In den nächsten Minuten hörte er nichts von dem, was Sir John sagte. Hooks Kopf schmerzte, und alles um ihn herum wankte, doch als er langsam wieder zu Sinnen kam, verstand er Sir Johns geknurrte Sätze. «Du kannst vor dem Kampf wütend sein! Aber im Kampf hältst du gefälligst dein bisschen Verstand zusammen! Im Kampf ist deine Wut tödlich.» Sir John schubste Hook mit der Stiefelspitze an. «Steh auf. Dein Kettenhemd ist verdreckt. Mach es sauber. Und da ist Rost an deiner Schwertklinge. Ich lasse dich auspeitschen, wenn bei Sonnenuntergang noch etwas davon übrig ist.»
«Er wird dich nicht auspeitschen lassen», sagte Goddington, der Centenar, an diesem Abend zu Hook. «Er schlägt dich, er zieht dir eins mit dem Schwert über, und vielleicht bricht er dir ein paar Knochen, aber nur in einem redlichen Kampf.»
«Ich bin derjenige, der ihm die Knochen brechen wird», sagte Hook rachsüchtig.
Goddington lachte. «Ein Mann, Hook, nur ein einziger Mann hat Sir John in den letzten zehn Jahren zum Kampf herausgefordert. Er hat jedes Turnier in Europa gewonnen. Du kannst ihn nicht schlagen, davon kannst du nicht mal träumen. Er ist ein wahrer Kämpfer.»
«Er ist ein Bastard!», sagte Hook. Sein Hinterkopf war blutverkrustet. Melisande reinigte sein Kettenhemd, und Hook rieb mit einem Stein den Rost von seiner Schwertklinge. Sowohl das Schwert als auch das Kettenhemd hatte ihm Sir John Cornewaille zur Verfügung gestellt.
«Er hat dich nur aufgestachelt, Junge, das hat nichts weiter zu bedeuten», sagte Goddington. «Er beleidigt jeden, aber wenn du sein Mann bist, und das wirst du werden, dann kämpft er für dich. Und er kämpft für deine Frau.»
Am nächsten Tag beobachtete Hook, wie Sir John einen Bogenschützen nach dem anderen zu Boden schickte. Als er an der Reihe war, Sir John gegenüberzutreten, gelang es ihm, ein Dutzend Schläge abzuwehren, bevor er aus dem Gleichgewicht kam, stolperte und niedergeworfen wurde. Mit spöttischer Miene trat Sir John ein paar Schritte zurück, und dieser Spott brachte Hook wieder auf die Füße und trieb ihn zu einem ungezügelten, wilden Angriff mit dem Schwert, den Sir John wie nebenbei zunichtemachte, bevor er Hook erneut zu Fall brachte. «Deine Wut, Hook», knurrte Sir John, «wird dich umbringen, wenn du sie nicht beherrschen kannst, und ein toter Bogenschütze taugt niemandem etwas. Du musst kaltblütig kämpfen, Mann! Kaltblütig und hart! Und gerissen!» Zu Hooks Überraschung streckte er eine Hand aus und zog Hook auf die Füße. «Aber du bist schnell, Hook», sagte Sir John, «du bist schnell. Und das ist gut.»
Sir John musste schon beinahe vierzig Jahre alt sein, aber er war trotzdem immer noch der gefürchtetste Turnierkämpfer in Europa. Er war gedrungen, mit breiter Brust und krummbeinig von all den Jahren im Sattel. Er hatte die hellsten Augen, die Hook je gesehen hatte, und sein Gesicht mit der Nase, die schon einmal gebrochen worden war, zeigte die Narben vieler Kämpfe, mochte er sie nun gegen Aufständische, Franzosen, Wirtshauszänker oder Turniergegner ausgefochten haben. Jetzt, wo ein Krieg mit Frankreich zu erwarten war, stellte er eine Kompanie Bogenschützen auf und eine weitere mit Feldkämpfern. Doch in Sir Johns Augen bestand kein großer Unterschied zwischen seinen Männern. «Wir sind eine einzige Kompanie!», rief er den Bogenschützen zu. «Aus Bogenschützen und Feldkämpfern! Wir kämpfen füreinander! Niemand, der einen von uns verletzt, bleibt ungestraft!» Er wandte sich um und stieß Hook einen metallgeschützten Finger in die Brust. «Du gehörst dazu. Gib ihm seinen Rock, Goddington.»
Peter Goddington brachte Hook einen Wappenrock aus weißem Leinen, das Sir Johns Wappen zeigte: einen steigenden roten Löwen mit einem goldenen Stern auf der Schulter und einer goldenen Krone auf dem Haupt mit den gefletschten Zähnen.
«Willkommen in der Kompanie», sagte Sir John, «und zu deinen neuen Pflichten. Was sind deine neuen Pflichten, Hook?»
«Euch zu dienen, Sir John.»
«Nein! Dafür habe ich Diener! Deine Aufgabe, Hook, ist es, die Welt von jedem zu befreien, der mir nicht passt! Also, was sind deine neuen Pflichten?»
«Die Welt von jedem zu befreien, der Euch nicht passt, Sir John.»
