«Noch lange nicht», sagte Sophiechen. «Du mußt dann der Königin doch noch im Traum erklären, daß es einen GuRie gibt, einen Guten Riesen, der ihr verraten kann, wo diese gräßlichen Unholde wohnen, damit sie ihre ganzen Soldatenarmeen da hinschicken kann, um sie ein für allemal gefangenzunehmen. Und dann laß sie noch eine letzte Sache träumen, die aber sehr wichtig ist. Nämlich laß sie träumen, daß bei ihr auf der Fensterbank ein kleines Mädchen sitzt, das heißt Sophiechen, und die kann ihr sagen, wo sich der Gute Riese versteckt hat.» «Versteckt hat? Wer? Wo?» fragte der GuRie. «Darüber reden wir später», sagte Sophiechen. «Also: die Königin träumt jetzt diesen Traum, nicht wahr?»
«Doch, nicht wahr», sagte der GuRie.
«Und dann wacht sie auf und denkt sofort: Und dann schlägt sie im Liegen die Augen auf, und was sieht sie da?»
«Und was sieht sie da?» fragte der GuRie.
«Sie sieht ein Mädchen mit Namen Sophiechen auf der Fensterbank sitzen, ganz echt und wirklich sieht sie das mit ihren eigenen Augen.»
«Aber darf ich mal fragen, wie du das machen willst: bei der Königin auf der Fensterbank sitzen?» «Ist doch klar, daß du mich da hinbringst», sagte Sophiechen. «Das ist ja gerade der Witz an der ganze Sache! Wenn jemand träumt, daß bei ihm im Zimmer ein kleines Mädchen auf der Fensterbank sitzt, und wacht auf und sieht das Mädchenwirklich da sitzen, dann ist doch der Traum in Erfüllung gegangen, oder nicht?»
«Ich verstehe allmählich, worauf du hinauswillst», sagte der GuRie. «Wenn die Königin merkt, daßeine Sache, die sie geträumt hat, wahr ist, dann glaubt sie vielleicht, das andere ist auch alles wahr.»
«Na bitte!» lobte Sophiechen. «Aber ich muß sie davon auch selber noch überzeugen.»
«Du hast gesagt, es wäre gut, wenn der Traum ihr erzählen würde, daß es einen Guten Riesen gibt. Soll der auch mit der Königin reden?»
«Unbedingt», sagte Sophiechen. «Dumußt das tun! Du bist doch der einzige, der ihr sagen kann, wo die wilden Kerle wohnen.» «Und wie soll ich zu der Königin hinkommen?» fragte der GuRie. «Ich mag es nicht, wenn ihre Soldaten auf mich schießen.»
«Die Soldaten stehen doch nur auf der Vorderseite des Palastes», sagte Sophiechen. «Hinter dem Königspalast ist aber ein riesiger Garten, in dem gibt es überhaupt keine Soldaten. Der Garten ist eingerahmt von einer sehr hohen Mauer mit Eisenspießen obendrauf, damit keiner hinüberklettert. Aber du als Riese kannst ganz leicht darüber hinwegspazieren.»
«Woher weißt du das alles über den Ballast der Königin?» fragte der GuRie.
«Voriges Jahr habe ich in einem englischen Waisenhaus gelebt», sagte Sophiechen. «Das war in London, und da haben wir immer Ausflüge gemacht in die Gegend vom Königspalast.»
«Kannst du mir denn zeigen, wie ich den Ballast finde?» fragte der GuRie. «Ich hab mich in meinem ganzen Lehm nie getraut, in London heimlich herumzuschleichen.» «Ich zeig dir den Weg», sagte Sophiechen entschlossen. «Ich hab aber Angst vor London», sagte der GuRie. «Das brauchst du doch nicht», sagte Sophiechen. «Da gibt es so viele kleine dunkle Sträßchen, und in der Geisterstunde ist sowieso kaum noch jemand unterwegs.» Der GuRie nahm Sophiechen zwischen Daumen und Zeigefingerspitze und stellte sie auf die Innenseite der anderen Hand. «Ist der Ballast der Königin groß?» fragte er. «Riesengroß», antwortete Sophiechen. «Und wie sollen wir das richtige Schlafzimmer finden?»
«Das ist deine Sache», sagte Sophiechen. «Du bist doch Experte in diesen Dingen, denk ich.»
«Und du bist sicher, die Königin sperrt mich nicht in den Zoogarten zu den gierigen Affen und elenden Fanten?» «Niemals tut sie das», sagte Sophiechen. «Im Gegenteil! Du wirst ein berühmter Held und brauchst nie wieder Kotzgurke zu essen.»
Da sah Sophiechen, wie der GuRie sofort glänzende Augen bekam. Er leckte sich gleich die Lippen. «Im Ernst?» rief er. «Jetzt aber mal ehrlich: nie wieder Kotzgurke?»
«Du könntest gar keine kriegen, selbst wenn du eine haben wolltest», sagte Sophiechen. «Diese Gemüsesorte züchten die Menschen nicht.»
