«Verdammt sei Soissons, Mädchen», sagte Lanferelle, «und was dort geschehen ist, erwartet auch diese Männer. Sie sind dem Tode geweiht!» Mit einer weit ausholenden Geste bezeichnete er den gesamten Zug, der sich durch den Schlamm kämpfte. «Die Gottverfluchten sind alle dem Tod geweiht! Ich mache mir ein Vergnügen daraus, dich zu retten.»
«Und was soll dann kommen?»
«Dann kommt, was auch immer ich für dich entscheide. Du hast deine Freiheit gehabt, und nun sieh dir an, wohin sie dich geführt hat!» Er lächelte, und seine erstaunlich weißen Zähne blitzten auf. «Warum kommst du nicht gleich mit? Ich bringe dich weg von hier, bevor wir diese Armee niedermachen.»
«Ich bleibe bei Nicholas», sagte sie.
«Dann bleib bei den Gottverfluchten», sagte Lanferelle schroff, «und ich bringe dich weg, wenn dein Nicholas tot ist.» Er trieb sein Pferd an und ritt, nach ein paar weiteren Worten mit Sir John, nach Süden.
«Die Gottverfluchten?», fragte Hook.
«So nennen die Franzosen euch Engländer», sagte sie. Dann sah sie Sir John an. «Sind wir dem Tod geweiht?», fragte sie.
Sir John lächelte freudlos. «Das hängt davon ab, ob ihre Armee uns einholt, und wenn sie uns einholt, ob sie uns schlagen kann. Bisher leben wir noch!»
«Und werden sie uns einholen?», fragte Melisande.
Sir John deutete nordwärts. «Am Nordufer des Flusses ist immer ein französischer Truppenverband mit uns gezogen», erklärte er. «Sie haben dafür gesorgt, dass wir die Somme nicht überqueren konnten. Sie haben uns ihrer großen Armee entgegengetrieben. Aber hier, meine Liebe, beschreibt der Fluss eine Schleife nach Norden. Weit nach Norden! Wir können die Strecke abkürzen, indem wir über Land reiten, aber der französische Truppenverband muss die ganze Nordkurve abreiten, und das wird die Franzosen drei oder vier Tage kosten. Wir aber werden vor ihnen wieder am Fluss sein, und dann werden keine Franzosen auf der anderen Seite sein, und wenn wir eine Furt finden oder, so Gott will, eine Brücke, dann gehen wir über die Somme und machen uns auf zu den Gasthäusern von Calais! Dann gehen wir nach Hause!»
Doch jeden Tag wurde die Strecke, die sie bewältigen konnten, kürzer. Es gab keine Wiesen, auf denen die Pferde grasen konnten, keinen Hafer, und jeden Tag stiegen mehr Männer aus dem Sattel, um ihre erschöpften, entkräfteten Tiere am Zügel zu führen. Während der ersten Woche ihres Marsches hatten die Städte Verpflegung an die durchziehende Armee abgegeben, doch nun schlossen die wenigen kleinen Städte am Weg ihre Stadttore und verweigerten ihre Unterstützung. Die Stadtoberen wussten, dass die Engländer keine Zeit hatten, um ihre Befestigungen anzugreifen, wie schwach diese auch immer sein mochten, und so beobachteten die Bürger nur, wie die trostlose Kolonne vorbeizog, und beteten zu Gott, er möge die geschwächten Eindringlinge endgültig zugrunde gehen lassen.
Und Gottes Missfallen war das Letzte, was Henry auf sich ziehen wollte. Also befahl er der Armee an ihrem letzten Tag auf dem Hochplateau, vor dem Abstieg in das Tal der Somme zu halten, weil ein Priester die Beschwerde vorgebracht hatte, einer der Engländer habe die Pyxis aus seiner Kirche gestohlen. Centenare und Ventenare wurden angewiesen, ihre Männer zu durchsuchen. Die fehlende Pyxis war ein vergoldetes Kupferkästlein, in dem die geweihten Hostien aufbewahrt wurden. Es hatte keinen großen Wert, doch der König war entschlossen, es zu finden. «Wahrscheinlich hat es ein armer Kerl gestohlen, um an die Hostien zu kommen», vermutete Tom Scarlet, «und dann hat er die Hostien gegessen und das Kästchen weggeworfen.»
«Nun, Hook?», fragte Sir John.
«Keiner von uns hat es, Sir John.»
«Eine gottverdammte Pyxis», knurrte Sir John, «die Pocken auf diese Pyxis, Pater!»
«Wenn Ihr meint, Sir John», sagte Pater Christopher.
«Wir geben den Franzosen wegen einer gottverdammten Pyxis die Gelegenheit, uns einzuholen!»