Und darunter schien ein recht großer Teil der Menschheit zu fallen. Sir John Cornewaille liebte seinen König, er verehrte seine nicht mehr junge Frau, die eine Tante des Königs war, er betete die Frauen an, die seine Bastarde austrugen, und er sorgte hingebungsvoll für seine Männer, doch der gesamte Rest der Welt galt ihm als gottverdammter Abschaum, der nichts weiter als den Tod verdiente. Zwar duldete er seine englischen Landsleute, doch die Waliser waren Krautfürze und Zwerge, die Schotten waren dreckige Speichellecker, und die Franzosen waren verschrumpelte Scheißhaufen. «Weißt du, was man mit diesen verschrumpelten Scheißhaufen macht, Hook?»
«Man bringt sie um, Sir John.»
«Man rückt ihnen auf den Pelz und bringt sie um», sagte Sir John. «Du lässt sie deinen Atem riechen, während sie sterben. Du lässt sie dein Grinsen sehen, während du ihnen die Gedärme aus dem Leib schneidest. Du lässt sie leiden, Hook, und dann tötest du sie. Ist das richtig, Pater?»
«Ihr sprecht mit Engelszungen, Sir John», sagte Pater Christopher mit unbewegter Miene. Er war Sir Johns Beichtvater, und er trug, ebenso wie die Kompanie Bogenschützen auf der Wiese, ein Kettenhemd, hohe Stiefel und einen gut sitzenden Helm. Nichts an ihm ließ erkennen, dass er Priester war, sonst hätte er auch nicht in Sir Johns Diensten gestanden. Sir John wollte Soldaten.
«Ihr seid keine Bogenschützen», knurrte Sir John seine Kämpfer auf dem winterlichen Feld an. «Ihr jagt Pfeile los, bis sich die stinkenden Bastarde auf euch stürzen, und dann tötet ihr sie wie andere Feldkämpfer auch! Ihr nützt mir nichts, wenn ihr nur Pfeile abschießen könnt! Ich will euch so nahe bei ihnen kämpfen sehen, dass euch ihre Todesfürze in die Nase steigen! Hast du schon mal einen Mann aus solcher Nähe getötet, dass du ihn hättest küssen können, Hook?»
«Ja, Sir John.»
Sir John grinste. «Dann erzähl mir doch mal von dem letzten Mann, den du getötet hast. Wie hast du es gemacht?»
«Mit einem Messer, Sir John.»
«Wie! Nicht mit was. Wie?»
«Hab seinen Bauch aufgeschlitzt, Sir John», sagte Hook, «und ihm das Messer unter die Rippen gestoßen.»
«Hast du dir dabei die Hand nass gemacht, Hook?»
«Sie hat getrieft, Sir John.»
«Von Franzosenblut, was?»
«Es war ein englischer Ritter, Sir John.»
«Gottverdammt nochmal, Hook, aber du gefällst mir trotzdem!», rief Sir John aus. «So wird es gemacht!», rief er den Bogenschützen zu. «Ihr schlitzt ihnen die Bäuche auf, ihr rammt ihnen die Klingen in die Augen, schneidet ihnen die Kehle durch, reißt ihnen die Eier ab, steckt ihnen euer Schwert in den Arsch, holt ihnen die Eingeweide aus dem Leib, bohrt nach ihrer Leber oder spießt ihre Nieren auf, es ist mir gleich, wie ihr es macht, solange ihr sie umbringt! Ist das richtig, Pater Christopher?»
«Unser Herr und himmlischer Retter hätte es nicht besser ausdrücken können, Sir John.»
«Und nächstes Jahr», sagte Sir John und starrte seine Bogenschützen finster an, «ziehen wir vielleicht schon in den Krieg! Unser König, Gott schütze ihn, ist der rechtmäßige König von Frankreich, doch die Franzosen verweigern ihm seinen Thron, und wenn Gott tut, was Er tun sollte, dann wird Er uns in Frankreich einfallen lassen. Und wenn das geschieht, werden wir bereit sein!»
Niemand wusste genau, ob es Krieg geben würde oder nicht. Die Franzosen schickten Gesandtschaften zu König Henry, der wiederum Gesandte nach Frankreich schickte, und Gerüchte zogen durch England wie der Winterregen, den der Westwind mitbrachte. Sir John jedoch war überzeugt davon, dass es Krieg geben würde, und er schloss einen Vertrag mit dem König, ebenso wie es Dutzende anderer Männer taten. Der Vertrag verpflichtete Sir John, dreißig Feldkämpfer und neunzig Bogenschützen für zwölf Monate in die Dienste des Königs zu stellen, und im Gegenzug versprach der König, Sir John und seinen Männern einen Sold zu zahlen. Der Vertrag war in London aufgesetzt worden, und Hook hatte zu den zehn Männern gehört, die mit nach Westminster geritten waren, als Sir John seine Unterschrift darunter gesetzt und sein Löwensiegel in einen Wachsklecks gedrückt hatte. Der Schreiber hatte gewartet, bis das Wachs getrocknet war, und das Pergament anschließend in zwei ungleiche Teile geschnitten, dabei war er nicht säuberlich vorgegangen, sondern hatte seine Klinge von oben nach unten aufs Geratewohl im Zickzack durch das Dokument gezogen. Eines der gezackten Teile hatte er in einen weißen Leinenbeutel gesteckt, das andere Sir John übergeben. Sollte nun irgendwer die Herkunft des Dokuments anzweifeln, so konnten die beiden ungleichen Teile wieder aneinandergelegt werden, zudem konnte keine der beiden Vertragsparteien das Dokument verfälschen und erwarten, dass diese Fälschung unentdeckt blieb. «Der Schatzmeister wird Euch Eure Gelder zukommen lassen, Sir John», sagte der Schreiber.
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