Damit war die Sache klar. Der GuRie sprang auf die Füße.
«Wann soll ich diesen Königintraum zusammenmixen?» fragte er.
«Jetzt», sagte Sophiechen. «Sofortissimo.» «Und wann besuchen wir die Königin?» fragte er. «Noch heute nacht», sagte Sophiechen. «Sobald du den Traum fertig hast.»
«Heute nacht?» rief der GuRie. «Und warum so eine hetzige Hektik?»
«Wenn wir schon die Kinder von heute nacht nicht mehr retten können, dann wenigstens die von morgen nacht», sagte Sophiechen. «Und außerdem sterbe ich vor Hunger. Ich habe nichts mehr zu essen gekriegt seit vierundzwanzig Stunden!»
«Dann wollen wir uns beeilen», sagte der GuRie und machte sich auf in seine Höhle.
Auf die Spitze seines Daumens gab Sophiechen ihm einen Kuß. «Ich wußte, daß du mitmachst», sagte sie. «Jetzt geht es los!»
Inzwischen war es dunkel geworden. Die Nacht war gekommen. Der GuRie eilte mit Sophiechen in der Hand zu seiner Höhle und knipste drinnen die hellen Lampen an, die man gar nicht anschauen konnte, so grell waren sie. Er setzte Sophiechen auf dem Tisch ab. «Bitte hiergeblieben», sagte er. «Und kein Pieps und kein Mucks! Ich brauch extrasuper Stille, wenn ich so einen schwierigen und komplizierten Traum zusammenmixen soll wie diesen.» Und schon machte er sich an die Arbeit. Er suchte sich ein großes leeres Glasgefäß, das hatte ungefähr die Ausmaße einer Waschmaschine. Damit lief er hurtig zu den Regalen, auf denen Tausende und Abertausende von kleineren Gläsern mit gefangenen Träumen standen. «Träume über Riesen ... Träume über Riesen ...» brummelte er vor sich hin, während er die Zettel mit den Inhaltsangaben entzifferte. «Riesen beim Verspachteln von menschlichen Leberwesen . nein, der nicht . der paßt auch nicht . und der auch nicht . Aber der hier .! Und der paßt auch . !» Er nahm die Gläser heraus und schraubte den Deckel ab. Dann kippte er die Träume in den riesigen Glasbottich, und beim Umgießen konnte Sophiechen gerade noch sehen, wie jedesmal so ein kleiner grünlicher Eidotter von einem Gefäß ins andere rutschte.
Der GuRie lief zu einem anderen Regal. «Und jetzt», murmelte er, «brauch ich noch Träume über Hinternahte für Mädchen ... und über Landschwulheime für Jungs.» Der GuRie wurde jetzt ziemlich nervös. Sophiechen konnte fast sehen, wie die Erregung in ihm stieg und stieg, während er zwischen seinen geliebten Gläsern hin und her hüpfte. Da standen alles in allem mindestens fünfzigtausend Träume in seiner Traumothek, trotzdem schien er sehr genau zu wissen, wo er einen bestimmten Traum zu suchen hatte. «Träume von Mädchen», raunte er leise. «Und nun noch Träume von mir ... von dem Guten Rie sen . GuRie-Träume . hopp, hopp, nun mach schon, nun laß dich schon finden . wo hab ich die denn, wo hab ich die denn?»

So ging es immer weiter. Nach etwa einer halben Stunde hatte der GuRie die gesuchten Träume alle gefunden und in den großen Glasbottich gegossen. Den stellte er nun auf den Tisch. Sophiechen saß da, schaute zu und schwieg fein stille. Innen auf dem Boden des großen gläsernen Bottichs konnte sie etwa fünfzig von diesen grünlichen, eidotterartigen Glibberdingern erkennen, die sich bewegten, als ob sie atmen würden. Einige lagen schichtweise übereinander, aber jeder Traum war noch säuberlich getrennt von den anderen.
«Und jetzt mixen wir sie», verkündete der GuRie. Er trat vor den Schrank, wo er seine Flaschen mit Blubberwasser aufbewahrte, und holte einen gigantischen Schneebesen hervor. Das war einer von diesen Rührapparaten mit Kurbel, die man drehen muß, und dann flitzen unten ganz viele Quirldrähte umeinander. So ein Ding hielt er mit dem unteren Ende in den gläsernen Bottich hinein, wo die Traumdotter lagen. «Paß auf!» sagte er. Und dann drehte er an der Kurbel und schneller und immer schneller. Sofort explodierten in dem Glasbottich grüne und blaue Blitze. Und sehr bald schon waren die Träume zu einem grünlichen Schaum verquirlt. «Ach, die Ärmsten!» rief Sophiechen. «Die merken doch gar nichts», sagte der GuRie und kurbelte weiter. «Träume sind nicht wie menschliche Leberwesen oder Tiere. Sie haben keine Gehirne. Sie bestehen nur aus Glibberdschiddel.»
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