blut ernähren.»Er nickte Hook zu. «Richte Melisande meinen Gruß aus.»Dann wandte er sich im Sattel um. «Jean! Venez !»Derselbe einfältige Junker, der im Wald über Harfleur Melisande angestarrt hatte, eilte zu seinem Herrn und streifte auf Lanferelles Geheiß den Wappenrock ab. Seigneur de Lanferelle nahm das bunte Gewand mit seiner leuchtenden Sonne und dem stolzen Falken, wickelte es zu einem Ball und warf es Hook zu. «Wenn es zur Schlacht kommt», sagte er, «dann sag Melisande, sie soll das anziehen. Vielleicht reicht es, um sie zu schützen. Ich würde ihren Tod bedauern. Einen guten Tag euch beiden.»Und damit ritt er los, um den Marschall einzuholen.
Am nächsten Tag ballten sich die Wolken am Himmel, türmten sich über der See und trieben über Harfleur hinweg wie ein graues Bahrtuch. Die Bogenschützen hatten viel damit zu tun, die Stadtmauer behelfsmäßig instand zu setzen. Sie errichteten Balkenpalisaden in den Lücken, die zur Verteidigung genügen mussten, bis Mauersteine aus England kamen, mit denen die Befestigungsanlage vollständig wiederhergestellt werden konnte. Noch immer wurden Männer krank, und in den trümmerübersäten Straßen stank es nach Jauche, die in den Fluss Lezarde sickerte. Er floss wieder frei durch den Steinkanal, der die Stadt in der Mitte durchquerte, bis er in das enge Hafenbecken mündete, aus dem es stank wie aus einer Abortgrube.
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