«Stöcke?», fragte Thomas Evelgold verhalten nach.
«Die Franzosen, sie mögen in der Hölle verrotten», sagte Sir John, während er näher an das größte Feuer trat, «haben beschlossen, euch zu schlagen. Euch! Die Bogenschützen! Sie furchten euch! Hört ihr mir alle zu?»
Die Bogenschützen betrachteten ihn schweigend. Sir John trug einen Lederhut und einen dicken Ledermantel. Regen tropfte ihm von der Krempe und den Säumen. In einer Hand hielt er eine gekürzte Lanze, die eingesetzt werden konnte, wenn ein Kämpfer dicht vor seinem Feind auf dem Feld stand. «Wir hören, Sir John», brummte Evelgold.
«Es sind Anweisungen aus Rouen gekommen!», verkündete Sir John. «Der Marschall von Frankreich hat einen Plan! Und der Plan ist, zuerst euch zu töten, die Bogenschützen, und dann den Rest von uns.»
«Und die Adligen gefangen zu nehmen, meint Ihr», sagte Evelgold, doch so leise, dass es Sir John nicht hören konnte.
«Sie stellen eine Truppe Ritter auf gerüsteten Pferden zusammen», sagte Sir John, «und die Reiter selbst werden den besten Harnisch tragen, den es gibt! Mailändische Panzerrüstungen! Und über mailändische Rüstungen wisst ihr ja alle Bescheid.»
Hook wusste, dass die Rüstungen aus Mailand, wo immer dieser Ort liegen mochte, den Ruf hatten, die besten der Christenheit zu sein. Es wurde erzählt, dass die mailändischen Panzerungen auch dem durchschlagkräftigsten Breitkopf widerstanden, doch gottlob waren solche Rüstungen selten, denn sie waren außerordentlich kostspielig. Hook hatte gehört, dass eine vollständige Panzerrüstung aus Mailand beinahe hundert Pfund kostete, und das war mehr, als ein Bogenschütze in zehn Jahren an Sold erhielt. Auch für die Feldkämpfer war das eine beträchtliche Ausgabe. Die meisten wähnten sich schon reich, wenn sie über vierzig Pfand jährlich verfügten.
«Also werden sie ihre Pferde mit gepolsterten Umhängen und Kopfhauben rüsten und selbst mailändische Harnische tragen», fahr Sir John fort, «und dann werden sie euch, die Bogenschützen, angreifen! Sie wollen mit Schwertern und Keulen zwischen euch reiten.» Die Bogenschützen hörten nun aufmerksam zu und stellten sich vor, wie die großen Tiere mit den stählernen Kopfmasken und den schwer gepolsterten Flanken in ihre Reihen einbrachen. «Wenn sie mit tausend Reitern kommen und ihr Glück habt, könnt ihr vielleicht hundert von ihnen aufhalten. Und die anderen werden euch ganz einfach abschlachten, nur dass sie das nicht können,. denn ihr habt die Stöcke!» Um zu zeigen, was er meinte, hob er die Lanze und stieß den Schaft in den feuchten Boden, sodass die Eisenspitze etwa in Brusthöhe aufragte. «So rammt ihr die Stöcke in den Boden», erklärte er. «Wenn ein Pferd angreift, spießt es sich selbst auf, und damit wehrt ihr auch einen Mann in einer mailändischen Rüstung ab. Deshalb schneidet ihr euch morgen früh alle einen Stock. Ein Mann ein Stock, und ihr spitzt beide Enden an.»
«Morgen, Sir John?», fragte Thomas Evelgold. Aus seiner Stimme klang Zweifel. «Sind sie so nahe?»
«Sie könnten überall sein», sagte Sir John. «Von morgen früh an reitet ihr mit Lederwams und Kettenhemd, ihr tragt Helme, ihr sorgt dafür, dass die Bogensehnen trocken sind, und ihr habt den Stock dabei.»
Am nächsten Morgen schnitt Hook einen Ast von einer Eiche und schärfte das grüne Holz mit dem Blatt seiner Kampfaxt. «Als wir aus England lossegelten», sagte Will of the Dale bitter, «sagten sie, wir seien die schlagkräftigste Armee, die je zusammengezogen wurde! Und was haben wir jetzt noch? Feuchte Bogensehnen, Eichelbrote und Holzstöcke!»
Der lange Eichenstock war beim Reiten hinderlich. Die Pferde waren entkräftet, verschwitzt und hatten nicht genug Futter, der Regen setzte wieder ein, stärker dieses Mal, wurde ihnen vom Wind in den Rücken getrieben und prasselte in Myriaden winziger Tropfen ins Wasser des Flusses. Die Franzosen standen auf der anderen Uferseite. Immerzu waren sie auf der anderen Seite des Flusses.