«Gott wird uns belohnen, wenn wir sie finden», sagte Pater Christopher. «In der Tat. Er hat uns jetzt schon von diesem Regen erlöst!» Und das stimmte. Mit dem Beginn der Suche hatte es aufgehört zu regnen, und eine schwache Sonne blitzte durch die Wolken auf das durchweichte Land.
Und dann wurde die Pyxis gefunden.
Sie war im Jackenärmel eines Bogenschützen versteckt, es war eine zusätzliche Jacke, die er zusammengerollt und an seinen Sattelknauf gebunden hatte, wenn er auch behauptete, er habe weder die Jacke noch die Pyxis je zuvor gesehen. «Sie beteuern immer, sie wären unschuldig», erklärte ein königlicher Kaplan seinem König Henry, «hängt ihn einfach, Sire.»
«Wir werden ihn hängen», stimmte der König aufgebracht zu, «und wir lassen alle anderen Männer dabei zusehen! Das geschieht denjenigen, die sich gegen Gott versündigen ! Hängt ihn!»
«Nein!», begehrte Hook auf.
Denn der Mann, der zu dem Baum gezerrt wurde, an dem ihn der König und sein Gefolge erwarteten, war sein Bruder Michael.
Auf ihn wartete der Strang.
Die Männer des Königs schleppten Michael zu der Ulme, neben der Henry und seine Höflinge auf ihren Pferden saßen, während der Gemeindepriester, der über den Diebstahl seiner Pyxis Beschwerde geführt hatte, an ihrer Seite stand. Der Armee war ein Halt befohlen worden, und die Männer standen in einem großen Kreis um den Baum, wenn auch nur diejenigen in den vorderen Reihen sehen konnten, was geschah. Zwei Soldaten in Kettenhemden, über denen sie den Wappenrock des Königs trugen, hatten Michael an den Armen gefesselt und zogen ihn vor den König. Sie mussten keine Gewalt einsetzen, denn Michael ging bereitwillig mit. Er wirkte verwirrt.
«Nein!», rief Hook.
«Halt den Mund», knurrte Thomas Evelgold.
Wenn der König Hooks Widerspruch gehört hatte, so zeigte er es nicht. Seine Miene war unbewegt, hart und unerbittlich.
«Er...», begann Hook, weil er sagen wollte, dass sein Bruder niemals eine Pyxis gestohlen haben konnte, doch Evelgold drehte sich zu ihm herum und rammte ihm die Faust in den Magen, sodass Hook die Luft ausging.
«Nächstes Mal breche ich dir den Kiefer», sagte Evelgold.
«Mein Bruder», keuchte Hook, während er versuchte, wieder zu Atem zu kommen.
«Ruhe!», knurrte Sir John, der vor seiner Kompanie stand.
«Du erzürnst Gott, und du gefährdest unseren gesamten Kriegszug!», sagte der König mit rauer Stimme zu Michael. «Wie können wir darauf hoffen, dass Gott auf unserer Seite ist, wenn wir Ihn erzürnen? Du hast ganz England in Gefahr gebracht.»
«Ich habe sie nicht gestohlen!», verteidigte sich Michael.
«Zu wessen Kompanie gehört er?», verlangte der König zu wissen.
Sir Edward Derwent trat vor. «Er ist einer von Lord Slaytons Bogenschützen, Sire», sagte er mit einer Verbeugung seines ergrauten Hauptes, «und ich bezweifle, Sire, dass er der Dieb ist.»
«Die Pyxis befand sich bei ihm?»
«Sie wurde bei seinen Sachen gefunden, Sire», sagte Sir Edward mit Bedacht.
«Die Jacke gehört mir nicht, Herr!», sagte Michael.
«Seid Ihr sicher, dass sich die Pyxis unter seinen Habseligkeiten befand?», fragte der König Sir Edward, ohne auf den blonden Bogenschützen zu achten, der vor ihm auf die Knie gefallen war.
«Sie war dort, Sire, doch wie sie dorthin gekommen ist, kann ich nicht sagen.»
«Wer hat sie gefunden?»
«Sire, das war ich, Sire.» Sir Martin trat in seiner lehmbespritzten Priesterkutte aus der Menge. «Ich war es, Sire», wiederholte er und ließ sich auf ein Knie hinab. «Und er ist ein guter Junge, Sire, ein gottesfürchtiger Junge.»
Sir Edward hätte den ganzen Tag Michaels Unschuld beteuern und den König dennoch zu keinem Zweifel bewegen können, doch das Wort eines Priesters wog viel schwerer. Henry nahm die Zügel in eine Hand und beugte sich aus dem Sattel vor. «Wollt Ihr damit sagen, dass er die Pyxis nicht genommen hat?»
Читать дальше