Dann kamen neue Anweisungen vom König. Die Vorhut wandte sich vom Fluss ab und arbeitete sich einen langen, feuchten Hang hinauf, der zu einer trostlosen, durchnässten Hochfläche führte. «Wohin gehen wir jetzt?», fragte Hook, als der Fluss außer Sicht war.
«Das weiß Gott», sagte Pater Christopher.
«Und erzählt er es Euch, Pater?»
«Verrät dir dein Heiliger irgendetwas?»
«Kein Wort.»
«Also weiß Gott allein, wo wir hier sind», sagte Pater Christopher, «und niemand außer Gott.» Die Hochebene bestand aus Lehmerde. Bald war der Grund nichts weiter als morastiger Schlick, auf den es unaufhörlich weiterregnete. Es wurde kälter, und auf dem Plateau wuchsen nur wenige Bäume, sodass es kaum Feuerholz gab. Bogenschützen aus einer anderen Kompanie verbrannten bereits ihre Stöcke, um in der Nacht etwas Wärme zu haben, und die Armee wurde angehalten, damit alle zusahen, wie diese Männer ausgepeitscht wurden. Ihrem Ventenar wurden die Ohren abgeschnitten.
Die französischen Reiter spürten die wachsende Hoffnungslosigkeit von Henrys Armee. Sie verfolgten sie Richtung Süden, und die englischen Feldkämpfer waren zu ausgelaugt, und ihre Pferde hatten zu lange nicht gefressen, um die Herausforderung der erhobenen Lanzen anzunehmen. So wurden die Franzosen kühner und kamen immer näher heran. «Verschwendet eure Pfeile nicht!», ermahnte Sir John seine Bogenschützen.
«Ein Franzose weniger, den wir in der Schlacht töten müssen», meinte Hook.
Sir John lächelte müde. «Es ist eine Frage der Ehre, Hook.» Er nickte in Richtung eines Franzosen, der sein Pferd kaum eine Viertelmeile entfernt neben ihnen hertraben ließ. Der Mann war allein und lud mit seiner Lanze einen Engländer zum Zweikampf ein. «Er hat geschworen, eine bedeutungsvolle Ehrentat zu vollbringen», erklärte Sir John, «wie etwa mich oder einen anderen Ritter zu töten, und das ist ein nobles Streben.»
«Und es schützt ihn vor einem Pfeil?», gab Hook verdrießlich zurück.
«Ja, Hook, das tut es. Lass ihn am Leben. Er ist ein tapferer Mann.»
Weitere tapfere Männer zeigten sich an diesem Nachmittag, doch noch immer ging kein Engländer auf ihre Herausforderung ein, und so wurden die Franzosen noch kühner und ritten so nahe heran, dass sie Männer erkennen konnten, mit denen sie sich in den großen Turnieren in ganz Europa gemessen hatten. Sie plauderten miteinander. Es waren immer mindestens ein Dutzend französischer Ritter in Sicht, und einer von ihnen, der ein großes, lebhaftes schwarzes Pferd ritt, das kraftvoll über den schweren Lehmgrund trabte, spornte sein Tier an, bis er die Spitze der englischen Vorhut erreicht hatte. «Sir John!», rief der Reiter. Es war Seigneur de Lanferelle, sein langes, geöltes Haar fiel ihm glatt über den Rücken.
«Lanferelle!»
«Wenn ich Euch Hafer für Euer Pferd gebe, stellt Ihr Euch dann meiner Lanze?»
«Wenn Ihr mir Hafer gebt», rief Sir John zurück, «werden ihn meine Bogenschützen essen!»
Lanferelle lachte. Sir John ritt an die Seite des Franzosen, und die beiden unterhielten sich leutselig. «Sie wirken wie Freunde», sagte Melisande.
«Vielleicht sind sie es auch», meinte Hook.
«Und dennoch würden sie sich in einer Schlacht töten?»
«Engländer!» Es war Lanferelle, der Hook rief und nun auf die Bogenschützen zuritt. «Sir John sagt, du hast meine Tochter geheiratet!»
«Das habe ich», sagte Hook.
«Und das ohne meinen Segen», sagte Lanferelle, aber er klang belustigt. Dann sah er Melisande an. «Hast du den Wappenrock, den ich ihm für dich gegeben habe?»
«Oui» , sagte sie.
«Dann trag ihn», sagte ihr Vater barsch, «wenn es zur Schlacht kommt, dann trägst du ihn.»
«Weil er mich schützen wird?», fragte sie spitz. «In Soissons hat mich die Novizentracht auch nicht geschützt.»
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